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SIGUR RÓS und BLANCK MASS am 23. Februar 2013 im Zenith, München

Eine Show für´s Geschichtsbuch.

Zunächst reisen wir ein wenig in der Vergangenheit zurück. Letztes Jahr waren SIGUR RÓS durch ihren Auftritt in Wien neben BARONESS die großen Gewinner des Konzertjahres, weil so ziemlich alles passte: Ein herrlicher Sommerabend, eine charmante Kulisse, eine ausgezeichnete Setlist, eine unglaublich tolle Band – die kleinen persönlichen Schockmomente dazwischen lassen wir mal unter den Tisch fallen. Man möchte meinen, besser ginge es kaum. Und trotzdem kaufen wir Tickets für das Konzert in München, auch trotz der Konzerthalle Zenith, die groß ist, aber ansonsten auch nichts zu bieten hat, nicht mal einen guten Klang. SIGUR RÓS, die müssen doch eigentlich in einer isländischen Märchenwelt auftreten, und nicht in so einem postindustriellen Monster. Ist die Enttäuschung bereits vorprogrammiert? Denke daran: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. 2500 Leute wollen sich die erste SIGUR RÓS-Show in München seit sieben Jahren nicht entgehen lassen, sie alle zwängen sich in ihre mentalen Islandpullover, egal ob das nun Gothics, Metalfans, Indies, Hipster, Normalos, überforderte Redakteure der Süddeutschen Zeitung oder der beliebte Kabarettist und Moderator Christoph Süß sind.

Sigur

Im Zenith fällt mir wieder auf, wie riesig diese Halle ist. Wie groß diese Bühne ist. Intim ist dieser Rahmen sicherlich nicht, vor allem für Konzertgänger, die ansonsten das kleine Feierwerk gewohnt sind. Ob die Musik hier wirken will? Immerhin, Heima mit seinen Szenen in der diese Band in den kleinen Dörfern der bezaubernden Insel spielt, ist die vermutlich beste Live-DVD, die ich besitze. Und während ich so grüble wird es dunkel, der junge Solokünstler BLANCK MASS, der das DENOVALI-Publikum sofort ansprechen dürfte, beginnt hinter seinem Tisch an seinen Gerätschaften herum zu schrauben. Der Vorhang bleibt unten, man kann nur Schemen erahnen, auf dem dunklen Vorhang tanzen geometrische Figuren. Zunächst klingt die Musik nach TIM HECKER oder MURCOF, allerdings nicht so spannend. Später finden ein paar dezente Beats ihren Weg in die Musik, es beginnt zu pulsieren, die verschiedenen Teile gehen ineinander über, und dann ist nach 30 Minuten plötzlich schon wieder alles vorbei. Das hat nicht den Geschmack von jedem Konzertbesucher getroffen, Freunde von Ambient und elektronischer Musik sind aber durchaus angetan. Trotzdem, nach 30 weiteren Minuten sind wir froh, dass es nun endlich so richtig losgeht.

Sigur

SIGUR RÓS lüften den transparenten Vorhang nicht, als sie um 21:00 Uhr mit dem neuen Stück Yfirborð das zweistündige Konzert eröffnen. Ungewohnt kühl, elektronisch und direkt klingt das Lied, das ein bisschen braucht, aber schließlich doch für Gänsehaut sorgt. Und diese Gänsehaut will mindestens zwei Stunden lang nicht mehr weichen. Es ist beruhigend, dass die neuen Lieder, von der Band als Anti-Valtari charakterisiert, auch trotz des Ausstiegs von Keyboarder Kjartan Sveinsson noch überzeugen können – und die Band auf eine neue Stufe heben. Das Material vom kommenden Album – vier Lieder davon haben sich in das Set geschlichen – öffnet SIGUR RÓS sicherlich neue Türen. Wir warten mit Spannung auf dieses Werk, das noch in diesem Jahr erscheinen soll – Yfirborð, Brennistein, Kveikur und das magische Hrafntinna lassen Großes hoffen. Und es tröstet ein wenig darüber hinweg, dass es von Valtari mit Ausnahme von Varúð heute Abend nichts zu hören gibt.

