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FATES WARNING: Awaken The Guardian

Jeder einzelne der Songs dieses Albums hätte es verdient, daß man ihm einen Roman widmet. Nie zuvor gelang einer Band eine solch fesselnde, Kombination aus klassischem Heavy Metal und technisch anspruchsvollen Strukturen, die überdies mit einer ungemein dichten Atmosphäre aufwarten konnte.

Magie.

Ein Zauber, gewoben aus komplexen Strukturen, mystisch nachhallenden Akustik-Gitarren, ebenso kryptischen wie faszinierenden Texten und einem Sänger, der mit hoher Stimme und einem unvergleichlichen Gespür für außergewöhnliche (außergewöhnlich = jenseits des Gewöhnlichen, abseits ausgetretener Pfade) Melodien und betörende Harmonien einen Hauch der fremden Welt zu atmen scheint, die auf dem atmosphärischem Cover abgebildet ist. Das ist “Awaken The Guardian” – einstweiliger künstlerischer Höhe- und gleichsam Wendepunkt einer der talentiertesten Bands, die je zur kommerziellen Erfolglosigkeit verdammt war: FATES WARNING.

Schon “The Spectre Within” hatte andeuten können, dass die Band um das eigenwillige, introvertierte Genius Jim Matheos zu weit mehr in der Lage war, als “nur” eine amerikanische Musik-Skizze dessen zu zeichnen, was britische Bands wie IRON MAIDEN zu Vorreitern einer Bewegung wie der New Wave of British Heavy Metal, kurz NWOBHM, gemacht hatten. Nichts anderes war das Debüt “Night On Bröcken”. Mit “The Spectre Within” aber und darauf enthaltenen Epen wie “The Apparition” oder “Epitaph” betraten FATES WARNING musikalisches Neuland. Doch “Awaken The Guardian” öffnete die Pforte in eine andere Dimension…

Die Musik auf “Awaken The Guardians” ist geradezu magisch

Behutsam rollen sie heran, die ersten Klangwogen von “The Sorceress”, akustische Vorboten eines riffbetonten Midtempo-Songs, der den Hörer plötzlich und unvermittelt mitreißt in eine Welt der Magie und Mythen: “I search alone, dark the night, deep the blackest forest,/down the devil’s hopyard on my way from Salem I lit a fire/Magical brimstone sparks ashes from the hazel wood/Dancing with the banshee, fire rose up to the sky”. Die geheimnisvollen Verse, von John Archs einzigartiger Stimme intoniert, erklingen aus der Ferne, treiben durch die Nacht und erfüllen den Raum mit unwirklicher, und doch so intensiver Präsenz… In diesem traumgleichen Zustand geschieht es: Ungewöhnliche, fast schon dissonante Gitarrenklänge erklingen, abrupte Rhythmuswechsel folgen, darauf ein durch seine Gesangslinien seltsam orientalisch anmutendes Zwischenspiel, wundervolle Harmonien und schließlich ertönen einmal mehr die vertrauten Riffs der ersten magischen Minuten dieses Albums. Und es folgen noch so viele weitere…

So “Fata Morgana”, eines der wenigen Stücke, die FATES WARNING noch live präsentierten, als Jim Matheos von “Awaken The Guardian” längst nichts mehr wissen wollte. Phantastisch, wie Vocals und Gitarren einander umkreisen, miteinander spielen. Wie die Riffs um die eigenwilligen Gesangslinien Archs umherzutänzeln scheinen… diese eigenwilligen, wundervollen Gesangslinien, die immer wieder von einfachen und doch so majestätischen Harmonien umrankt werden. Nein, John Arch benötigte keine pompös angelegten Choräle. Die Größe, die andere in einem Meer aus Tonspuren suchen, wohnt seinen Melodien inne.

FATES WARNING versetzen uns wie in Trance

Und welcher Song könnte das besser belegen als “Guardian”, eines der ergreifendsten Stücke, die je unter dem Banner des “Heavy Metal” auf einem Tonträger zu hören waren? Purpur schimmernd perlen die Akustik-Gitarren durch den Klangkosmos, der sich zwischen Dieseits und Jenseits aufzutun scheint… Engel gleiten geräuschlos durch die Nacht, benetzen den kargen Felsboden mit funkelnden Tränen der Liebe und der Trauer… wuchtige Riffs erklingen, mächtigen Kathedralen gleich schießen sie empor – Klangsäulen, die der fremden und doch so eigentümlich vertraute Umgebung Kontur verleihen.

Und dann erklingt sie wieder, die Stimme, erzählt die verschlungene Mär der menschlichen Seelen und ihrer Wächter, berichtet von Träumen und Tod, von Schuld, Trauer und Hoffnung – und von der Liebe, die über die Vergänglichkeit des Daseins hinausreicht: “I had a dream I was you/strong as the fire in your veins/ then when I called out your Name/I would remain and witness the pain/I am beyond silent black I will be back/As your guardian”. Unendlich süß und unendlich traurig, voll Wehmut und Melancholie und reiner, erhabener Schönheit tragen die Melodien und Harmonien Archs den Hörer durch diese seltsame Welt am Rande der Wirklichkeit. Und wenn nach über sieben Minuten die letzten Töne diese musikalischen Monuments verhallen, kommt es dem Erwachen aus einer Trance gleich…

Nie zuvor gelang einer Band eine solch fesselnde Kombination aus Heavy Metal und technisch anspruchsvollen Strukturen

Jeder einzelne der sieben Songs (zuzüglich dem Instrumental “Time Long Past”) dieses Albums hätte es verdient, dass man ihm einen Roman widmet. Sei es nun “Giants Lore (Heart Of Winter)”, eine Umsetzung des ergreifenden Oscar Wilde-Märchens “The Selfish Giant”, das düstere “Prelude Of Ruin” oder “Exodus” mit seinen betörenden Melodien: Sie alle belegen, warum “Awaken The Guardian” damals wie heute einzigartig war respektive ist. Nie zuvor gelang einer Band eine solch fesselnde, Kombination aus klassischem Heavy Metal und technisch anspruchsvollen Strukturen, die überdies – nicht zuletzt dank der phantasievollen Texte – mit einer ungemein dichten Atmosphäre aufwarten konnte. Und die heute nicht minder fasziniert als damals.

Magie eben.

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