LILITH – Stadttheater Memmingen am 02. Juli 03

Der Mythos um Lilith ist es, mit dem das Landestheater Schwaben unter Leitung von Walter Weyers die Rockopern-Trilogie "Wütende Frauen" in Zusammenarbeit mit VIRGIN STEELE-Kopf David DeFeis abschließt. Nach wie vor stark an die griechische Tragödie angelehnt, beschäftigt sich das dritte Stück der Reihe diesmal allerdings mit dem jüdischen, oder sagen wir mit einem Mythos, der sich im Laufe der Jahrhunderte aus Elementen der altorientalischen und der jüdischen Kultur aber auch aus mittelalterlichem und neuzeitlichem Gedankengut entwickelt und geformt hat.

Nicht Adam war der erste Mensch auf Erden – Lilith war es. Nicht ein Mann – eine Frau. Eine starke Frau. Eine Frau, die sich dem Mann nicht unterwerfen wollte, die ihm gleichgestellt sein wollte. Nicht aus der Rippe des Mannes erschaffen, aus der Erde – genauso wie Gott auch Adam aus der Erde erschaffen hatte. Was beide vereinen soll, entzweit Mann und Frau – sie erträgt es nicht, unter ihm zu sein, nicht von ihm in den Boden gedrückt und von ihm begraben zu werden, und auch nicht nur für diesen einen Moment purer Leidenschaft. Sie will dem Manne ebenbürtig sein, denn ebenbürtig wurde sie erschaffen. Doch nun ist sie unerwünscht, ein Fehler Gottes, der ihr zu spüren gibt du störst. Erschaffen wird Eva, die Rippe – untergeben, sich in der Rolle der Schwächeren wohlfühlend. Lilith dagegen unterwirft sich nur einem – ihrem Schicksal. Dem Schicksal zum kindermordenden Schreckgespenst zu werden, zum Sinnbild der Verführung, zum Alb- und Wunschtraum des Mannes. Die Verschmähung lässt sie nicht ruhen. Sie schließt einen Pakt mit Samael, dem Satan – er hilft ihr Adam im Schlaf die Sinne zu rauben und das Erstgeborene zu töten – das verlorene Paradies?

Der Mythos um Lilith ist es, mit dem das Landestheater Schwaben unter Leitung von Walter Weyers die Rockopern-Trilogie Wütende Frauen in Zusammenarbeit mit VIRGIN STEELE-Kopf David DeFeis abschließt. Nach wie vor stark an die griechische Tragödie angelehnt, beschäftigt sich das dritte Stück der Reihe diesmal allerdings mit dem jüdischen, oder sagen wir mit einem Mythos, der sich im Laufe der Jahrhunderte aus Elementen der altorientalischen und der jüdischen Kultur aber auch aus mittelalterlichem und neuzeitlichem Gedankengut entwickelt und geformt hat. Im Laufe der Zeit hat Lilith ihre Rolle in vielen Bereichen eingenommen – in der Psychologie, als Leitfigur der Emanzipation, als Urmutter des Vampyrismus, als Symbol für Verführung und als Hexe oder Dämon.

Eine Zusammenfassung verschiedener Denkansätze hat Weyers nun auf die Bühne des Memminger Stadttheaters gebracht, die erneut mit der Musik von David DeFeis untermalt wird.

Und am Anfang stand das Nichts – eine leere Bühne oder sollte man sagen, ein schiefer Winkel? In der Mitte ein Körper – Lilith. Der Mensch durchbricht die Leere und damit auch die Stille. Minimalistischer könnte man Theater kaum darbieten. Die Bühne ein großes Dreieck in einer 45-Grad-Schräglage, die Schauspieler in Lumpen gewickelt – hautenge Kostüme, aufgepeppt mit Bandagen und Netzteilen. Schwarz und weiß sind die Farben die Vorherrschen – rot allerdings die Haare von Lilith – das Symbol für die Verführerin. Die Sprache – unnatürlich betont, wie es auch schon bei Klytaimnestra der Fall war, ebenso wie die Trennung von gesprochenen Teilen und Musik – deutsch der Theaterteil, englisch der Gesang.

