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THE OCEAN: Gegen die unsterbliche Seele, für das Leben

"Heliocentric", der neueste Streich aus dem Hause THE OCEAN bietet wieder konkurrenzlos gutes Futter für Ohren, Herz und Hirn und zeigt, wie unbeirrbar Komponist und Gitarrist Robin Staps auch mit neuer Mannschaft seinen Weg weiter geht. Logisch, dass der auskunftsfreudige Berliner Rede und Antwort steht: Über eine Stunde sprechen wir neben Musik auch über Gott und die Welt – bei einem Textkonzept über die Veränderung von Religion im Laufe der Jahrhunderte ist das ja auch kein Wunder.

Heliocentric, der neueste Streich aus dem Hause THE OCEAN bietet wieder konkurrenzlos gutes Futter für Ohren, Herz und Hirn und zeigt, wie unbeirrbar Komponist und Gitarrist Robin Staps auch mit neuer Mannschaft seinen Weg weiter geht. Logisch, dass der auskunftsfreudige Berliner Rede und Antwort steht: Über eine Stunde sprechen wir neben Musik auch über Gott und die Welt – bei einem Textkonzept über die Veränderung von Religion im Laufe der Jahrhunderte ist das ja auch kein Wunder.
 


Hallo Robin, Heliocentric verändert sich immer noch beim Hören, was sehr interessant ist, da Precambrian zumindest bei mir sofort gezündet hat. Und du bist sowieso der einzige, der noch von diesem Line-Up übrig ist. Hast du
THE OCEAN runderneuert?

Ja, das kann man so sagen. Das war natürlich nicht geplant, aber das hat sich in den letzten zwei Jahren so ergeben. Aber der damalige Gitarrist und der ehemalige Schlagzeuger stiegen nach der Tour Ende 2007 aus, und somit arbeite ich seit zweieinhalb Jahren zumindest mit diesen Leute zusammen. Für mich sind das keine neuen Musiker, wir sind eine sehr eingespielte Liveband. Und somit ist das Precambrian-Line Up auch schon zu einer Art Steinzeit geworden.

Sehr interessant ist, dass deine gesamten Mitmusiker nun aus der Schweiz stammen.

Das hat sich so ergeben. Wir hatten schon auf der Tour mit THE BLACK DAHLIA MURDER im Jahr 2006 einen Mangel an Gitarristen. Schon zu diesem Zeitpunkt konnten die Leute per Internet bei uns vorspielen und Jona, unser jetziger Gitarrist, hat sich damals schon beworben und einen sehr guten Job abgeliefert. Wir haben ihn damals eingeladen und eine kleine Tour mit ihm gespielt. Dann ging unser Schlagzeuger Ende 2007, was sich auch schon angebahnt hatte, da er die Tourneen mit seinem Leben nicht mehr verbinden konnte. Da hatte Jona gleich Luc im Hinterkopf, der auch aus La-Chaux-de-Fonds stammt. Das war auch der beste Drummer, den wir damals ausprobiert haben. Dann kam auch unser neuer Bassist, ebenfalls aus dieser Gegend, dazu. Ich bin in diesem Bergkaff wirklich fündig geworden, was Musiker betrifft. Das sind genau die Musiker, die ich die ganzen Jahre in Berlin gesucht, aber nicht gefunden habe. Weil das ist typisch für Berliner, sie labern viel, machen aber wenig. Das ist in La-Chaux-de-Fonds anders, die Musiker dort sind sehr talentiert und wollen aus dieser kleinen Stadt auch raus. Sie haben das als Chance wahrgenommen und sich unglaublich reingehägnt. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Diese Besetzung hat sich jetzt so sehr gefestigt, dass ich sogar bereit bin das Songwriting teilweise an sie abzutreten.

Ich verfolge THE OCEAN ja seit euren Anfängen, und da gab es das noch nie, dass du das Schreiben der Musik in andere Hände gegeben hast.

Ja, das stimmt. Aber bisher gibt es das auch noch nicht. Heliocentric ist auch noch komplett aus meiner Feder, aber auf Anthropocentric, dem im Herbst erscheinenden Album, werden einige Lieder stehen, die Jona beigesteuert hat. Das ist wirklich ein Novum in der Geschichte dieser Band. Auf der US-Tour habe ich dann gemerkt, dass wir alle es gut finden, was wir machen, aber es soll auch nicht so sein, dass die Jungs bis ans Ende meine Musik spielen. Ich wollte ihnen dann auch eine Chance geben. In der Vergangenheit habe ich alles selbst gemacht, jeden Schlagzeugwirbel habe ich selbst programmiert, jetzt haben die Musiker viel mehr Freiheiten bei der Umsetzung. Ich habe mir von meiner Band anbieten lassen, was sie einspielen wollten. Luc ist natürlich ein viel besserer Schlagzeuger als ich und er hat Ideen, auf die ich nicht kommen würde. Und das ist auch für mich eine sehr bereichernde Erfahrung.

