SEPULTURA: Dante XXI

Genial! Aber mit kleinen Schwächen…

Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren! – so lautet das wohl bekannteste Zitat aus Dante Alighieri´s Die Göttliche Komodie, dessen Vertonung sich SEPULTURA mit ihrem neusten Album Dante XXI widmen. Der Spruch prangt dort an den Pforten der Hölle. Welche Hoffnung soll nun der Fan fahren lassen, wenn er die neue Platte der Brasilianer hört? Die auf ein kompromissloses, kraftstrotzendes und primitives Album, wie sie die Konkurrenzveranstaltung SOULLFY in schöner Regelmäßigkeit vorlegt? Um ehrlich zu sein, habe ich diese Hoffnung schon seit Nation fahren lassen. Vielleicht war es aber auch mehr eine Befürchtung. Das primitive Element ist mit MAX aus der Band verschwunden und lebt nun sein eigenes Leben. Und das auch ziemlich gut. Der Rest-Band und Kommissar DERRICK bleibt also nur, sich auf ihre restlichen Stärken zu besinnen. Und die sind das Schreiben von starken, eingängigen und trotzdem vielschichtigen Songs, mit einer starken disharmonische und chaotischen Schlagseite, und das Experimentieren. Und endlich machen sie all dies auch wieder. Nach den letzten durchwachsenen und etwas zerissen wirkenden Alben hat man bei Dante XXI schon beim ersten Durchlauf den Eindruck, ein Album aus einem Guss zu hören. Auf diese Art erinnert dieses Album am stärksten von allen Alben aus der Post-Max-Ära an das Überwerk Roots, ohne wirklich so zu klingen oder dessen Klasse zu erreichen. Aber das kann man auch nicht wirklich erwarten, das ist eben das SLAYER-Syndrom: Mach watte wills, aber es wird NIE so sein wie Reign in Blood! Bei SEPULTURA ist es ja dann noch zusätzlich so, als hätte KERY KING heute eine Band, die immer wie Angel of Death klingt, und JEFF HANNEMANN eine Band, die lieber wie Criminally Insane klingt. Und TOM ARAYA geht stattdessen in die Kirche. Aber ich schweife ab…

Die literarische Vorlage beschreibt die Reise eines lyrischen Ichs durch die 9 Kreise der Hölle, die sieben Terrassen des Fegefeuers und schließlich die 9 Sphären des Himmels, um am Ende die Klarheit Gottes zu sehen. Unterwegs sieht er allerlei interessante Szenen, vor allem die extrem brutalen Bestrafungen der verschiedenen Sünder. (Dabei muss man sich fragen, wieso CANNIBAL CORSPE sich dieses Stoffes nicht schon längst mal angenommen haben… ). Das Ich erfährt selber Läuterung beim Durchqueren des Fegefeuers und darf dafür, und auch weil er trotz der ganzen Erlebnisse seinen Verstand und seinen Glauben nicht verloren hat, die besagte Weisheit im Himmelszentrum erfahren. Trotz aller mittelalterlichen Religiösität oder Spritualität hat es Dante verstanden, eine Menge Tagespolitik und Systemkritik – auch an der Kirche – in sein Werk einzubauen. Und genau dort ist der Ansatzpunkt für SEPULTURAs Interpretation der Vorlage. Die Szenerien und figürlichen Vorlagen werden auf das aktuelle Geschehen übertragen und allein textlich ist diese Platte schon absolut überzeugend. Nur ein Beispiel: Die drei Tiere, die am Anfang der Vorlage dem Ich den Weg zurück versperren und für Hoffart, Habgier und Wollust stehen, stehen hier für US, UK und UN. Es lohnt sich wirklich, die Texte genauer zu lesen und mit der Vorlage zu vergleichen.

