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BERSARIN QUARTETT: II

BERSARIN QUARTETT sind zurück. Soundscapes wie von einer anderen Welt, für einen Film, den es nicht gibt. Oder etwa doch?

Kapitel 1: Niemals zurück

Du spürst einen Schlag der dich mit gigantischer Kraft in deinen Sitz presst und mit diesem Moment verstummt das Dröhnen. Von ein auf die andere Sekunde Stille. Der Ruß, der sich während der Reise durch die Atmosphäre an der Frontscheibe gebildet hatte, löst sich und du siehst Wasser. Wasser überall, feine Blasen perlen entlang der Rettungskapsel herauf und du weißt in diesem Augenblick – du musst hier raus. Du öffnest die Luke und beginnst, dich aus dem sinkenden Schiff zu befreien, gegen die Schwere des Anzuges, welche dich nach unten zu ziehen droht. Nach bangen Minuten des Kampfes erreichst du die schimmernde Oberfläche, flachere Gewässer und den Strand. Kaum dass du an Land bist, wirst du bewusstlos. Als du wieder wach wirst, hast du das Gefühl, du hättest noch den Hauch eines Leuchtens um dich herum wahrgenommen und eine Wärme steigt in dir auf. Du ziehst den Helm von deinem Kopf, drehst dich auf den Rücken – und atmest. Tief und fest saugst du die Luft in deine immer noch vor Anstrengung brennenden Lungen. Zum Glück wusstest du schon vorher, dass du die Luft hier atmen kannst. Die Sensoren haben die Atmosphäre analysiert bevor der Meteroit dein Schiff unerwartet traf und du mit der Kapsel den Abstieg wagen musstest. Ob du zurückkehren kannst? Wahrscheinlich nicht – aber noch bist du gar nicht in der Lage, das alles zu erfassen was passiert ist und die Anstrengung zieht dich, noch in deinem Anzug im Sand liegend, in einen kurzen, traumlosen Schlaf.

Kapitel 2: Zum Greifen nah

Die Strahlen der Sonne wecken dich. Wie lange du geschlafen hast? Du weißt es nicht. Du öffnest die Augen, lässt den Blick schweifen. Überall grün. Grün. Die Luft flirrt, es ist bereits recht warm. Das Wasser von dem tiefen See, in welchen du mit deiner Kapsel gestürzt bist, plätschert leise an den Strand. Insekten schwirren durch die Luft, jedoch bizarrer als du sie jemals auf der Erde gesehen hast. Die Schönheit, die Mächtigkeit, das Glitzern des Wassers und die klare, unverschmutzte Luft, sie raubt dir regelrecht den Atem – obwohl es grad das ist, was du gerade in vollen Zügen tust. Atmen, das Leben in dich hineinziehen. Du hast es noch.
Du stehst auf, beginnst dich umzusehen. Du überprüfst deinen Anzug und stellst fest, dass die wenigen Umgebungssensoren sogar die Wasserung gut überstanden haben. Sie zeigen dir einige Objekte schon in der näheren Umgebung an. Vielleicht gibt es ja doch Rettung? Du machst dich auf den Weg in das Dickicht dieser faszinierenden Welt.

Kapitel 3: Im Lichte des Anderen

Mittlerweile dämmert es schon. Deine Beine schmerzen, du bist schon Kilometer gelaufen und hast gemerkt, dass der Weg zu diesen kleinen, blinkenden Punkten auf deinem Display doch weiter ist, als gedacht. Es ging bergauf, bergab, durch Flüsse mit glänzen, großen, schimmernden, friedfertigen Fischen, du standest auf einem Berg, hast diese kilometerweiten Wälder überblickt. Du hast große Früchte gefunden, die dein Scanner als genießbar einstuften und die du vor lauter Hunger wohl so oder so verschlungen hättest. Doch jetzt wird es dunkel. Du machst Rast, nickst kurz weg und fällst in einen Schlaf.
Als du wieder aufwachst, bist du irritiert. Ist es schon Tag? Die Umgebung ist erleuchtet, aber in einem anderen Licht als es noch vor ein paar Stunden war, bläulich, strahlend. Du lässt deinen Blick umherschweifen und entdeckst die Lichtquelle. Ein Wesen, so zart, zerbrechlich, strahlend leuchtend, aber bizarr zugleich, schwebt 10 Meter über dir auf der Höhe der Baumwipfel. Es scheint dich zu mustern, auch wenn du keine Augen erkennen kannst. Ein strahlender blauer Schein umhüllt das Wesen und während du noch deine Augen reibst, gesellen sich noch ein paar mehr dazu bis dich unzählige Wesen von oben betrachten. Doch auf einmal verschwinden sie und lassen dich in der Nacht allein.