Wenn du mit lauter Schweizern unter eine Decke steckst, willst du auch eines Tages übersiedeln?

Nein, bloß nicht. Ich liebe Berlin und fühle mich dort zuhause. La-Chaux-de-Fonds ist nicht mein Platz, aber es ist zum arbeiten ideal, man ist wenig Ablenkung ausgesetzt und kann sich optimal auf anstehende Aktivitäten vorbereiten.

Musikalisch gesehen, bietet Heliocentric das, was ich erwartet habe. Ich war mir im Vorfeld sicher, dass THE OCEAN epischer, ruhiger und dynamischer werden würden. Für mich ist das eine ganz logische Entwicklung.

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Der neue Sänger im Ozean: Loïc Rosetti (links)

Ob es wirklich logisch ist, weiß ich nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob viel Logik in dem enthalten ist, was bei uns passiert. Die ganze Band scheint immer recht geplant und durchdacht zu sein, aber manche Entwicklungen ergeben sich einfach. Ich habe in den letzten zwei oder drei Jahren deutlich andere Musik gehört als in den Jahren zuvor und das hat sich ausgewirkt auf die Musik, die ich schreibe. Viele Leute haben gesagt, dass THE OCEAN jetzt ganz anders klingen, vor allem wegen dem Gesang. Das kann ich auch nachvollziehen. Und wenn wir mit einem neuen Sänger genauso klingen würden wie vorher, wäre es schlimm. Die Songs wurden allerdings geschrieben, bevor Loïc dazu kam, wir betreten einen Weg, der sich seit langem schon angebahnt hat. Auf den Touren vor zwei Jahren, als Precambrian noch recht frisch war, war ich mir schon mit den anderen Bandmitgliedern einig, dass wir in Sachen Gesang variabler werden wollen. An so einem Sänger mangelte es THE OCEAN bisher immer, aber mit dem Zugang von Loïc, sind uns diesbezüglich gar keine Grenzen mehr gesetzt. Wir können jetzt alles machen, was wir wollen, das ist ein sehr gutes Gefühl.

Die Stücke auf Heliocentric sind ja auch nicht auf Mikes Gesang ausgerichtet.

Nein, gar nicht. Ich habe die Songs im Sommer 2008 geschrieben, als sich bereits abzeichnete, dass die Zusammenarbeit mit Mike nicht ewig halten würde. Sie sind über einen recht kurzen Zeitraum von ungefähr drei Wochen entstanden, sie waren einfach plötzlich da. Ich habe dann gemerkt, dass es etwas ganz anderes ist als das, was wir für Precambrian hatten. Aber weil wir wussten, dass dieses Line-Up nicht bestehen bleiben wird, wollten wir uns auch nicht einengen und die Songs auf jemanden zuschneiden, der eh nicht bleiben würde.

Loïc hat einige grandiose Gesangslinien parat, die rein gar nicht nach Metal klingen, sondern nach Pop im weitesten Sinne. Ptolemy Was Wrong beispielsweise klingt nach sehr viel Arbeit im Bereich des Gesangs. Hast du diese Linien geschrieben, oder konnte Loïc sich da austoben?

Die Gesangslinien stammen alle von mir. Überhaupt muss dazu gesagt werden, dass Ptolemy Was Wrong das einzige Lied auf Heliocentric ist, das nicht von Loïc eingesungen wurde. Das war René Nocon, der auch schon auf drei Songs bei Precambrian zu hören ist. Das ist ein Kumpel aus Berlin, den wir eine Zeitlang als Sänger für THE OCEAN in Erwägung gezogen hatten. Sein Problem ist allerdings, dass er nur diese Stimmlage beherrscht, die dafür richtig gut. Aber die älteren Songs hätten so nicht funktioniert, eben weil er eine sehr soulige Popstimme hat. Aber ich wollte ihn unbedingt auf Heliocentric haben, und das war für ihn der perfekte Song. Ein Lied, das aus der Gesangslinie und dem Klavier heraus entstanden ist. Daran sieht man übrigens die andere Herangehensweise an dieses Album. Bei Precambrian kam der Gesang erst, als die gesamte Musik schon stand, hier war er von Anfang an mit dabei.

Seltsam, dass ich nicht gehört habe, dass es zwei verschiedene Stimmen sind.

Loïc und René haben schon ähnliche Stimmen. Und Loïc verwendet auch einige poppige Gesangslinien, wie bei Catharsis Of A Heretic oder Metaphysics Of The Hangman. Er ist eben auch kein Metalsänger, er hat einen etwas anderen musikalischen Background. Ihn inspirieren viel mehr TOOL oder NINE INCH NAILS und das hört man seiner Stimme auch an.