Aber zur Musik…

Der erste Song Darkwoods of Error ist ein überraschend wüster Thrasher, überzeugt durch geile Riffs und knackige Kürze. Überhaupt ist das Album gespickt mit wirklich geilen Riffs und Parts, und man hat den Eindruck, das nicht nur an dem Konzept, sondern auch an der Musik sehr lange gefeilt wurde. Dante XXI ist eher ein einziger überlanger Song. Die auf den letzten Platten zuhauf vorkommenden überflüssigen Riffs und Songs sind nicht mehr zu finden, die ganze Platte klingt wie ein Kondensat der besten Stellen der letzten Platten, inklusive Roots. Im Prinzip ist kein Ausfall zu finden und das bei durchaus hohem Niveau. Erste Höhepunkte der Platte sind sicherlich City of Dis, im Hüpf-Tempo und mit schönem, tiefem Riffing auf den dicken Saiten, sowie sehr gelungenem Disharmonie-Part am Schluss, das direkt anschließende schnelle, thrashige False mit schönen Roots-mässigen Gitarren-Gequieke-Melodien über dem fetten Grundriff und effektvollen Bläser-Einsätzen im wirklich geilen, langsamen Schlusspart. Im Prinzip geht es so gut weiter, wie gesagt, ein Guss und keine Ausfälle. Pausen gibt es auch keine, so dass diese Platte förmlich zum Komplett-Durchhören zwingt und genau so sollte ein Konzept-Album auch sein. Jeder Song ist wirklich gelungen, packend und überzeugend. Dabei wird auch mal mit Bläsern und Streichern experimentiert, es gibt interessante Intros und Instrumental-Parts, viel Thrash, viel modernes Riffing, gute Strukturen und packende Arrangements. Einfach guter Metal mit Hirn, geilen Gitarren, aussergewöhnlichen Ideen, interessanter Rhythmik und sehr gutem Gesang. Also alles was man so will, und trotzdem…

Dante XXI braucht definitiv mehrere Anläufe zum Durchstarten, aber auch dann bleibt immer ein ganz kleines bißchen Zwiespalt zurück. Ein zwar wirklich sehr, sehr kleines bißchen, aber man hat doch ständig das Gefühl, die Platte könnte noch besser sein. Etwas mehr Aggression hier, etwas mehr Power da… Das Album klingt nach Zurückhaltung.

Der etwas mumpfelige Drum-Sound, vor allem der Toms, und die irgendwie, naja, unaufdringliche Produktion schmälern das Hörvergnügen ausserdem. Das Gefühl, dass die Platte eigentlich viel brutaler und druckvoller klingen möchte, aber nicht darf, wird dadurch noch verstärkt. Vielleicht ist das ja auch ein beabsichtigtes Mittel der Abgrenzung, wer weiß…

Trotzdem ist Dante XXI für mich ein gelungenes Comeback (Ja, Comeback!) und wenn man sich auf das Album einlässt, es wirken lässt, zieht es einen schon durch seine fantastischen und facettenreichen Songs, aber vor allem durch seine Gesamtwirkung (inkl. des gelungenen Artworks) in den Bann und lässt auch so schnell nicht mehr los. Trotz des schwierigen Zuganges, entwickelt die Platte mit der Zeit eine erstaunliche Direktheit, um gleichzeitig an Tiefe zu gewinnen. Allein dieses Kunststück ist schon bewundernswert. Die Brasilianer haben trotz der genannten Schwachpunkte ein Album geschaffen, dem man sich kaum entziehen und bei dem man einfach keinen Song überspringen kann. Man sollte ohnehin das Song-Konzept ein wenig aussen vor lassen, das textliche Konzept auch musikalisch annehmen und man entdeckt einen langen, fantastischen Songs namens Dante XXI.

Fans werden ohnehin begeistert sein, aber auch jeder, der SEPULTURA in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren hat, sollte mit diesem Album zurück gewonnen werden. Bei mir hat es funktioniert.

Veröffentlichungstermin: 17.03.2006

Spielzeit: 39.05 Min.

Line-Up:
Andreas Kisser – Guitars

Igor Cavalera – Drums

Derrick Green – Vocals

Paulo Xisto – Bass

Produziert von Sepultura
Label: Steamhammer

Homepage: http://sepultura.uol.com.br/v6/

Tracklist:
1. Lost (intro)

2. Dark Woods of Error

3. Convicted in Life

4. City od Dis

5. False

6. Fighting on

7. Limbo (intro)

8. Ostia

9. Buried Woods

10.Nuclear Seven

11.Repeating the Horrors

12.Eunoé (intro)

13.Crown and Miter

14.Primium Mobile (intro)

15.Still Flame

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