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SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM und das IKARISCHE ENSEMBLE: Würzburg, AKW, 19.10.07

Eine beeindruckende Show im Rahmen des FREAKPARADE FESTIVALS in Würzburg. SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM untermauern ihren Status als eine der einzigartigsten Bands dieser Tage.

Was erwartet einen bei einem SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM-Auftritt, wenn es sich um einen von zwei in Deutschland handelt, nachdem die Band – meines Wissens nach – bislang erst ein Konzert bei uns überhaupt gespielt haben? Ein fast leerer Saal mit 10 Hansel vor der Bühne? Oder muss man vielleicht sogar Angst haben, überhaupt keine Karten mehr an der Abendkasse zu bekommen? Vielleicht war es ein guter Schachzug von den Würzburgern Veranstaltern, das Konzert im Rahmen eines Festivals stattfinden zu lassen, das dann auch noch den passenden Titel FREAKPARADE FESTIVAL trägt und dieses Jahr vom 19. bis 20. Oktober in Würzburg stattfand. Das AKW als Veranstaltungsort für den ersten Festivalabend war da in gewisser Weise auch eine ideale Location, denn das Alternative Kulturzentrum entspricht genau dem, was man von einem Alternativen Kulturzentrum erwartet. Und so fand sich also doch eine beachtliche Anzahl von Interessierten ein, auch wenn der Saal bei weitem nicht ausverkauft war, und es spricht für das FREAKPARADE FESTIVAL, wenn der Veranstalter gleichzeitig auch größter Fan der Bands zu sein scheint. Mit dem IKARISCHEN ENSEMBLE hat man zudem einen Opener ausgesucht, der uns zwar nicht ganz überzeugen konnte, aber dennoch ein hervorragender Auftakt für SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM waren.

IKARISCHES
Musikalisch interessanter als 95% der aktuellen Prog Metal-Szene, aber ein bisschen zu verkrampft – IKARISCHES ENSEMBLE

Das IKARISCHE ENSEMBLE begann mit dem Piano-Intro ihres Songs Nécrologue à l´innocence und zeichnete zunächst ganz große Fragezeichen über unsere Köpfe. Erfreulich eigenständig zeigte sich das Trio, gleichzeitig aber auch merkwürdig unsympathisch. Den Sänger hat bestimmt schon zu Abi-Zeiten keiner gemocht, ging mir gerade durch den Kopf, als Kollege Ulle mir ein der heißt bestimmt Hendrik oder Jean-Oliver ins Ohr flüsterte. Wobei Bassist Stefan Berger mit seiner knuffigen Art wieder sehr viel Wett machte. Dass das IKARISCHE ENSEMBLE es musikalisch absolut drauf hat – oder sollte es DIE ÄRZTE-like dass INKARISCHES ENSEMBLE es musikalisch absolut drauf haben heißen? -, das war schon sehr schnell klar. Den Stil der Band könnte man grob als Mischung aus RUSH, PRIMUS, MAYFAIR und SPORTFREUNDE STILLER beschreiben. Bei den ersten Tönen des dritten Songs proletete ich Ulle noch ein überhebliches boah, jetzt covern die auch noch MEKONG DELTA, pass auf, jetzt kommt gleich ´The Hut of Baba Yaga´ zu, um dann festzustellen, dass es sich tatsächlich um Der Gnom aus Mussorgsky´s Bilder einer Ausstellung handelte. Peinlich für mich und definitiv ein 1:0 für die Band. Im weiteren Verlauf präsentierte das IKARISCHE ENSEMBLE eine gekonnte Mischung aus vertrackten Rhythmus-Strukturen, interessanten Songideen und schwer zugänglichen Texten. Zwar bediente sich Martin Tansek der deutschen Sprache, besonders verständlich waren die Lyrics in der Live-Situation allerdings nicht. Zudem hatte das Ganze diesen verkrampften deutschen Anstrich, der der Musik viel Magie nahm. Es ist diese Kombination aus gezwungen künstlerischem Anspruch, miefig provokativem und augenzwinkerndem Humor und gekünstelter Natürlichkeit, die mir den Zugang zu derartiger Musik so schwer macht. Ständig hat man das Gefühl, dass im nächsten Moment Katja Riemann um die Ecke kommt, um einem mit wohlgewählten Worten die Band ans Herz zu legen. Es tut mir leid, ich kann da nicht aus meiner Haut. Rein musikalisch hatte das IKARISCHE ENSEMBLE hingegen definitiv die besten Momente, wenn sich alle drei Musiker im jazzigen Zusammenspiel von Schlagzeug, Bass und Piano übten, sich dabei zwar auf bereits geebneten Pfaden bewegte, mit viel Gefühl für diesen Stil aber das Publikum mitriss. Fazit: Das IKARISCHE ENSEMBLE war absolut gut, gefallen hat es mir aber trotzdem nicht. Die musikalische Leistung und Eigenständigkeit aber absolut anerkennend und vielleicht auch aus einer gewissen Angst heraus, den drei Jungs mit diesem Artikel richtig Unrecht zu tun, muss man feststellen, dass die Musik der Band auf jeden Fall interessanter ist, als 95% der aktuellen Prog Metal-Szene.