Das merke ich auch bei den brutalen Stellen. Da fehlt seiner Stimme etwas die Wucht und das Tiefe. Das hatte Mike besser drauf.

Das ist natürlich Geschmackssache. Mike war natürlich ein sehr guter Sänger, und vielleicht waren seine brutalen Vocals auch so gut, weil er Schlagzeug spielt. Daher war alles immer vollkommen im Rhythmus. Im extremen Bereich deckte er alle Facetten super ab, von tiefem Brüllen, bis zum hohen Kreischen. Aber in den klar gesungenen Passagen war er weit nicht so gut. Ich finde allerdings Loïcs Stimme auch sehr gut in diesem Bereich, es erinnert mich da viel mehr an CULT OF LUNA, aber da stehe ich auch sehr drauf. Meiner Meinung nach ist seine Schreistimme auch sehr mächtig und eigentlich ist es genau die Stimme, die ich für THE OCEAN immer gesucht habe. Es funktioniert mit den langen, epischen Songs sehr gut, aber nicht ganz so mit Legions Of Winged Octopi von Precambrian. Schnelle, gekreischte Vocals sind nicht seine Stärke. Aber davon abgesehen, war das immer die Stimme, die ich beim schreiben der Musik von THE OCEAN im Kopf gehört habe.

Eine meiner Erwartungen an Heliocentric wurde allerdings nicht wirklich erfüllt. Ich habe euch mit diesem Line-Up schon einige Male live gesehen und da ihr sehr gut eingespielt seid, dachte ich, dass auf dem Album etwas deutlicheres Bandfeeling aufkommt. Vielleicht liegt das aber auch wieder an den klassischen Instrumenten.

Ich habe bisher von vielen Leuten gehört, dass Heliocentric organischer klingt, als Precambrian und dieser Meinung bin ich auch. Es stimmt natürlich dass die klassischen Instrumente und die zwei, drei ungewöhnlichen Songs diese Stimmung etwas erweitern. Wenn zwischen den ganzen normalen Stücken dann wieder welche stehen hat, die hauptsächlich aus Klavier und Streichern bestehen, dann zerstört das die Kompaktheit, wenn man nur auf einen Sound ausgerichtet ist. Aber das wollen wir ja auch so haben. Wir wollen uns nicht auf einen Sound ausrichten. Ich glaube auch, dass man hört, dass jemand anders auf Heliocentric Schlagzeug spielt, als auf Precambrian, denn Luc hat einen sehr eigenen Stil, egal ob er Blast Beats oder zurückhaltend und langsame Stellen spielt. Bei den Gitarren ist es schwieriger das rauszuhören. Aber Drums und Gesang eben zeigen deutlich, dass es bei uns weiter geht. Beim nächsten Album wird das noch deutlicher werden, da daran auch mehr Leute mitgeschrieben haben, aber auch wahrscheinlich weil nicht mehr so viele Streicher darauf zu hören sein werden. Da werden wir mehr wie eine Einheit klingen.

Ich höre schon an den Gitarren, welche Band da spielt. Deine Songs haben schon seit Fogdiver und Fluxion eine ganz eigene Handschrift, das höre ich auch in Ptolemy Was Wrong.

Das freut mich zu hören. Ich finde auch, dass da ein roter Faden zu erkennen ist. Es kommt ja auch auf die musikalischen Ideen an, die vertont werden, da ist es egal, ob es eine verzerrte Gitarre oder eine Violine ist, die sie spielt. Zwischen Ptolemy Was Wrong und The Origin Of Species liegen in Sachen Sound eigentlich Welten, aber wenn man sich die Ideen an sich ansieht, ist das alles verwandt.

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Es ist schwer, einen überzeugenden Song zu schreiben, wenn man sich selbst auf die Mittel beschränkt. THE OCEAN haben auf Heliocentric nicht mehr eine Unzahl an Spuren pro Lied, sondern lernen sich selbst zu beschränken.

Ich kann mir vorstellen, dass nach anderthalb Jahren praktisch nonstop auf Tour es eine Erlösung war, die neuen Songs zu schreiben. Und dass du in dieser Beziehung ausgehungert warst, sieht man ja daran, dass Heliocentric in nur drei Wochen geschrieben wurde.

Nach fünf Monaten auf Tour, Anfang 2008 war ich ziemlich ausgebrannt und habe mich zurück gezogen, in ein schönes Haus am Meer in Spanien und habe die Gitarre in die Hand genommen und irgendwie sind nach kurzer Zeit die Songs alle da entstanden. Ich habe zu dieser Zeit Ghosts von NINE INCH NAILS rauf und runter gehört, und so ganz subtil hat sich das auf das Material ausgewirkt. Das hört man hier und da ganz leicht raus.

