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VIPER: 20 Years – Living For The Night [DVD] [Brasilien-Import]

Nüchtern betrachtet ist diese DVD bild- und tontechnisch enttäuschend und inhaltlich bestenfalls lückenhaft. Aber als Fan bin ich froh über die äußerst informativen Interviews zur Bandgeschichte und über jede Sekunde des Livevideos aus dem Jahre 1993.

Nüchtern betrachtet ist diese 2005 veröffentlichte DVD bild- und tontechnisch enttäuschend und inhaltlich bestenfalls lückenhaft. Aber wie soll ich sie nüchtern betrachten, wenn ich schon geglaubt hatte, nie wieder etwas von der Band zu hören? Wenn ich beim ersten Clubkonzertbesuch meines Lebens (am 9. Mai 1993 in der Rockfabrik Ludwigsburg) von der energiegeladenen Show der Brasilianer derart begeistert war, dass erst viele Jahre später SADIST, WATCHTOWER und die HOOTERS mit ihnen konkurrieren konnten? Wenn ich die ersten drei VIPER-Alben auch heute noch regelmäßig mit Freude anhöre und verklärt an meine Jugend zurückdenke?

Also weg mit der Objektivität und Bühne frei für einen Rückblick auf 20 Jahre Metal made in Brazil. Knapp eine Stunde lang rekapitulieren sämtliche Bandmitglieder die VIPER-Chronik. Wer kein Portugiesisch spricht, bekommt immerhin englische Untertitel und kann so dem Mosaik der Erinnerungen folgen. Die Anfänge der Band Mitte der 80er sind einerseits sehr amüsant, andererseits auch verblüffend naiv. So muss man schmunzeln, wenn man hört, dass Andre Matos (ex-ANGRA, SHAMAAN) ursprünglich aufgrund seiner optischen (!) Ähnlichkeit mit Bruce Dickinson als Sänger engagiert wurde. Alle Beteiligten geben sich im höchsten Maße bescheiden, was im ersten Moment irritierend wirkt. Nach und nach erkennt man aber, dass VIPER tatsächlich nie etwas anderes waren, als ein Haufen Freunde, die gemeinsam musizierten. Da wurde auch die ganze Band auf Eis gelegt, als Felipe Machado für ein Jahr als Austauschschüler in die USA ging. Die Besetzungswechsel wirken rückblickend weit weniger dramatisch, zumal offensichtlich nie böses Blut floss und alle Beteiligten nun bei dieser DVD mitwirkten. Wenn man den Ausführungen lauscht, versteht man auch besser, warum die Band nach dem Ausstieg von Andre Matos keinen neuen Sänger suchte, sondern Bassist Pit Passarell den Mikrofonjob übernahm. Weiterhin wird deutlich, wie jung die Musiker zur Zeit ihrer Erfolge in Brasilien und Japan waren. So fand die Auflösung der Band nach der Veröffentlichung des Albums Tem Pra Todo Mundo (1996, bedingt durch eine Plattenfirmapleite und dem darauf folgenden Rechtsstreit) nicht mitten in deren Leben, sondern eher am Ende ihrer Jungendzeit statt. Mit einer gesunden Portion Humor schauen die sichtlich gereiften (d.h. überwiegend kurzhaarigen) Bandmitglieder außerdem auf allerlei Episoden zurück wie z.B. die erste Begegnung mit Produzenten-Legende Bill Metoyer am Flughafen (Er trug Hausschuhe!), den Auftritt im Vorprogramm von MOTÖRHEAD oder das Debüt-Release-Konzert, bei dem Andre Matos mit einer als Showeffekt gedachten Fackel beinahe einen Großbrand auslöste. Am Ende deutet sich außerdem die Wiederbelebung der Band an, welche 2005 ein starkes Demo aufnahm, diverse Konzerte spielte und dieses Jahr in ihrer Heimat die CD All My Life veröffentlichte. Abgerundet wird dieser Teil der DVD durch eine kurzweilige Fotoshow zu den Klängen der atemberaubend schönen Ballade The Spreading Soul.