Kapitel 4: Der Mond, der Schnee und du

Am vergangenen Tag bist du noch weiter gereist, mittlerweile wurde dir klar, dass du nicht weiter im Urwald bleiben wirst, sondern den Aufstieg auf die Gipfel des Gebirges wagen musst, welches über dir liegt. Die Atmosphäre dieses Planeten hat so einige Eigenarten – noch nie hast du einen Trabanten gesehen, bei welchem Urwald und Schneefallgrenze so nah beieinander liegen: denn die Gipfel über dir sind mit Schnee bedeckt und werden nun vom Mond erhellt. Sonst ist hier nichts. Nur feines, kurzes Wiesengras, der Schnee welcher mittlerweile unter deinen Füßen knirscht und der Mond über dir. Es ist schon ziemlich frisch und du bist froh, dass die Akkus deines Anzuges sich tagsüber laden können, so ist dir auch jetzt noch angenehm warm.
Der Mond. Der Schnee. Und du. Allein. Auf der Suche nach Zivilisation, einer Chance, nach Hause zurückzukehren.

Kapitel 5: Perlen, Honig oder Untergang

Nach einer kurzen Rast brichst du wieder auf. Mittlerweile dämmert es wieder. Die zwei Sonnen erheben sich langsam über den Horizont, tauchen diese ferne Welt in ein rötliches, violettes Licht. Du stehst am Eingang eines Tales, als du deine Reise beginnst. Kleine Flüsse plätschern von den Gipfeln herunter, du hörst wieder das angenehme Zirpen der Grillen. Eigentlich ein Idyll, welches du gerne mit deiner Familie teilen würdest. Du kramst in deinen Erinnerungen und hoffst inständig, diesen Traum, der zugleich auch Albtraum ist, bald beenden zu können. Denn die Einsamkeit, sie nagt an dir.
Am Ende des Tales erkennst du kleine Gebäude, sie wirken wie Tempel. Die Siedlungen, welches deine Sensoren anzeigen? Fehlanzeige. Das sind andere – da sie aus Naturstein sind und offenbar keine technischen Geräte enthalten, hat sie dein Sensor nicht angezeigt. Trotzdem beschleunigst du deinen Schritt und schon eine halbe Stunde später, stehst du vor einem – aus der Nähe – gigantischen Tempel.
Du richtest den Universalübersetzer auf die Schriftzeichen über dem Eingang und er zeigt dir nach kurzem Piepen an, dass die zu 90% richtige Übersetzung Perlen, Honig oder Untergang lauten könnte. Was das bedeuten soll? Du hast keine Ahnung. Da der Tempel jedoch verlassen zu sein scheint, machst du noch ein paar Photos, welche du später auszuwerten planst und gehst weiter – den vier blinkenden, konzentrisch angeordneten Punkten nach, welche in östlicher Richtung von hier sein sollen.

Kapitel 6: Einsame wandeln still im Sternensaal

Es ist wieder Nacht, aber diesmal klarer als zuvor. Hat in der Nacht des Mondes noch Nebel den Blick verhindert, so ist es heute klar, wie wenn eine unsichtbare Macht die Kuppel einmal kräftig poliert hätte. Du nimmst kurze Rast, legst dich auf den Rücken und betrachtest den Himmel. Du siehst Cassiopeia als funkelnden Fleck, entfernt auch unsere Sonne als kleinen funkelnden Punkt. So weit bin ich von zuhause weg, schießt dir durch den Kopf. Diese Entfernung ist für uns gar nicht zu fassen – würde man zu Fuß gehen, wäre man unzählige Generationen, gar Menschheits- und Erdgeschichten lang unterwegs. Dieser Anblick ist jedoch schöner und unfassbarer als in jeder holografischen Kuppel, welche man als Kind fasziniert besucht hat.
Doch deine Einsamkeit treibt dich nach vorn – du stehst auf und gehst weiter. Und wandelst allein durch den gigantischen Sternensaal, welche an diesem Abend der Planet und das Universum über dich aufgespannt hat.