Jetzt erschließt sich mir einiges – das habe ich bisher noch gar nicht so gesehen. Passiert bei Dir eigentlich das Songwriting aus dem Bauch, oder aus musiktheoretischen Grundwissen heraus? Es kann natürlich auch sein, dass dieses professionelle Element erst durch die klassischen Instrumente in die Musik kommt.

Klingt es denn nach Theorie? (lacht)

Stellenweise ja.

Natürlich kommt die Musik nicht zu einhundert Prozent aus dem Bauch heraus. Wenn ich einen Streichersatz schreibe, dann höre ich mir das nachher nochmal genau an und vergleiche das mit dem, was ich mir eigentlich dabei gedacht habe. Aber in der Regel passiert das Songwriting durch ausprobieren, egal ob am Instrument oder am Rechner. Es steckt keine Planung dahinter, auch nicht wenn ich die Songs mit den klassischen Instrumenten ausarrangiere. Es kann sein, dass die ausschlagebende Idee eine Gitarre, ein Drumbeat, beides zusammen, oder wie bei Ptolemy Was Wrong einfach eine Gesangslinie ist. Die Startpunkte der Lieder sind jedes Mal unterschiedlich, und das macht es auch so spannend Musik zu schreiben.

Ihr wart in den letzten anderthalb Jahren mit vielen verschiedenen Bands unterwegs und da kommt es mir so vor, als hätten euch verschiedene Bands inspiriert. Ich denke jetzt an NAHEMAH, die auch Saxophon-Arrangements, wie in The Origin Of God verwenden.

Nein, NAHEMAH gar nicht, ehrlich gesagt. Es waren sehr nette Leute, und die Musik habe ich auch gut gefunden, aber so richtig mitgerissen hat mich ihre Musik nicht. Ich glaube, ihr Album habe ich seit der Tour gar nicht mehr gehört. Ich könnte mich auch gar nicht erinnern, dass NAHEMAH solche Parts haben.

Klar, das haben viele andere Bands auch im Programm.

Das Ende von The Origin Of God mit dem Saxophon ist sowieso in letzter Minute entstanden. Meine ursprüngliche Idee war ein sehr epischer Posaunenchor, das Saxophon kam danach und es spielte ganz spontan einige Passagen darauf, die wir dann zusammen geschnitten haben. Das war wirklich der letzte Schritt beim Schreiben dieses Songs, aber auch nicht wirklich geplant.

Beim ersten Hören war ich erst etwas enttäuscht, dass kein Saxophon zu hören ist, dann kam aber quasi in letzter Minute die Erlösung.

(lacht) Ich hatte lange Zeit ein Problem mit Saxophonen, irgendwie hatte ich wohl viel zu lange nur die schrecklichen Stücke gehört und nicht die großartigen. Das war immer ein eher anstrengendes Expressionsinstrument für mich. Erst in den letzten Jahren habe ich das zu schätzen gewusst. Das ist ja auch kein wirklich düsteres Instrument, sondern eher schreiend und brutal. Aber man kann damit auch sehr abgefahrene Sachen machen. Der Mittelteil von The Origin Of Species klingt eher nach Posaune, es ist aber ein Basssaxophon. Das kannte ich vorher noch gar nicht, und damit kann man noch ganz andere Sachen machen.

Die Gitarren klingen stellenweise sogar etwas nach Postrock.

Mit diesem Begriff kann ich nicht wirklich etwas anfangen, plötzlich stand er im Raum, aber eigentlich gibt es das schon recht lange. Ich glaube, das wurde mit der Transformation von ISIS erst so richtig modern, seine Musik so zu bezeichnen. Ich habe jedenfalls nichts gegen diese Musik, mag nur diesen Begriff nicht besonders. Ich mache das selbst schon einige Zeit, daher ist es für mich nicht besonders neu.

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Das Artwork zu Heliocentric von Martin Kvamme.

Apropos ISIS, Hall Of The Dead von Wavering Radiant hat eine Gesangslinie am Ende, die mich sehr an den Refrain von The First Commandment Of The Luminaries erinnert.

Wavering Radiant habe ich zum ersten Mal im November letzten Jahres gehört, aber das Album hat nicht so bei mir eingeschlagen, dass ich es mir gleich gekauft hätte. Aber zu diesem Zeitpunkt war der Gesang auch schon aufgenommen.

Es sind zwei kürzere Stücke auf Heliocentric enthalten, von denen ich Epiphany ehrlich gesagt etwas flach finde.