Die Figuren sind abstrakt und doch kann man in den ausschweifend betonten Bewegungen und den wenigen Worten den Sinn des dargestellten erkennen, die Handlung und die Tiefe dahinter nachvollziehen.

Der Mensch erwacht zum Leben und auch wenn er denkt, ist ihm seine Rolle nicht klar, die ihm zugeteilt ist. Unverständnis und Zweifel kombiniert mit dem Akzeptieren des eigenen Schicksal prägen sein Tun und Handeln, aber wie sollte der Mensch denn auch anders, angesichts dieses Gottes, dessen Existenz ein einziger Schmerz darstellt – lange schwebte mein Geist über den Wassern in Agonie. Was ging in mir vor? – ist nicht die Frage eines allwissenden Gottes, sondern eines Gottes voller Fehler. Das Stück lässt eine klare Struktur erkennen, gibt aber viele Anregungen zur Interpretation. Die Schauspieler stellen ihre Rolle dar, vollenden die Vorstellung dieser aber nicht. Lilith ist ein Stück geworden, das Gedanken anstößt, sie aber nicht ausdenkt sondern dem Zuschauer den Umgang damit überlässt. Einen typischen Lilith-Zuschauer gibt es auch nicht – der Metalfan wird durch modernes Theater verschreckt, die nette alte Dame von neben an mit lauter und aggressiver Metal-Musik. Verschreckt oder fasziniert? Den Reaktionen zufolge eher letzteres.

Die Vereinigung zweier scheinbar gegensätzlichen Welten – die des Theaters und die des Heavy Metals – ist aber nach wie vor das vordergründigste Element, das auch Lilith seine Besonderheit gibt. Und David DeFeis hat wieder einmal ganze Arbeit geleistet und alles andere als VIRGIN STEELE-Ausschussware abgeliefert. Vom urtypischen Power-Speed-Sound über ergreifende Balladen bis hin zu Musicalanspielungen oder fast poppigen Stücken hat der Ausnahmesänger einen Soundtrack komponiert, der nach einer CD-Veröffentlichung förmlich schreit. Und diesmal scheinen die Macher des Stückes auch mehr Wert darauf gelegt zu haben, bei der Schauspielerauswahl auch auf den Gesang zu achten, auch wenn die Darsteller lange nicht dem gerecht werden, was der VIRGIN STEELE-Fan bei diesem instrumentalen Hintergrund an Gesang gewohnt ist. Neben der nach wie vor überragenden und überpräsenten Josephine Weyers in der Hauptrolle als Lilith überzeut vor allem auch Patrick Stamme in seiner Doppelrolle als Adam und Samael. Von einigen Ausreißern bei höheren Passagen abgesehen, ist seine Stimme geradezu hervorragend geeignet für den traditionellen VIRGIN STEELE-Sound und ganz besonders stark ist seine Darbietung, wenn er als Samael mit Krone und Rock ganz im Stile altorientalischer Gottheiten über die Bühne tanzt. Lediglich Gott-Darsteller Piet Moedebeck mag mit seiner schwachen Stimme nicht ganz in das Gesamtbild passen – seine schauspielerischen Leistungen dagegen sind ganz groß.

Josephine Weyers ist es also auch dieses mal wieder, die die alles beherrschende Figur des Stückes darstellt und in einer anderen Rolle, als die der wütenden, starken Frau, kann man sich die Schauspielerin auch kaum vorstellen. Als Sängerin schreit, singt röhrt und grunzt sie zur Begeisterung nicht nur des Metal-Publikums, als Schauspielerin überzeugt sich durch Körperbeherrschung, Ausdruck und Professionalität. Sicherlich ein wichtiger Faktor für den Erfolg dieses Rock-Trilogie-Projekts.

Mit Lilith wurde jedenfalls eine interessante Geschichte als Abschluss gewählt, deren Hintergrund vermutlich nur den wenigsten bekannt ist und auf diese Weise dem Publikum näher gebracht wurde. Es stimmt beinahe traurig, dass dies nun also das Ende dieser Zusammenarbeit ist, aber wer weiß, für welche Überraschung das Team DeFeis/Weyers/Weyers noch gut ist….


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