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WAR FROM A HARLOTS MOUTH: Voyeur

Komplex, schwer, düster – WAR FROM A HARLOTS MOUTH haben ihren Mathcore noch nie so unnahbar und böse inszeniert wie auf "Voyeur".

“Voyeur”, das klingt so geheimnisvoll, so distanziert, so verstohlen dezent und dennoch wachsam. Leise, zurückgenommen, unscheinbar und doch bedrohlich präsent. Eigentlich allesamt Eigenschaften, die für die Welt von WAR FROM A HARLOTS MOUTH – eine Welt in der entfesselte Brutalität Verhandlungstaktik Nummer eins ist – untypisch sind. Diesem Einwurf zum Trotz bleibt “Voyeur” der einzig richtige Titel dieses bitterschwarzen Werks. Warum ist schwer zu sagen. Ob es an den unheilvollen Streichern von Komponist John Strieder liegt, die mittels “Origin”, “Beyond Life And Death” und “Epiphany” einen düsteren Rahmen um diese 35-minütige Nachtmär wickeln? Mag sein, schließlich begleiten sie uns von den Anfängen bis zum Ende, entwerfen in kurzer Zeit so etwas wie einen roten Faden, dessen Quelle man lieber nicht erreichen möchte. Vielleicht liegt es jedoch schlicht an der eigenen Position als Hörer: Distanziert, doch in der ersten Reihe, das Massaker an vorderster Front genießen. Eine heimtückische Ausgangsposition, denn aus dem Voyeur wird schnell der Komplize, aus dem Komplizen das nächste Opfer.

WAR FROM A HARLOTS MOUTH lassen uns nicht los

Und so dauert es keine 60 Sekunden bis “Vertigo” die gewohnte WAR FROM A HARLOTS MOUTH-Breitseite austeilt. Dissonante Gitarren gehören zum guten Ton, das Drumming ist so komplex und vielschichtig wie die Gitarren verschachtelt. Ein Labyrinth aus Riffs und verkopften Experimenten – Frontmann Nico zeigt keinen Weg aus den Irrungen, sondern stößt uns mit seinen Vocals noch tiefer ins Gestrüpp. Der stille Zwischenpart des Openers ist folglich kein Ort der Ruhe, sondern der Verzweiflung. WAR FROM A HARLOTS MOUTH lassen uns nicht los, das bestätigt das anschließende “H(a)unted”, mehr Epilog des Terrors als eigenständiges Stück. Ein mörderischer Auftakt, der Wahnsinn beginnt erst noch.

35 Minuten dauert die Hetzjagd, während der die Berliner alle Register ziehen. Obwohl der Schritt von “MMX” zu “Voyeur” stilistisch kleiner ausfällt als erwartet, ist das vierte Album seinem Vorgänger in allen Bereichen überlegen. Es wiegt schwerer, es ist technisch komplexer, es verlangt uns alles ab. Die Schwärze, die durch tief gestimmte Gitarren und bewusste Dissonanzen geschaffen wird, verschluckt selbst den kleinsten Hoffnungsschimmer. Auch wenn Breaks nach wie vor zum Grundrepertoire gehören – die schleppenden Momente sind seltener als auf “In Shoals“, die jazzigen Parts nahezu komplett reduziert. “Temple” nimmt zwar etwas Tempo raus, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass “Voyeur” das homogenste Album des Quintetts ist. Dynamisch sind die 13 Tracks des Albums selbstverständlich trotzdem.

Eine musikalische Lobotomie

Die “Twin Peaks”-Hommage “The Black Lodge” allein beinhaltet wahrscheinlich mehr Wendungen als David Lynch im Drehbuch seiner grandiosen Mystery-Serie umsetzen konnte – und das waren schon eine Menge. Verschränkte Riffs, Blasts, dezente Polyrhythmik sind ja fast schon Standardware; hinzu kommen Tempowechsel, eine atmosphärische Leadgitarre vorm Schlussakt sowie eine stetig schwankende Spannungskurve, getragen von den zahlreichen, überlegt gesetzten Breaks.

Wohl wissend, dass nach dieser musikalischen Lobotomie die Grenze des Zumutbaren erreicht ist, schließt die zweite Hälfte von “Voyeur” mit konservativem Material – nach WAR FROM A HARLOTS MOUTH-Maßstäben versteht sich. “To The Villains” ist ein lupenreiner Mathcore- / Tech Death-Song ohne wahnwitzige Experimente, “Scopophobia” experimentiert mit Klargesang und der obligatorische “Akte X”-Verweis “Krycek” ist mit seinen doomigen Strukturen der schwerfällige Vierzigtonner, dessen zermalmende Macht eine kahle Schneise hinterlässt.

“Voyeur” ist pechschwarz und aussichtslos

Wo eine Post Hardcore-Band wie DEVIL SOLD HIS SOUL auf ihrem aktuellen Album “Empire Of Light” eine hoffnungsschwangere, positive Aussicht auf die Zukunft verspricht, definieren sich WAR FROM A HARLOTS MOUTH 2012 durch die in Teer getränkte Gegenwart, oder vielmehr eine pechschwarze Vision davon. “Voyeur” ist unnahbar, düster und aussichtslos. Diese Schwärze erscheint zunächst abstoßend, erzeugt aber wie durch Magie einen unwiderstehlichen Sog. Die Tiefe, die Komplexität dieses Werks ist in der Dunkelheit, die es umgibt, anfangs schwer zu erahnen. Es braucht Zeit, es braucht Kraft, es braucht Mut, um zu erkennen: “Voyeur” selbst ist die Dunkelheit.

Veröffentlichungstermin: 19.10.2012

Spielzeit: 34:55 / 41:18* Min.

Line-Up:
Nico – Vocals
Simon – Guitar
Daniel – Guitar
Filip – Bass
Paule – Drums
Label: Season Of Mist

Homepage: http://wfahm.com/
Mehr im Netz: http://www.facebook.com/wfahm

WAR FROM A HARLOTS MOUTH “Voyeur” Tracklist

01. Origin
02. Vertigo (Video bei YouTube)
03. H(a)unted
04. Terrifier
05. Of Fear And Total Control
06. Temple
07. The Black Lodge
08. Beyond Life And Death
09. To The Villains (Audio bei YouTube)
10. Krycek
11. Scopophobia
12. Catacombae
13. Epiphany
14. Dolph Lundgren (WILL HAVEN-Cover; nur Ltd. Edition)*
15. To The Villains (Demo-Version; nur Ltd. Edition)*

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