Das ist ein bewusst sehr simpel gehaltenes Stück, das hauptsächlich aus Klavier und Gesang besteht und sich beim Gesang langsam aufbaut und am Ende drei Stimmen hat, eine Geschriene ist davon im Hintergrund. Ich wollte auch nichts verstecken, hunderte von Spuren wollte ich nicht mehr verwenden. Ich habe versucht Songs zu schreiben, die relativ minimalistisch aufgebaut sind und Epiphany ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist sogar einer meiner Lieblingssongs auf Heliocentric. In der Vergangenheit habe ich Songs mit einer Unmenge an Spuren ausgestattet und viele Details versteckt, das ist auch ein starker Reiz und es gefällt mir, aber es ist nicht alles. Ich habe in letzter Zeit festgestellt, dass ich es früher gerne zu viel in die Songs gepackt habe. Es ist viel schwieriger die Songs zu reduzieren und die Ideen an sich auszuarbeiten und quasi nackt stehen zu lassen. Das ist krass, weil es schwer ist, einen überzeugenden Song zu schreiben, wenn man sich selbst auf die Mittel beschränkt. Das ist für mich bei Ptolemy Was Wrong und eben auch Epiphany, aber ich bin damit sehr zufrieden. Das wird vielleicht vielen Fans von Aeolian und Precambrian nicht gefallen, aber das ist mir eigentlich auch egal.

Jedenfalls muss ich Epiphany zugute halten, dass es einen schönen Kontrast zu Swallowed By The Earth und The Origin Of Species darstellt.

Ja, das war auch so beabsichtigt. Wir wollten auf Heliocentric stärkere Spannungskurven haben, und damit die entstehen, müssen die härteren Songs mit ruhigeren abgewechselt werden. NECROPHAGIST ist auch mal geil zu hören, aber irgendwann geht es einfach auf den Sack. Es ist großartig geschriebene Musik, aber irgendwann braucht man mal drei Sekunden Ruhe. (lacht) Irgendwann ballert das auch gar nicht mehr, weil die Ohren völlig abgestumpft sind. Und das ist eine der größten Herausforderungen, die sich mir stellt, und was auf dem nächsten Album noch mehr ausgebaut wird: Mit Dynamik zu arbeiten und das ganze Spektrum auszuschöpfen.

Firmament ist auch ein etwas minimalistischeres Stück, von dem ich anfangs dachte, dass es nur dahinplätschert, aber inzwischen ganz schön reinhaut.

Das zählt auch zu meinen Top Three auf Heliocentric. Das ist der klassische THE OCEAN-Song, darum wurde er auch als Eröffnungsnummer gewählt. Er fasst unsere Musik gut zusammen, und diejenigen, die unser bisheriges Material kannten, werden damit leichter warm werden, er deutet aber auch durch die Vocals die Richtung an, in die es jetzt geht.

Aufgenommen habt ihr auch in La-Chaux-de-Fonds mit Julien Fehlmann. Ist es das selbe alte Haus, wie jenes in dem von Ihms von SHELVING entstand? Heliocentric klingt nämlich rein gar nicht danach.

Ja, das ist sein Studio. Seit Jahren arbeitet er darin und hat dort schon sehr viele Sachen gemacht. Er kennt sich super aus und hat viele tolle Mikrofone, mit denen es wirklich brachial klingt, wenn sie richtig eingesetzt werden.

Wie lange habt ihr da aufgenommen?

Das passierte immer in Intervallen. Wir begannen im Juli 2009 mit dem Schlagzeug, hatten dafür zwei Wochen geplant, waren aber nach viereinhalb Tagen fertig. Im Anschluss waren die Gitarren dran, das haben wir aber zu Hause aufgenommen. Im Oktober habe ich mit Loïc in Berlin den Gesang aufgenommen. Und danach kamen die klassischen Instrumente, die wurden wieder in La-Chaux-de-Fonds eingespielt, die Trompete hingegen in Berlin. Die Streicher wurden übrigens in einem Theater in La-Chaux-de-Fonds aufgenommen, das war der ideale Rahmen dafür. Es war wirklich super, dass wir für jedes Instrument die besten Möglichkeiten wählen konnten. Das hat wirklich gut funktioniert.

Die klassischen Instrumente sind dieses Mal eher songspezifisch eingesetzt und dominieren die Musik nicht so sehr. Ich empfinde das als Reifezeugnis.

Das stimmt. Das ist im Prinzip eine Reduktion auf das Wesentliche, eben so, dass es noch songdienlich ist. Es gibt zum Beispiel bei The First Commandment Of The Luminaries nur eine Cellostimme, obwohl ich ursprünglich vier weitere geschrieben hatte. Diese verwarf ich allerdings wieder, weil es einfach nicht mehr brauchte. Das war bei den meisten Songs genauso. Bei Epiphany gibt es einen Kontrabass und zwei Bratschen, die haben zusammen gespielt und es hat ausgereicht. Ich habe festgestellt, dass eine Violine da gar nicht mehr notwendig ist. Auch The Origin Of Species, darin gibt es zwei Saxophone, das reicht vollkommen aus und trägt zum Songcharakter bei. Ich habe versucht für jedes Stück die optimale Instrumentierung zu finden.