Kapitel 7: Im Glanze der Kometen

Vier Stunden später ist wieder Zeit für eine Rast. Einige Stunden sind vergangen – die Nächte und Tage, die hier bedeutend länger sind als auf Heimat, machen sich bemerkbar. Das Gefühl zwischen Tag und Nacht, Raum und Zeit verschwimmt immer mehr, du schläfst mal Tags, mal Nachts. Und während du da sitzt und in deinem Gepäck eine der nahrhaften Früchte suchst, erhellt auf einmal ein kurzer leuchtender Schein den Himmel. Du blickst nach oben und siehst ein wundersames Schauspiel, welches die Perseiden in jeden Schatten stellt: Blitz um Blitz erhellt eine Schar Kometen den Himmel und eskortiert einen großen, glänzenden, weißen Feuerball, welcher langsam auf den Planeten herabsinkt, zerbricht und in winzig kleinen Stücken irgendwo tausende von Kilometern entfernt herabregnet.

Kapitel 8: Alles ist ein Wunder

Die Faszination, welche von diesem Planeten ausgeht, hat dich schon lange in ihren Bann gezogen. Die Strapazen, die Unsicherheit der Rückkehr, die dramatische Stunde nach dem Einstieg in die Rettungskapsel scheinen wieder vergessen, bei all den Wundern, welche dich umgeben. Die Farben, die Gerüche, das Grün, das Blau des Himmels. Die Nächte, die Sterne, das Kometenschauspiel der Nacht zuvor. Der gigantische Tempel, die immer wieder auftauchenden Gebäude, welche majestätisch im Urwald auftauchen. Und die seltsamen Wesen des ersten Abends. Du fragst dich, ob du sie jemals wieder sehen wirst – oder ob du dir das alles nur eingebildet hast. Vielleicht sind diese Wesen deine Rettung? Festen Schrittes machst du dich wieder auf den Weg – das Ziel fest im Blick… doch eigentlich müsstest du es ja endlich bald erreichen?

Kapitel 9: Rot und Schwarz

Dein Sensor piept: noch 1km Entfernung. Du wirst nervös. Was steckt wohl hinter diesem letzten Berg? Nach kurzer Rast hast du deine letzten Kräfte gesammelt und nimmst die letzten Meter zum Gipfel. Dort geht es hoffentlich bald bergab. Du weißt zwar nicht, was dich erwartet, aber nachdem deine erste Begegnung mit den seltsamen, leuchtenden Wesen wohl keiner feindlicher Natur war, hoffst du das beste.
Doch als du den Gipfel erreichst, beschleicht dich ein seltsames Gefühl – welches sich rasch als wahr erweist. Denn vor dir erstreckt sich kein grüner, glänzender Wald, sondern eine Landschaft, geprägt durch Rot und Schwarz. Das brennende Rot des Feuers, das Schwarz des Rauches und das was noch vor kurzem als 4 Punkte in deinem Sensor erschienen war – flankiert durch eine Reihe kleinerer Flecken – ist das, was hier brennt. Was auch immer hier passiert ist: es verheißt nichts Gutes. Doch was sollst du machen? Also beginnst du langsam den Abstieg – in der Hoffnung hier doch etwas zu finden, was dich nach Hause bringt.

Kapitel 10: Keine Angst

Fünf Stunden später. Du bist unten angekommen. Der Rauch und das Feuer ist Dampf und Dunst gewichen. Es hat geregnet. Hier ist es ganz anders, wie auf der anderen Seite des Berges. Schwarz, trostlos. Du gehst weiter, zwischen schwarzen Stümpfen findest du die Überreste eines weiteren Tempels. Du suchst dir einen Platz, setzt dich hin, studierst deinen Sensor. Kein Punkt. Keine Hoffnung. Du vergrößerst den Radius. Kein Punkt. Keine Hoffnung. Du weinst. Auf einmal bemerkst du, dass das Leuchten wieder da ist. Du drehst dich um und sie sind wieder da, die Wesen. Sie kommen näher, auf eine Weise, welche dir vertraut zu sein scheint. Du erkennst mehr und mehr so etwas wie Beine oder Arme und dann bemerkst du sie, die Augen: aus unzähligen Facetten blicken sie dich an. Als eins der Gliedmaßen deine Hand berührt, sanft und zart, durchfährt dich ein Gefühl. Ein Gefühl, keine Angst haben zu müssen.