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SIGUR RÓS spielen dafür viele Stücke von ihren drei Alben Ágætis byrjun, ( ) und Takk, und dank der gigantischen Bühne, der sorgfältig ausgeklügelten Lichtshow in Verbindung mit schier hypnotischen Bildern entsteht hier etwas, das so nah wie nur irgendwie möglich an der Perfektion ist. Zum Beispiel der Beginn von Ný Batterí: Der Vorhang ist noch unten, Silhouetten rotieren am Stoff entlang. Es ist wie in einem düsteren Märchen. Oder Vaka, bei dem plötzlich eine Vielzahl an Glühbirnen der riesigen Industriehalle eine heimelige, absolut intime Atmosphäre einhaucht. Und natürlich E-Bow, bei dem sich die großflächig projizierte Berglandschaft langsam dreht, so dass man meint, hinein fallen zu müssen. Das Zusammenspiel aus Musik und Bildern ist so unwahrscheinlich dicht, so vollkommen, dass der Atem ins Stocken geraten kann. Natürlich werden nicht bei allen Songs, vor allem denen, die schon lange regelmäßig im Set sind, neue Akzente gesetzt. Dank des Bühnenaufbaus wirken aber auch Sæglópur, Glósoli und Svefn-g-englar frisch. Und gerade Hoppípolla in Verbindung mit Með Blóðnasir und das abschließende Popplagið sorgen für frenetische Begeisterung im Publikum.

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Zehn Musiker stehen auf der Bühne, die zum Trio geschrumpfte Kernbesetzung, zusammen mit Streichern, Bläsern, einem Gitarristen, einem Keyboarder und einem Percussionisten, die auch gerne ihre Instrumente tauschen. Im Zentrum des Geschehens ist wie üblich Sänger Jónsi Birgisson mit seiner schmalen Statur, der natürlich weniger wie ein Rockstar wirkt, sondern immer der schüchterne Junge bleibt, der er stets war. Und wie klar seine Falsettstimme doch ist – wenn er leise ist ebenso, als wenn er seine Stimme erhebt. Neben ihm ist mit Georg Hólm der Ruhepol der Band vertreten, während auf der anderen Seite Schlagzeuger Orri Dýrason sitzt, der in den lauten Stellen wirklich beherzt zuschlägt. Apropos: Selten waren bei einem Konzert die stillen Momente so leise und die lauten Stellen so ohrenbetäubend. Sprich: Mehr kann man Dynamik nicht ausbauen. Allein das überwältigt den Hörer schon, schickt ihn in eine Welt fernab des Alltags, in eine Welt, die düster sein kann, in der aber alles um so viel besser ist. Neunzig Minuten dauert der reguläre Auftritt, die drei Songs und dreißig Minuten umfassende Zugabe ist natürlich fest eingeplant, das Ende des Sets ist wie üblich Popplagið und gibt uns allen den Rest – eine Soundwand fegt über die Zuschauer hinweg, mit einer Intensität, dass das Atmen schwerfällt.

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Um dreiundzwanzig Uhr kommen die zehn Musiker nochmal auf die Bühne, um sich vor dem frenetisch applaudierenden Publikum zu verneigen. Und nochmal. Und nochmal. Die Angst vor SIGUR RÓS im unsympathisch wirkenden Zenith war unbegründet, die Isländer können ihr volles Potenzial ausspielen, und noch mehr: Das war eine Show für´s Geschichtsbuch.

Setlist SIGUR RÓS:
Yfirborð
Í Gær
Ný Batterí
Vaka
Brennisteinn
Sæglópur
Olsen Olsen
E-bow
Varúð
Hoppípolla
Með Blóðnasir
Glósóli
Kveikur

Svefn-g-englar
Hrafntinna
Popplagið

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Marc (xembracex.de Photozine). Eine große Galerie mit vielen weiteren hervorragenden Bildern des Konzerts findet ihr hier: http://www.xembracex.de/archiv/wordpress/?p=549

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