Auf Precambrian war den klassischen Musikern genau vorgegeben, was sie spielen mussten. Wenn ich aber bei Heliocentric vor allem auf das Klavier höre, stelle ich fest, dass für die Gastmusiker mehr Raum zur Entfaltung war.

Unbedingt. Ich bin ja kein Pianist, ich kann auf diesem Instrument einen Song in groben Zügen schreiben, aber mehr auch nicht. Und gerade auf dem Album hat ein grandioser Pianist namens Vincent Membrez mitgearbeitet, mit dem es eine große Freude war zu arbeiten. Er hat sich Gedanken zu den Arrangements gemacht und das Album mit geprägt. Es gab wie in The First Commandment Of The Luminaries Stellen, die er Note für Note wie vorgegeben eingespielt hat, aber gerade Ptolemy Was Wrong hat er durch seine Ideen stark beeinflusst. Dabei fällt mir ein, dass Ptolemy Was Wrong und Epiphany die Stücke sind, für die wir am meisten Zeit im Studio aufgewendet haben. Die einfachsten Songs waren am aufwändigsten, vor allem im Bereich der Klavier- und Gesangsspuren. Das war die wirkliche Herausforderung an diesem Album, und das werden wir auch fortführen. Jedenfalls haben wir kürzlich die Release-Show mit Vincent gespielt und ich hoffe ihn auch weiterhin live dabei haben zu können. Hier und da wird er auf jeden Fall mitspielen, zum Beispiel am Friction Fest in Berlin.

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Um anderen Menschen zu helfen und ihnen Gutes zu tun brauchen wir keinen Gott. Robin Staps (Mitte) braucht keine Religion als moralische Instanz in seinem Leben.

Ist der Trompeter Hans Albert Staps, der auf Heliocentric zu hören ist, mit dir verwandt?

Ja, das ist mein Vater. Die Trompete ist auch in meinem Elternhaus aufgenommen worden. Mein Vater hat meinen musikalischen Werdegang von Kleinauf seit jeher immens gefördert. Er hat mir meine erste Gitarre gekauft und als wir unsere erste Hardcore-Band hatten, da waren wir vierzehn oder fünfzehn, fuhr er uns auf Konzerte und stand neben der Bühne und hat uns gefilmt. Er ist selbst Jazzmusiker und ein sehr guter Pianist. Für mich war es eine Ehre, dass er auf Heliocentric mitgespielt hat.

Ist er stolz auf den Werdegang seines Sohnes.

Ich glaube schon. Er hatte einige Zeit seine Zweifel, ob das, was ich mache, fruchtbar ist, aber er unterstützt das nach wie vor.

Dann lass uns mal einen krassen Schnitt machen, denn das Textkonzept wollen wir ja nicht vernachlässigen. Wie unschwer zu erkennen ist Heliocentric ein Album, dass sich mit dem Thema Religion befasst und wie sie sich im Laufe der letzten Jahrhunderte verwandelte, bis hin zum aufgeklärten Atheismus von Dawkins und seinen Kollegen. Denkst du, wir sind mit diesen Erkenntnissen am Ende der Aufklärungsskala angelangt?

Das würde ich mir wünschen, aber so ganz sind wir noch nicht angekommen. Ich bin deutlich auf der Seite von Dawkins, ich halte ihn für einen der größten Philosophen des Jahrhunderts, auch wenn er keiner sein will. Meiner Meinung nach ist Dawkins das positive Ende der Aufklärung, die Welt ist da, wo er ist. Ich denke, dass das, was den Menschen in seiner Entwicklung aufhält, die Religion ist. Wenn es uns gelingt, das abzustreifen, dann ist der Prozess der Aufklärung da. Aber so weit ist die Welt noch nicht.

Ich finde Dawkins teilweise sehr brutal, einfach damit er Gehör bekommt.

Ja, er ist brutal, aber das ist auch der Grund warum ich ihn so schätze. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, er stellt sich jeglicher Form von Diskussion, und in der Einleitung von Der blinde Uhrmacher sagt er es ganz deutlich: Um das vorantreiben zu können, bedarf es Leidenschaft. In diesem Sinne ist Der blinde Uhrmacher kein wissenschaftliches Buch. Dawkins bekennt sich bewusst dazu, und das macht ihn brutal.