Kapitel 11: Hier und jetzt

Nach und nach berühren dich mehr und mehr Arme und dein Gewicht scheint von dir zu weichen. Mittlerweile bist du mehr und mehr in diese blaue Leuchten gehüllt. Du fühlst dich schwerelos und wie du nach unten blickst, merkst du wie der Boden mehr und mehr verschwindet. Die Wesen tragen dich und auf einmal geht alles ganz schnell. Die Welt unter dir rast weiter, die Wesen tragen dich hinfort und bringen dich zu einem Ziel. Auf einmal beginnt dein Sensor zu blinken und zeigt dir ein großes Objekt an, welches sich mehr und mehr nähert. Deine Augen suchen den Horizont ab und da siehst du es: ein entferntes Leuchten, das Leuchten einer fernen Stadt – größer als jede Stadt die du zuvor gesehen hast. Diese Leuchten kommt rasch näher. Große Gebäude, wie aus einem Plasma, leuchtend und auf einmal wird es dunkel. Du hast das Bewusstsein verloren.

Kapitel 12: Jedem Zauber wohnt ein Ende inne

Als du wieder erwachst, ist dir schummrig. Wie in Watte gepackt, verschwimmt die Welt um dich herum, alles ist unwirklich, weiß, leuchtend. Erst langsam gewöhnen sich deine Augen an die Helligkeit. Du sitzt auf einem Stuhl, in einen weißen Raum. Blickst auf einen großen Bildschirm – auf diesem läuft ein Film ab. Es zeigt Szenen einer Familie. Eine Schaukel, Kinder, Lachen. Ein Geburtstag. Eine Reise. Zugfahrten. Streit. Dann wieder Sonne, Sommer. Winterlandschaften. Irgendwie kommt dir das alles bekannt vor. Es geht rasend schnell, aber ist zeitgleich langsam und wunderschön, jeden Moment durchlebst du wie wenn es gerade wäre. Denn es ist dein Leben, was hier gezeigt wird. Es wird schneller und schneller auf einmal verschwimmt alles zu einem Tunnel, schwarz, der Raum verdunkelt sich. Du sitzt in deinem Stuhl und rast durch diesen Tunnel auf das Licht zu.

Dann wird dir alles klar. Du kannst gar nicht mehr zurück. Nie mehr. Was du durchlebt hast, war die Reise zur dir selbst, gefühlt in Stunden und Tagen, beschleunigt durch die Hormone die in den letzten Schlägen deines Herzens durch dein Gehirn gepumpt wurden, als die Scheibe in deiner Kapsel durch den Druck des Wasser gebrochen war und die Luft zum Atmen nahm. Niemals zurück, niemals zurück, du gehst nun in das Licht und kehrst niemals mehr zurück.

Epilog:

Den Soundtrack für einen Film zu schreiben, den es nicht gibt – dieses Konzept geht bei BERSARIN QUARTETT auch bei ihrem (oder sollte man sagen seinem) schlicht betitelten Zweitwerk II auf. Thomas Bücker versteht es, schwebende, wunderschöne Arrangements zu schreiben, mit Streichern, Synthieflächen, sanften Glocken, wundersam blubbernden Bass und reduzierten elektronischen Beats, irgendwo zwischen Ambient und TripHop. Wunderschön, traurig und manchmal düster zugleich, aber in einer sanften Balance, so dass man als Hörer nach dem Durchlauf gleich wieder auf Play drücken möchte.
Ich hatte mir von der neuen BERSARIN QUARTETT sehr viel erwartet – dass die Scheibe diese Erwartungen noch sprengen könnte und in meinem Kopf, ganz ohne Drogen, einen ganzen fiktiven Film entstehen ließ, das will wirklich was heißen. Von daher – wer mit den Ansätzen von BOHREN UND DER CLUB OF GORE, THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE, schon der ersten BERSARIN QUARTETT oder HIDDEN ORCHESTRA warm wurde, sollte dieser Scheibe unbedingt eine Chance geben. Sie braucht ein bisschen, aber entfaltet nach ein paar Durchläufen mehr und mehr ihre ganze Schönheit. Platte des Jahres? Auf jeden Fall ein heißer Kandidat dafür.

Veröffentlichungstermin: 20.04.2012

Spielzeit: 63:18 Min.

Line-Up:
Programmierung & Arrangment: Thomas Bücker
Label: Denovali Records

Homepage: http://denovali.com/bersarinquartett

Tracklist:
1. Niemals zurück
2. Zum Greifen nah
3. Im Lichte des Anderen
4. Der Mond, der Schnee und Du
5. Perlen, Honig oder Untergang
6. Einsame wandeln still im Sternensaal
7. Im Glanze des Kometen
8. Alles ist ein Wunder
9. Rot und Schwarz
10. Keine Angst
11. Hier und jetzt
12. Jedem Zauber wohnt ein Ende inne

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