THE BLACK DAHLIA MURDER, DESPISED ICON und DER WEG EINER FREIHEIT am 18. August 2010 im Hansa 39, München

Wrestling für Kids vor und auf der Bühne in der bayerischen Hauptstadt.

 

 

 

Wow, ist da viel los. Ich kann gar nicht glauben, was ich sehe, als ich um 20:30 Uhr ins Hansa 39 auf dem Feierwerksgelände eintreffe, denn überall lungern junge Leute mit bunten T-Shirt-Motiven, auf denen Gehirne in allen möglichen Farben zu sehen sind, und seltsamen Frisuren und Piercings rum. Eigentlich sollten doch alle schon auf dem SUMMER BREEZE sein, oder täusche ich mich? Oder dürfen die heute Anwesenden noch gar nicht auf ein Festival fahren, Stichwort Minderjährigkeit?

Jedenfalls fühlen wir uns erwachsen, oder doch ein wenig alt, als wir uns ein Bier an der Theke holen. Vor allem fühlen wir uns so, weil DER WEG EINER FREIHEIT beginnen und keiner wirklich mitgeht, nur einer versucht im Laufe des Sets der Würzburger Black Metal-Band etwas Violent Dancing zu machen, aber er stellt diese Aktionen gleich darauf ein. Geschüttelte Haare? Fehlanzeige. Aber die teils blutjungen Musiker haben ja auch keine um das vorzumachen. Braucht es ebenso wie Corpsepaint auch gar nicht, denn das Material des grandiosen Debütalbums kommt ja generell ohne Klischees aus. Ewigkeit läutet den Abend ein und überzeugt sofort durch gnadenloses Blast Beat-Drumming und die pfeilschnellen Gitarren, die niemals die Melodik außer Acht lassen. Da DER WEG EINER FREIHEIT auf das gespielt böse Element in der Musik verzichten, wirken sie viel emotionaler als andere Bands in diesem Stil. Das beweisen die weiteren Songs Frei, Zum Abschied, Ruhe und vor allem das über zehnminütige Schlussstück Neubeginn, das auch trotz dieses Rahmens für Gänsehaut sorgt. Zwar gibt es kleine ungewollte Dissonanzen bei den Gitarren, so schnell wie hier aber gefiedelt wird, fällt das nicht weiter auf, und nur geübte Ohren hören das, auch wenn der Livesound im Hansa 39 wie immer über jeden Zweifel erhaben ist. Gitarrist Nikita und Sänger Tobias führen mit ihrer Performance das Geschehen an, die Gastmusiker halten sich eher dezent im Hintergrund – vielleicht können DER WEG EINER FREIHEIT hier noch etwas arbeiten und mehr als Einheit auftreten. Ansonsten ist dieser gut halbstündige Auftritt aber eine wirklich runde Sache und macht Lust auf neues Material der jungen Würzburger Black Metal-Band, sowie Shows in einem geeigneteren Rahmen.

 

Setlist DER WEG EINER FREIHEIT:
1. Ewigkeit
2. Frei
3. Zum Abschied
4. Ruhe
5. Neubeginn

Keinen Hauch von Abschiedsschmerz lassen DESPISED ICON aufkommen, auch wenn sie in wenigen Tagen Europa auf Nimmerwiedersehen verlassen werden. Aber so weit sind die Kanadier mental wohl noch gar nicht, immerhin steht noch eine ausgedehnte US-Tour an, bevor der letzte Circlepit angezettelt wird. Dass die Fans ihre letzte Chance auf ausgerenkte Gliedmaßen nicht verpassen wollen, wird gleich klar, als just nachdem DESPISED ICON ihr Set mit All For Nothing beginnen die ersten Stagediver fliegen. Die beiden Sänger Alexandre und Steve feuern das Publikum weiter an, und dass auch wirklich keiner einschläft bietet Schlagzeuger Alexandre Pelletier eine Performance, die für ein leichtes Schleudertrauma sorgt. Die Blast Beats sind gekonnt und verspielt, was eigentlich nicht wirklich zu den teils arg stumpfen, tiefen Riffs passt. Den Fans gefällt es allerdings, dass DESPISED ICON so catchy aber trotzdem herausfordern. Immerhin wird den Kids auch schwere Kost vorgesetzt, Retina und Warm Blooded stammen vom Tech-Death-Album The Healing Process, das auch heute noch schwer im Magen liegt. Größtenteils wird jedoch auf die Deathcore-Gegenwart der Kanadier abgezielt, das Material von The Ills Of Modern Man und Day Of Mourning bringt die Hütte zum kochen und bei wirklich gutem Livesound wird bewusst, dass es so übertrieben saubere Produktionen bei DESPISED ICON nie wirklich gebraucht hätte, denn heute Abend klingen sie dank einer gewissen Rock and Roll-Komponente recht gut, das prollige Deathcore-Rumgehüpfe mal außen vor gelassen. Alles in allem ein überraschend solider Auftritt, der mit den Songs Silver Plated Advocate und The Ills Of Modern Man allerdings noch besser gewesen wäre.