Nils
Wirken in ihren zerfetzten Bergarbeiter-Kostümen, mit ihrem Make-Up und ihren rot eingefärbten Zähnen , als stammten sie aus einer durch einen Mineneinsturz von der restlichen Welt abgetrennten und von Ansteckungskrankheiten geplagten Parallelgesellschaft tief unten in der Erde – SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM

War das IKARISCHE ENSEMBLE auf seine Art schon sehr beeindruckend, überschritten SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM sämtliche Grenzen. Einen Auftritt dieser Band nachvollziehbar darzustellen, ist noch viel unmöglicher, als die Musik auf Konserve dem Leser zu vermitteln. Vollkommen erstaunlich: SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM spielen die komplexen Songs, mit ihren außergewöhnlichen Soundcollagen nahezu perfekt nach. Und das, ohne auf Synthesizer oder Bandmaschinen zurückzugreifen. Percussionist Michael Mellender erzeugt aus Blechdosen, Fahradfelgen und ähnlichen Gerätschaften erstaunliche Klangkulissen, während Dan Ruthbuns schon allein mit der Optik seiner Sledgehammer-Dulcimer, diesem mit Piano-Saiten bespannten Holzstück, Eindruck schindete. Dieses selbstentwickelte Instrument mag auf der einen Seite überbewertet sein, auf der anderen passt es geradezu genial zum Sound von SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM. Genial sind sie ohnehin, diese Amis, die in ihren zerfetzten Bergarbeiter-Kostümen, mit ihrem Make-Up und ihren rot eingefärbten Zähnen wirken, als stammten sie aus einer durch einen Mineneinsturz von der restlichen Welt abgetrennten und von Ansteckungskrankheiten geplagten Parallelgesellschaft tief unten in der Erde. Ständig fragt man sich, welches Schicksal diese Musiker zusammengeführt hat, um ein derart einzigartiges Gesamtkunstwerk zu erschaffen. Oder wie man derartige Stücke überhaupt komponieren kann. Jedes einzelne Bandmitglied liefert einen essentiellen Beitrag zum Gesamtsound von SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM und alles fügt sich zu einem vollkommenen Ganzen zusammen. Nils Frykdahl als Sänger und Frontmann steht zwar im Zentrum des Geschehens, jedoch verblassen die anderen Charaktere nicht neben ihm. Die Augen wandern von einem Bereich auf der Bühne zum anderen, ständig ist man gefesselt von den vielen Details, die es zu entdecken gibt. Genauso wird man von Klängen und Geräuschen hin und her gerissen und ist fasziniert von deren Entstehung. Glaubt man von Zeit zu Zeit, dass die Musik dieses Kollektivs zu komplex ist, um sie durchdringen zu können, so stellt man speziell in der Live-Situation fest, wie strukturiert und eingängig sie doch in Wahrheit ist und welch große Rolle die unkonventionell arrangierten Melodielinien spielen. Ist es schon völlig erstaunlich, wie nah Nils Frykdahl gesanglich an die Studioaufnahmen heran kommt, so überzeugt in erster Linie aber doch die instrumentale Perfektion. Hier haben wir es mit wahrhaft genialen Musikern und Multiinstrumentalisten zu tun. Selbst die mehrstimmigen Gesangsteile waren perfekt und mit einfachen Effekten erzeugen SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM allein mit ihren Stimmen eine unglaubliche Atmosphäre. Hervorzuheben ist hier insbesondere Carla Kihlstedt, die sowohl als Lead-Sängerin, als auch im Backing-Bereich auf intensive Art und Weise beeindruckt. SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM bedienten sich während der knapp zwei Stunden Spielzeit ihrer kompletten Diskographie und hinterließen zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, als spiele ein Teil ihres Schaffens eine untergeordnete Rolle. Ironische Ansagen wie Ich möchte mich vorab für den nächsten Song entschuldigen, denn er ist noch ein Stück schlimmer als der vorherige zeigen das Augenzwinkern der eigenen Kunst gegenüber. Besonders herausragend stellten sich Babydoctor, der Hit Helpless Corpses Enactment, Phtisis, Sleep is Wrong und Salt Crown und der mir bislang nicht bekannte Song Old grey heron (?) dar, doch auch Angle of Repose, 1997, More Time oder The Donkey-Headed Adversary of Humanity opens the Discussion versprühten eine unglaubliche Magie. Oft beginnen SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM ihre Songs mit kurzen Erläuterungen, um was es im folgenden Stück geht, was einem die Inhalte aber auch nicht erschließbarer macht. Richtig erstaunt zeigten allerdings auch sie sich, als es nach Angle of Repose keiner im Publikum wagte zu applaudieren. Für einen kurzen Moment war vermutlich jeder im Raum irritiert, bevor endlich das Klatschen einsetzte und Nils Frykdahl das Erlebnis mit einem sympathischen Ich hab noch nie ein Publikum erlebt, das so viel Stille erzeugen kann kommentierte. So etwas passiert einem vermutlich auch nur bei einem Konzert dieser Band. Nach zwei Zugaben und kurzweiligen zwei Stunden Gesamtspielzeit war eines der erstaunlichsten Konzerte, denen ich jemals beiwohnen durfte, zu Ende und kaum waren die letzten Töne gespielt, mischten sich die Musiker direkt unter das Publikum, um sich höflichst bei jedem einzelnen zu bedanken, der der Band zum Auftritt gratulierte. Bezeichnend auch, dass der Merchandise-Stand während des Konzerts völlig unbeaufsichtigt stand und Schlagzeuger Matthias Bossi direkt nach dem Auftritt den Job des T-Shirt- und CD-Verkäufers übernahm. Es scheinen eben doch sehr zugängliche, auf dem Boden gebliebene und zutiefst höfliche Menschen zu sein, die hinter diesem Kunstwerk namens SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM stecken. Es war ja fast zu erwarten.

Sleepytime

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