Soweit ist die (ohne erkennbaren Region Code ausgestattete) DVD ein exzellentes Zeitdokument, das auch produktionstechnisch keine Wünsche offen lässt. Die sieben enthaltenen Videoclips gehören zwar nicht zu den Sternstunden des Musikfernsehens, bleiben dank der Musik aber durchaus interessant. Leider gibt es hier Lücken, da zumindest zu A Cry From The Edge und 8 de Abril ebenfalls Videoclips gedreht wurden. Vom Monsters of Rock-Auftritt 1994 ist lediglich ein Song enthalten, was angesichts der beeindruckenden Kulisse (ca. 30000 Metal-Fans) ziemlich schade ist. Immerhin gibt es noch den Live in Tokyo-Teil, welcher insgesamt acht Songs umfasst. Da ich nie gedacht hatte, dass ich ein derartiges Videodokument einmal zu Gesicht bekomme, war meine Freude entsprechend groß. Die Band ist bestens aufgelegt und beim Anschauen kommen viele verloren geglaubte Erinnerung in mir hoch. Seinerzeit klangen VIPER frischer als alle anderen Bands und strotzen nur so vor Energie. Gleichzeitig besaß die Musik jede Menge großartiger Melodien und hatte einen kleinen exotischen Touch, der sie vom üblichen Melodic Metal-Einheitsbrei abhob. Pit Passarell kämpft besonders bei den Songs von Theatre Of Fate mit dem Gesang, was aber weniger stört, als man denkt. Denn statt tonaler Perfektion wird einem eine schweißtreibende Liveshow geboten mit sensationellen Gitarrensoli und viel Bewegung auf der Bühne. Leider stammen das Bild wie auch der Ton offensichtlich von einer Videokassettenkopie. So fehlen im Vergleich zur Live – Maniacs in Japan-CD nicht nur sechs Stücke, sondern auch der satte Sound. Macht man sich die Mühe und synchronisiert das DVD-Bild mit dem CD-Ton, wirkt das Geschehen noch einen Tick eindrucksvoller.

Wie geschrieben bin ich froh, dass die DVD in dieser Form veröffentlicht wurde und mir seinerzeit bei KIT-Plattenbörse in die Hände fiel. Bei aller Freude werde ich jedoch das Gefühl nicht los, dass hier noch mehr drin gewesen wäre. Schließlich traten VIPER zu Lebzeiten in allerlei TV-Sendungen auf und hätten in ihren Privatarchiven sicherlich auch ein paar ältere Videoaufnahmen gehabt. Ein paar sehr kurze Ausschnitte bekommt man während der Interviews zu sehen. Die Filmqualität ist zwar recht bescheiden, was angesichts der historischen Einmaligkeit aber nicht weiter stört. Mehr davon hätte sicher nicht geschadet.

Trotz der Lückenhaftigkeit ist 20 Years – Living For The Night eine sehenswerte Angelegenheit – sowohl für Fans, als auch für Leute, die Heavy Metal einmal mit einer etwas anderen, brasilianischen Attitüde erleben wollen.

Spielzeit: 113:56 Min.

Line-Up:
Pit Passarell: Gesang, Bass
Felipe Machado: Gitarre
Yves Passarell: Gitarre
Renato Graccia: Schlagzeug
Andre Matos: Gesang
Guilherme Marin: Schlagzeug
Val Santos: Schlagzeug, Gitarre
Label: Gabaju Records

Homepage: http://www.viperbrazil.com

Tracklist:
– Interviews zur Bandgeschichte (51:31 Minuten)

– Live in Japan, 18. Juni 1993 (35:55 Minuten)
1. Coming From The Inside
2. To Live Again
3. The Shelter
4. A Cry From The Edge
5. Dead Light
6. Evolution
7. Living For The Night
8. Rebel Maniac

– Videoclips (26:30 Minuten)
1. Rebel Maniac
2. Dead Light
3. Evolution
4. Coma Rage
5. I Fought The Law
6. Not Ready To Get Up
7. Rebel Maniac (live at Monsters of Rock 1994)

– Discography

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