Setlist DESPISED ICON:
1. All For Nothing
2. A Fractured Hand
3. Retina
4. Diva Of Disgust
5. Day Of Mourning
6. Warm Blooded
7. In The Arms Of Perdition
8. Furtive Monologue
9. MVP

Wir denken, nach DESPISED ICON spielen THE BLACK DAHLIA MURDER vor praktisch leerem Haus, da die meistens der weit über 500 Kids wegen dem Requiem der Kanadier anwesend sind, dennoch füllt sich die Halle wieder beträchtlich, kurz nachdem THE BLACK DAHLIA MURDER mit Everything Went Black loslegen. Scheinbar haben die Besucher jetzt auch genügend im kühlen Freien ausgedampft. Jetzt geht es erst aber richtig rund, die Stagediver springen im Akkord, die Hitze ist auch seitlich von der Bühne, nur ein paar Meter vom Ausgang entfernt, kaum mehr auszuhalten. Auch das aktive Publikum leidet, wenn auch nicht unter der Hitze. Einem Besucher wird ein Ohrplug rausgerissen, einer hat einen bis zur Wurzel aufgeschnittenen Daumen und gegen Ende des Sets liegt ein Moshkid mit Platzwunde am Kopf in einer beachtlichen Blutlache am Boden und wird verarztet. In meiner Jugend hat es sowas nicht gegeben, blaues Auge mit siebzehn im TESTAMENT-Pit mal ausgenommen.

Raue Sitten herrschen also in München, aber immerhin ist die Band gut aufgelegt und spielt ein straffes, mörderisches Set. Trevor Strnad mit seinem epischen Bierbauch gibt ordentlich Gas, heizt die Leute ebenso an wie Gitarrist Brian Eschbach, der wie üblich ein debiles Dauergrinsen präsentiert. Dabei sind THE BLACK DAHLIA MURDER sympathische Krawallbrüder und technisch versierter, als man befürchten könnte. Da sitzt jedes Riffs, jede von AT THE GATES entliehene Melodie passt und jeder Blast Beat ist wie ein Schuss zwischen die Augen. Daraus, und mit dem wie üblich glasklaren Sound, entsteht eine bunte Setlist, einmal quer durch die Diskographie der Nerds aus Michigan, wobei glücklicherweise die Knallersongs der letzten beiden Alben Nocturnal und Deflorate klar überwiegen. Everything Went Black eröffnet das knapp fünfzigminütige Set, danach kommen Hits wie Necropolis, Closed Casket Requiem, A Vulgar Picture, Funeral Thirst und Deathmask Divine zum Einsatz. Dennoch, gegen Ende hin sind meine Akkus schon recht leer, Zugaben hätte ich wohl nicht mehr ausgehalten. Band und Kids könnten aber noch stundenlang weiterfeiern, diven, moshen und sich prügeln.

Kurz vor Mitternacht ist dieses Moshfest beendet, zwei wirklich gute Bands und eine solide Truppe haben an diesem Abend gezeigt, wie unterschiedlich brutale Musik sein kann, wie bunt T-Shirts und wie jung die Konzertbesucher von heute sind, und wie wenig sie vor teils ernsten Verletzungen zurück schrecken. Die Schattenseiten des Abends werden aber vor allem durch den starken Auftritt von DER WEG EINER FREIHEIT relativiert. Bye bye, Paralleluniversum, ich fahr jetzt wieder heim.

Setlist THE BLACK DAHLIA MURDER:
1. Everything Went Black
2. Elder Misanthropy
3. Black Valor
4. Statutory Ape
5. Necropolis
6. Closed Casket Requiem
7. A Vulgar Picture
8. What A Horrible Night To Have A Curse
9. Funeral Thirst
10. Miasma
11. Deathmask Divine
12. I Will Return

Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner