ULVER und VOID OV VOICES am 23. Februar 2010 in der Arena, Wien

ULVER verwandeln Wien für einen Abend in die Hauptstadt der Melancholie. Ein atemberaubend schönes Konzert.

 

Wien, mit seiner eleganten, stets künstlerisch angehauchten Phlegmatik ist meine Lieblingsstadt, die vielen Museen, herrlichen Parks, prunkvollen Gebäude und gemütlichen Kaffeehäuser, sowie mein Lieblingsrestaurant sorgen dafür, dass ich mich dort sehr heimisch fühle. Wenn ULVER im Zuge ihrer ersten Europatour in der fast ausverkauften Arena dort gastieren wird natürlich in der österreichischen Hauptstadt Kurzurlaub gemacht, natürlich hauptsächlich um zu beobachten, ob die Norweger mit einem Briten an Bord ebenso gut sind wie in Berlin. Ein runderes Erlebnis als zwei Wochen zuvor, das kann schon vorweg genommen werden, ist das Konzert in Wien auf jeden Fall.

Das liegt vielleicht daran, dass heute Abend mehr eine Konzertatmosphäre vorherrscht, und es weniger nach Installation riecht. Statt einem sozialistisch gestaltetem Theater, sind wir heute zu Gast in einem puren Liveclub. Der steigt zwar – eben ganz Arena-mäßig – nach hinten an, aber ansonsten ist hier alles ganz wie bei einem normalen Konzert. Dennoch, vor der Bühne stehen Stühle, auf den Treppen sitzen die Leute und stehen nicht. Und so ziemlich jeder fragt sich, was denn Attila Cshiar, der solo unter dem Banner VOID OV VOICES auftritt, denn performen will. Wer SUNN o))), bei denen Attila dauerhaft gastiert, schon einmal gehört, oder besser noch, live gesehen hat, der kennt die Antwort schon. Um 21:20, als eines der Grablichter auf dem extra für den hünenhaften Ungarn aufgebauten Mini-Altar schon fast herunter gebrannt ist, betritt der Solokünstler die Bühne. Natürlich stilecht in schwarzer Kutte. Langsam aber sicher türmt er mit Hilfe eines Loopers verschiedenste Gesangsspuren, so dass nach kurzer Zeit ein Chor zu hören ist, auf dem Attila seine Stimme weiter entfalten kann. Die drei Stücke in dreißig Minuten beinhalten Drone, spanische Inquisition, gregorianische Chöre, Backward-Messages und eine inbrünstige Anbetung des Inkubus, die gegen Ende von Tore Ylwitzaker, Daniel O´Sullivan, und Jorn Svaeren instrumental ein wenig unterstützt wird. Immerhin, dieser Auftritt hat Wirkung gezeigt, Gänsehaut erzeugt, und bewiesen, dass Attila bei Greg Anderson und Stephen O´Malley einiges gelernt hat. Zu hause ist das nicht die erste Wahl, da ein paar Instrumente doch nicht ganz unwichtig sind um sich ganz in der Musik zu verlieren, aber immerhin langweilt die Performance von VOID OV VOICES heute Abend kein bisschen.

 ULVER
Introvertierter Zeremonienmeister – Kristoffer G. Rygg

Schade, dass ULVER nicht direkt nach dem Set von VOID OV VOICES beginnen, was sich eigentlich anbieten würde, da alle irgendwie eh schon versammelt sind. Aber Attila und Kristoffer G. Rygg umarmen sich noch kurz freundschaftlich und innig, der Altar wird beiseite geschafft, zehn Minuten lang sammeln sich die Musiker unter dem großen Schriftzug ULVER – We Come As Thieves auf der Leinwand, dann wird es für das Publikum etwas zu schnell dunkel und der rot glühende Streifen links unten erhebt sich langsam zu den leisen, zerbrechlichen Tönen von Eos. Im Publikum herrscht noch Unruhe, die erst gegen Ende des folgenden Let The Children Go abebbt. Ab dann erleben wir ein reiferes, ausgewogeneres Konzert als in Berlin, was mitunter auch daran liegt, dass sich ULVER nicht mehr selbst zensieren und Rock Massif verbildlichen. Und es steht im krassen Gegensatz zum musikalisch wunderschönen Little Blue Bird zuvor, das durch die Turmspringer von Leni Riefenstahl Glanz und Gloria zeigt und eben in Rock Massif plötzlich in das Totalitäre umspringt und gegen Ende ausgemergelte KZ-Leichen und Massengräber zeigt. Somit kann niemand behaupten, dass ULVER hier mit nazionalsozialistischen Ideologien liebäugeln, da die den Prunk dieser Zeit auf den einen Seite, den Schrecken und den Tod auf der anderen Seite zeigen und sich damit auch betroffen präsentieren. Natürlich ist das auf einer Seite etwas reißerisch, aber die dahinter stehende Aussage ist klar.

