ULVER am 8. Februar 2010 in der Volksbühne, Berlin

Ein visueller und musikalischer Tiefenrausch. Nicht makellos, aber unendlich bewegend.
 

Ich habe lange diesem Ereignis entgegen gefiebert und schließlich sitze ich im Flugzeug und mich trennen nur siebzig Minuten von Berlin. Und es gibt nur wenige Städte im deutschsprachigem Raum, die einer Band wie ULVER bessere Plätze bieten könnte. Die Norweger befinden sich nach den ersten Einzelkonzerten im Jahr 2009 auf ihrer ersten, einmonatigen Europatour und ich kann es beim Abendessen mit meinem Berliner Freund Moritz kaum fassen, dass es gleich losgehen wird und ich ULVER nach ein paar missglückten Anläufen 2009 doch sehen werde. Es ist kurz vor halb acht am Montag, den 8. Februar, und wir machen uns auf den Weg zur Volksbühne, wo wir unsere Fotografin Claudia und ihren Mann Didi treffen. Der Vorverkauf für den heutigen Abend lief richtig gut, es sind nur noch Resttickets an der Abendkasse erhältlich. Deshalb verwundert es, dass nicht allzu viele Konzertbesucher zu sehen sind. Aber die Volksbühne ist groß und der Großteil der Leute versammelt sich vor dem Merchandise-Stand, am anderen Bühneneingang. Auch sie können es kaum erwarten, diese Band zu sehen, die eine so große, starke und geheimnisvolle Aura umgibt. Schließlich wird es auf unserer Seite auch voll und um kurz nach 20:00 Uhr lässt das Personal das Publikum in den Saal. Die Überraschung: Die Volksbühne ist unbestuhlt, alle nehmen auf den Stufen Platz. Nicht gerade bequem, aber besser als bei so einem Konzert zu stehen. Denn das ist eine ganz besondere Performance und wird zu einem wirklich besonderen Abend. Das wird dem überraschend metallischen Publikum gleich deutlich werden.

 ULVER
Visuell zwischen überwältigend schön und kontrovers – die Performance von ULVER.

Die Bühne ist recht groß und hoch, eindeutig eine Theaterbühne. Diesen Platz benötigen ULVER auch, denn die sechs Musiker haben neben einem großen Drumkit, einem Stagepiano, Bass- und Gitarrenstack, Mischpult, verschiedenen Synthesizern und Macbooks auch noch eine Pauke, einen Gong und LED-Leuchten dabei. Die Höhe des gesamten Saals wird durch die Leinwand ganz aufgefüllt, die vor dem Konzert nicht weiß ist, sondern schwarz. In großen Buchstaben steht hier: ULVER – The Rest Is Silence. Und überraschenderweise kommen gleich ULVER selbst auf die Bühne, keine Supportband wird vorab verheizt. Schon um 20:20 Uhr betritt das norwegisch-britische Gefüge die Bühne, es wird dunkel und die Leinwand wird schwarz. Ganz unten ist ein kleiner roter Streifen zu sehen, der langsam aber sicher nach oben wandert und zu einer riesigen Sonne wird. Eos erhebt sich in voller, leiser Dramatik über die Zuschauer und stimmt auf das Konzert ein. Schwere Klänge sind das, was das minimalistische, aber unglaublich tiefe Album Shadows Of The Sun ausmacht. Und live funktioniert das prächtig, auch wenn die verwendeten Visuals dem Material andere Bilder zuteilen, als ich sie vom Hören des Albums her schon jahrelang im Kopf habe.

 ULVER
Nur eines von drei Notebooks auf der Bühne. Metal ist etwas anderes. Aber davon müssen sich ULVER glücklicherweise schon viele Jahre nicht mehr distanzieren.

Die Setlist beinhaltet einen recht guten Querschnitt durch zwölf Jahre ULVER, auch wenn es mit Plates 16 – 17 von Themes From William Blakes Marriage Of Heaven And Hell nur ein Alibistück gibt – der Fokus liegt also ganz klar auf neuerem und neuestem Material. Und dennoch scheuen sich ULVER nicht, auch unbekanntere Stücke live zu spielen, das Wichtigste ist, dass ULVER ein großes Gesamtwerk präsentieren. Dennoch sind Musik und Bild teils sehr unterschiedlich, also ist diese Operation nicht vollkommen geglückt. Glücklicherweise ist es größtenteils so, dass der Großteil des Bildmaterials aufeinander aufbaut. Was optisch geradezu poetisch und minimalistisch beginnt, steigert sich zu kontroversem Material, das bei den Liedern von Blood Inside seinen Höhepunkt findet und ein passendes Pendant zur fordernden Musik darstellt. Das gipfelt in einer Form der Selbstzensur, die so noch nie zu sehen war: WWII footage censored concering and considering the historical ground on which we stand. ULVER, Berlin February 8, 2010. Das gesamte Rock Massif vom Svidd Neger-Soundtrack über ist nur dieser Text zu sehen. Ein Argument gegen diese Selbstzensur mag sein, dass Zensur generell nichts in der Kunst verloren hat, was auch in For The Love Of God unterstrichen wird, daher könnte es genauso gut eine Provokation gegenüber dem Publikum sein. Aber vielleicht empfinden ULVER als Künstler auch einfach nur eine ganz normale menschliche Regung: Mitgefühl.