Atheismus könnte unserer industrialisierten Gesellschaft helfen – doof gesagt – moralischere Werte zu finden. Damit meine ich, dass die Menschen dadurch erkennen, dass sie nicht die Krone der Schöpfung sind und sich nicht den Planeten einfach so Untertan machen sollen, und nachhaltiger vorgehen, da wir nur diesen einen Lebensraum haben.

Da stimme ich dir zu, ich habe nur ein Problem mit dem Begriff Moral. Ich zitiere aus dem Essay Gründe nicht an Gott zu glauben von Arthur Rimbaud, was auch genauso in Metaphysics Of The Hangman übernommen wurde: To protect ourselves from the superstitions of priests and moralists. And the trickery of evangelists; let us be done with the idea of moral law. Das hat mir damals die Augen geöffnet. Im Prinzip geht er wie Nietzsche davon aus, dass Gott tot ist und dass das Gespenst des Christentums zum sterben verurteilt ist, aber wir halten nach wie vor an diesen universellen Werten fest. Aber dazu gibt es eigentlich keinen Grund mehr. Viele religiöse Menschen machen das den Atheisten zum Vorwurf und fragen: Wo ist in eurem Weltbild Platz für moralische Werte? Rimbaud sagt, dass wir das nicht brauchen. Wir wissen alle ziemlich genau, was gut ist und was schlecht ist, auch ohne Gott. Um anderen Menschen zu helfen und ihnen Gutes zu tun, brauchen wir keinen Gott.

Metaphysics Of The Hangman ist sowieso der interessanteste Text auf Heliocentric, da wird über 1984 ein Vergleich zu den Kreationisten gezogen. Die restlichen Texte sind aber eher direkt, Swallowed By The Earth beschreibt beispielsweise den Kampf der Arterhaltung, richtig?

Das ist eine interessante Ansicht. Aber eigentlich ist das der einzige Text auf dem Album, der nichts mit dem Thema Religion zu tun hat. Wenn es wirklich ein Thema dafür gibt, dann ist es die Ewigkeit und das Verhalten auf dem Weg dorthin. Er sticht ein wenig aus dem Themenkomplex heraus, aber ich wollte ihn trotzdem auf dem Album haben. Ich verstehe aber, was du mit direkt meinst. Die ersten beiden Songs sind komplett aus der Bibel entlehnt. Firmanent ist aus dem Buch Genesis, den sich wirklich jeder durchlesen sollte, und The First Commandment Of The Luminaries stammt aus dem Buch von Enoch und behandelt das, was sich die Leute damals zur Anordnung der Himmelskörper gedacht haben. Ptolemy Was Wrong ist aus der Perspektive von Kopernikus und Gallilei zu sehen. Und bei The Origin Of Species und The Origin Of God landen wir schließlich bei Darwin und Dawkins.

Was glaubst du? Was passiert nach deinem irdischen Ableben mit deiner Seele?

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La-Chaux-de-Fonds ist nicht mein Platz. Robin bleibt in Berlin.

Gar nichts.

Du glaubst, es ist wie eine Glühbirne, die durchgebrannt ist?

So in etwa. Ich glaube, dass die Hoffnung auf die unsterbliche, ewige Seele schädlich ist und uns davon abbringt im hier und jetzt das zu tun, was wir wirklich wollen, zu Gunsten einer Hoffnung, dass nach unserem Tod irgend etwas Abstraktes passiert. Ich bin ein ganz vehementer Gegner der Idee des ewigen Lebens und der ewigen Seele. Ich glaube, um das Leben wirklich schätzen zu können, müssen wir den Gedanken an das ewige Leben aufgeben.

Da ist was dran. Wie wird eigentlich die neue Liveshow aussehen, habt ihr wieder etwas Spezielles in der Hinterhand?

Wir hatten vor kurzem unsere Release-Show in La-Chaux-de-Fonds, und da konnten wir zum ersten Mal so auftreten, wie wir es am liebsten immer machen würden: In voller Besetzung. Wir konnten mit vielen Musikern, die auf dem Album gespielt haben, zusammen auf der Bühne stehen, bei The Origin Of Species mit den Bläsern, mit einem Streichquartett und dem Pianisten. Es war ein monumentales Erlebnis am Bühnenrand zu stehen, und zu staunen wie Cryogenian zum ersten Mal live gespielt wird. Das war großartig und ich will das in Zukunft öfter machen. Auf Tour ist das schwierig, weil die Musiker alle bezahlt und untergebracht werden wollen, aber im Rahmen von Festivals kann man das schon aufziehen. Wir haben ansonsten neue neue Moving-Heads und Live-Visuals, die genau auf das Thema von Heliocentric abgestimmt sind. Diese Komponente wird in Zukunft größere Bedeutung haben, es geht verstärkt in eine audiovisuelle Richtung.