 ULVER
Mal sanft und elegisch, mal bissig und kontrovers – die Live-Show von ULVER.

Und so geht es munter-kontrovers weiter, die Stücke von Blood Inside werden wiederum mit Blasphemie, Sex, Geburtsszenen, Blut und Selbstmord untermalt, eine ziemliche Freakshow, nicht immer ästhetisch aber sehr wirkungsvoll und passend zur Musik. Hier fahren die Musiker jedenfalls alles auf, was sie können. Die Darbietung ist extrem intensiv, gerade bei Operator. Trotz stimmlicher Unsicherheiten am Anfang des Sets ist Ryggs Stimme heute viel souveräner und gefestigter als noch vor zwei Wochen, das macht sich vor allem bei Plates 16 – 17 bemerkbar, das heute auch dadurch etwas besser ins Set integriert wird. Überhaupt, alles wirkt heute runder, stimmiger und sicherer, auch die kleinen Ausbrüche in Richtung Improvisation, die hauptsächlich vom Gastauftritt Pamelia Kurstins und ihrem Theremin her rühren. Sie verleiht den Stücken von Shadows Of The Sun eine so tief traurige Essenz, dass es nur vom Hören dieses Albums in tiefster Dunkelheit übertroffen werden kann. Schade, dass hier, wie auch bei Like Music und Porn Piece Or The Scars Of Cold Kisses die Visuals nicht mithalten können und leider recht wenig intensiv wirken. Auch hier wird deutlich, dass die optische Komponente das größte Verbesserungspotenzial der Liveshows von ULVER in sich birgt. Dennoch, durch das Licht dieses Liveclubs werden die Filme unter Mitwirkung von Stroboskop und LEDs in die Musik verwoben und erzeugen ein großes Ganzes, multimediales Erlebnis, von dem vor allem Hallways Of Always profitiert. Und auch der Sound ist dieses Mal deutlich besser als in der Berliner Volksbühne, die scheinbar nicht wirklich Erfahrung mit Musikveranstaltungen hat.

 ULVER
Glänzender Abschluss einerprägenden Phase – das Ensemble kurz vor dem Tourfinale in Wien.

Ergo gibt es immer wieder Gänsehautmomente, wie sie intensiver kaum sein können. Als die meisten glauben, das Konzert sei schon fast vorbei wird die Magie erst richtig spürbar – das überlange, enorm minimalistische Not Saved ist so gefühlvoll, wie wir alle ULVER in unserer Vorstellung haben: Als eine der gefühlvollsten Gruppen dieser Erde. Und wir werden genauso traurig, wie der kleine, ganz in weiß gekleidete Junge auf der großen Leinwand. Nach Standing Ovations kommen ULVER wieder auf die Bühne und bedanken sich völlig fern typischer Gesten. Die einen verneigen sich, Kristoffer G. Rygg sitzt lieber neben Pamelia Kurstin und scherzt mit ihr, bis er schließlich sagt: Thank you all. There will be no encores, because we are who we are. Da haben wir sie wieder, die unvergleichen, pathetische Ästhetik, die ULVER leben und atmen, die sie zu derart einmaligen Künstlern macht. Auch wenn einige semielitäre Kritiker das anders sehen, das ist ein wirkliches Ausnahmekonzert von einer der wenigen noch wirklich innovativen Bands mit Charakter, das den weiten Weg wirklich wert ist. Und es ist der Beweis: ULVER befinden sich in einer prägenden Phase, diese zwei Wochen zwischen den Konzerten, mit vielen weiteren Erfahrungen, haben diese einmalige Einheit wachsen lassen und ihnen mehr Selbstvertrauen geschenkt. Und das werden sie hoffentlich für den Nachfolger von Shadows Of The Sun, und ihre ganze Zukunft im Allgemeinen auch nutzen.

Setlist ULVER:
Eos
Let The Children Go
Little Blue Bird
Rock Massif Pt.1
For The Love Of God
In The Red
Operator
Funebre
Silence Teaches You How To Sing
Plates, 16 – 17
Hallways Of Always
Porn Piece Or The Scars Of Cold Kisses Pt. 2
Like Music
Not Saved

Fotos mit freundlicher Genemigung von (c) Caroline Traitler. Viele weitere Bilder online auf photopit.com

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