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Arbeiten konzentriert an den mannigfaltigen elektronsichen Details: Jørn (links) und Ole Aleksander (rechts)

Und somit überwiegt klar die Melancholie gegenüber der Provokation. Little Blue Bird ist so ein Beispiel. Und auch Funebre, Like Music, Porn Piece Or The Scars Of Cold Kisses und das abschließende Not Saved lassen durch viel vordergründigen Minimalismus an den visuellen und musikalischen Fronten viel Raum für Eigeninterpretation zu, und nicht selten rührt gerade das zu Tränen. Im Gegensatz dazu steht Hallways Of Always, das eine Reise durch die Milchstraße darstellt, ein Drogentrip, untermalt mit alchimistischen Zeichen und Formeln. Bizarr und gelungen, aber nicht immer wie aus einem Guss. Und genau hier ist noch Verbesserungspotential vorhanden. ULVER dürfte man es zutrauen in Zukunft vielleicht einen ganzen Film im Hintergrund laufen zu haben. Aber bleiben wir realistisch, die musikalische Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre kann visuell nicht in einem Jahr aufgeholt werden. Was ULVER allerdings wirklich beherrschen, ist es, ihren Songs auf der Bühne neues Leben einzuhauchen. Die Grundstimmung bleibt, aber es hat mehr Ecken und Kanten, die Musiker erlauben sich mehr kleine Experimente als auf CD. Vor allem Daniel O´Sullivans klassisch geprägtes Klavierspiel fällt hier oft auf. Daneben sorgen Jorn H. Svaeren, Tore Ylwitzaker und Ole Aleksander an den elektronischen Instrumenten und Mischpulten für ein urbanes Feeling, während Schlagzeuger Tim Petersen recht erdig und beherzt zulangt. Wenn Kristoffer G. Rygg dazu auch auf die Pauken schlägt, wird es laut und ausladend. Aber wenn sich seine Stimme zur Musik gesellt, so sanft und so sicher, aber doch ein kleines bisschen angegriffen, wie es bei einer Tour im Winter eben ist, dann ist die Essenz von ULVER wieder mehr als nur fühlbar und es ist zu spüren, was an dieser Band so besonders ist.

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Ein großer Gewinn für die Band – Neuzugang und Multiinstrumentalist Daniel O´Sullivan an Stagepiano, Gitarre und Bass.

Nach achtzig Minuten verabschieden sich ULVER mit großen Gesten, irgendwo zwischen Rockband und klassischen Musikern, höflich, aber distanziert. Gerade richtig, so dass die Fans Standing Ovations geben, und den Musikern beim anschließenden Händeschütteln in die Arme laufen. Die Setlist mag nicht perfekt sein, wie sollte sie auch? Irgendetwas wird jedem irgendwo gefehlt haben, aber ULVER haben alle mit in ihre Welt genommen und davon einen gelungenen Querschnitt präsentiert. Sofern keiner Black Metal erwartet hat, kann eigentlich niemand von diesem Ausnahmekonzert enttäuscht sein. Und wer glaubt, dass die Figur Garm heute demystifiziert wurde, der hat ULVER in den letzten Jahren nicht aufmerksam verfolgt.
Als ich am Dienstag auf dem Heimweg im Flugzeug vor mich hin döse, weiß ich bereits, dass Tags zuvor eines der besten Konzerte des Jahres war.

Setlist ULVER:
Eos
Let The Children Go
Little Blue Bird
Rock Massif Pt.1
For The Love Of God
In The Red
Operator
Funebre
Silence Teaches You How To Sing
Plates, 16 – 17
Hallways Of Always
Porn Piece Or The Scars Of Cold Kisses Pt. 2
Like Music
Not Saved

Bilder: (c) Claudia Knopf / cacophonia.de – Viele weitere Bilder bald online in unserer Gallery!
Layout: Captain Chaos

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