Als ich euch zuletzt, vor etwas über einem Jahr gesehen habe, habe ich schon gemerkt, dass damals die Luft etwas raus war. Mich hat das nicht so sehr mitgerissen. Aber mit dem neuen Material freue ich mich wieder sehr darauf euch zu sehen.

Das war für uns schon eine gute Tour, aber man hat immer starke und schwache Abende. Wir wussten zwar im Vorfeld schon, dass Mike uns danach verlassen wird. Im Endeffekt war diese Tour eine Art Anhängsel, die nach den ganzen Tourneen 2008 dazu kam. Es war auch klar, dass dies die letzte Tour zu Precambrian sein würde, wir hatten die Songs auch einfach tot gespielt. Daher ist es jetzt sehr erfrischend die neuen Stücke zu spielen und dazwischen mal Orosirian (For The Great Blue Cold Now Reigns) einzubauen. Das ist immer die Krux von Bands, die wenige Songs haben, die extrem beliebt sind, wie CONVERGE mit The Saddest Day. Sie müssen seit über zehn Jahren jeden Abend dieses Lied spielen und ich will es ja auch jedes Mal hören. Sicherlich nicht das beste, das sie je geschrieben haben, aber es hat Kultstatus und war seiner Zeit voraus. Das wollen die Leute natürlich immer hören. Es ist aber grausam für die Band, das jeden Abend als Zugabe spielen zu können.

Desweiteren organisierst du das Friction Fest in Berlin Anfang Mai mit. Da habt ihr ein wirklich tolles Line-Up aufgestellt.

Ich stecke da ganz tief mit drin. Ich bin einer von drei Organisatoren, und da gibt es einen Haufen Arbeit. Gerade in einer Stadt wie Berlin und mit einem Line-Up, das sehr gewagt ist. Wir hoffen, dass es funktioniert und dass die Leute da auch mitmachen. Immerhin sind es von uns handverlesene Bands, die wir im Rahmen eines solchen Festivals schon immer bei uns haben wollten. Wir gehen ein großes finanzielles Risiko ein, aber ich gehe davon aus, dass es funktioniert.

Immerhin ist bei diesem Line-Up für jeden was dabei.

Aber das ist kein Garant für den Erfolg des Festivals. Die Leute müssen den Preis für dieses Event auch zahlen wollen. Wir haben durch Gagen, Securities und so weiter, hohe Kosten, die wir reinholen müssen. Und einen großen Headliner gibt es leider nicht, nur eine Summe von kleineren Headlinern.

Ich war übrigens kürzlich in Berlin und habe dabei mitgekriegt, dass zwei Clubs wie das Knaack und das SO36 wegen neuen Anwohnern gekündigt wurden, zwei uralte Clubs und Kulturinstanzen. Ich hatte dabei den Eindruck, dass Berlin versnobt, oder täusche ich mich da?

Das kann ich so nicht bestätigen. Beide Fälle sind sicherlich tragisch, gerade beim SO36. Da geht es um einen Mieter, der neu zugezogen ist, und der sich gegen die ganze Solidargemeinschaft des Clubs gestellt und recht bekommen hat. Aber wenn es da ein Arschloch gibt, heißt es noch nicht, dass die ganze Stadt versnobt. Beim Knaack ist es ähnlich, die Stadt hat daneben ein neues Wohngebiet geplant, hätten sie aber eher mit dem Knaack kommuniziert, hätte ohne Probleme eine Lärmschutzwand eingezogen werden können. Die Mieter fühlen sich da wohl auch zurecht belästigt, mich würde es auch stören, wenn ich dort wohne und nebenan jede Nacht Lärm ist. Das hat jedenfalls die Stadt verbockt und die sollte auch dafür gerade stehen. Für die Konzertkultur sieht es momentan in Berlin nicht so gut aus, aber das ist vielleicht auch ein Anreiz mal einen neuen Laden aufzumachen.

Diese Lärmschutzgründe waren aber für den Untergang eures ehemaligen Domizils Oceanland nicht verantwortlich.

Nein, das war ganz anders. Der Vermieter hat uns den Mietvertrag gekündigt, weil das Gebäude saniert wurde. Neben Oceanland, steht ein riesiger Heizkessel. Die ganzen Rohre, die durch unseren Keller hindurch führten haben den Raum den ganzen Winter über kostenlos geheizt und es war noch dazu schön trocken. Aber daher war es schon seit längerem klar, dass dieses Gebäude saniert werden musste, und wir gekündigt wurde. Das war auch nicht wirklich tragisch für uns, da diese Zeiten vorbei sind. Wir proben inzwischen nur noch vor Aufnahmen und Touren in der alten Uhrenfabrik in La-Chaux-De-Fonds, das kostet uns genauso wenig wie in Berlin.

Fotos: (c) proghippie.com / Chantal Durante

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