RAMMSTEIN: Völkerball [DVD/CD]

"Völkerball" kann man getrost als Maßstab kommender Live-Mitschnitte bezeichnen, da hier keine nach zehn Jahren gelangweilten Musiker ihre Standards runterrotzen, sondern sechs Unikate ihr Schaffen nach wie vor als Gesamtkunstwerk inszenieren – stilsicherer und gekonnter denn je.

Ob sich das die Römer vor zweitausend Jahren hätten träumen lassen, dass dereinst sechs wilde, schwarzgekleidete Germanen ihre Arena von Nîmes mit etlichen Dezibel und zehntausend springenden Menschen auf eine überaus ruppige Belastungsprobe stellen würden? Nun, die Baukunst der alten Architekturkünstler hat auch RAMMSTEIN überstanden, obwohl der Konzertmitschnitt aus Nîmes, der das Kernstück von Völkerball bildet, zeigt, wie die Band Mensch und Material Unglaubliches abverlangt. Einhundert Minuten lang dröhnen die Gitarren, sprühen die Feuerfontänen, peitscht Till Lindemann mit unterkühlten und doch souveränen Gesten die Zuschauer bis zum letzten Winkel des Ovals zur völligen Verausgabung.

Jeder der zwanzig Songs, manche in einer zweiten Version getreu dem Motto Reise, Reise noch in Mitschnitten aus London und Tokio enthalten, entwickelt einen unwiderstehlichen Sog, dem man sich selbst auf der heimischen Fernsehcouch nur schwerlich entziehen kann. Auflockerung bringt lediglich die ebenfalls enthaltene Hommage an Moskau beim dortigen Konzert. Die hektische Schnittfolge lässt dem Auge keine Gelegenheit zur Verschnaufpause, stets jagt der Blick von Musiker zu Musiker, von aufgerissenen Mündern der jubelnden Zuschauer zum nächsten Pyroeinsatz. Gelegentlich vermisst man hierbei die Möglichkeit, das Konzert in der Totalen kurz auf sich wirken zu lassen, doch ansonsten fällt es schwer, Kritikpunkte an diesem rundum gelungenen Package zu üben, zumal sich auch die Zusatzausstattung mehr als nur sehen und hören lassen kann: Die Audio-CD bietet 75 Minuten der gleichen Show, der Special Edition liegt zudem eine DVD mit zwei Dokumentationen bei, die die Band erstaunlich facettenreich, nachdenklich und doch nicht verkopft porträtieren. Dabei gelingt es sowohl der Tour-Doku Anakonda im Netz als auch der Making of Reise, Reise-Doku, die Mechanismen in dieser Band spürbar zu machen und Erklärungsansätze zu liefern, warum gerade diese sechs Herren so dermaßen erfolgreich geworden sind.

Was immer wieder beim Betrachten von Völkerball deutlich wird, ist nämlich der Hang der Berliner zur Perfektion. Da sitzt jeder Schlag, begleitet von der ein oder anderen mittelschweren Explosion, da ist jede Geste symbolhaft aufgeladen. Show, Musik und Texte sollen zu einer Einheit verschmelzen, so formuliert der Manager der Band in der Anakonda im Netz-Dokumentation das Ziel, das bei dieser Routine und Konsequenz zu 110 Prozent erreicht wird. Der Vorteil der Live-DVD ist hierbei natürlich die Möglichkeit, sich an die Musiker heranzuzoomen und ihr Mienenspiel zu sezieren – und selbst hier, wo beim Konzert gerade mal ein paar erschöpfte Gestalten aus der ersten Reihe noch Details erkennen können, ordnet sich jeder Wimpernschlag, jedes Muskelzucken dem Gesamtwerk unter. Besonders auffällig springt immer wieder Keyboarder Flake über die Bretter. Mal steigt er funkensprühend aus dem Mein Teil-Kochtopf, dann wieder fährt er bei Amerika mit dem Monowheel inklusive Keyboard über die Bühne, um bei Los aus Mangel an Beschäftigung einen Schuhplattler aufs Parkett zu legen. Fast schon wünscht man sich eine Extra-Keyboarder-Cam, um diesem Original durch ein komplettes Konzert zu folgen. Gut, die Frage, warum ein deutscher Musiker in Frankreich unbedingt mit Stahlhelm oder Stechschritt auf die Bühne kommen muss, kann nach wie vor nur mit einem Hang der Band zur gelegentlichen Geschmacklosigkeit und einem falsch verstandenen Begriff von Provokation erklärt werden, doch die von Anfang bis Ende vor Ironie nur so triefende Inszenierung der Band – so betritt Gitarrist Paul Landers die Bühne in einer geschwärzten Krachledernen und mit Gamsbarthut – nimmt selbst diesen Elementen ein Stück weit ihre Problematik. Betont versöhnlich wird der Titel Völkerball ausgelegt, indem man Fans der Band aus allen Winkeln der Welt beim gemeinsamen Absingen der Texte beobachten kann und Missverständnisse in den Interviews ausgeräumt werden.

Abschließend kann man Völkerball getrost als Maßstab kommender Live-Mitschnitte bezeichnen, da hier keine nach zehn Jahren gelangweilten Musiker ihre Standards runterrotzen, sondern sechs Unikate ihr Schaffen nach wie vor als Gesamtkunstwerk inszenieren – stilsicherer und gekonnter denn je.

Veröffentlichungstermin: 17.11.2006

Spielzeit: 285 Min. (Special Edition) Min.

Line-Up:
Richard Kruspe – Gitarre
Paul Landers – Gitarre
Till Lindemann – Gesang
Flake Lorenz – Keyboards
Oliver Riedel – Bass
Christoph Schneider – Schlagzeug

Produziert von Emanuel Fialik
Label: Universal

Homepage: http://www.rammstein.de

Tracklist:
DVD 1:
Reise, Reise
Links 2 3 4
Keine Lust
Feuer frei!
Asche zu Asche
Morgenstern
Mein Teil
Stein um Stein
Los
Du riechst so gut
Benzin
Du hast
Sehnsucht
Amerika
Rammstein
Sonne
Ich will
Ohne dich
Stripped

DVD 2:
Anakonda im Netz (Doku)
Making of the album Reise, Reise

CD:
Intro
Reise, Reise
Links 2 3 4
Keine Lust
Feuer frei!
Asche zu Asche
Morgenstern
Mein Teil
Los
Du riechst so gut
Benzin
Du hast
Sehnsucht
Amerika
Sonne
Ich will

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