JONATHAN COULTON, PAUL AND STORM: Highline Ballroom, New York City, 21.06.2008

Obwohl JONATHAN COULTON eigentlich nichts mit Heavy Metal am Hut hat, will ich den sympathischen Amerikaner und seine Musik im Rahmen eines Konzertberichts vorstellen. Denn er fabriziert nicht nur ausgezeichnete Popsongs, sondern verdient auch wegen seiner originellen Liedtexte und seiner unkonventionellen Herangehensweise an das Musikgeschäft Aufmerksamkeit.

Obwohl JONATHAN COULTON eigentlich nichts mit Heavy Metal am Hut hat, will ich den sympathischen Amerikaner und seine Musik im Rahmen eines Konzertberichts vorstellen. Denn er fabriziert nicht nur ausgezeichnete Popsongs, sondern verdient auch wegen seiner originellen Liedtexte und seiner unkonventionellen Herangehensweise an das Musikgeschäft Aufmerksamkeit. Er besingt Affen, Tom Cruise und mathematische Formeln. Angesichts der Möglichkeiten des Internets bietet er seit geraumer Zeit seine Musik unter einer Creative Commons-Lizenz an, die nicht-kommerzielle Kopien explizit erlaubt. Er kann trotzdem davon leben, da es offensichtlich immer noch reichlich Leute gibt, die gute Musik auch finanziell unterstützen.

PAUL AND STORM (beide ex-DAVINCI`S NOTEBOOK) sind mittlerweile kaum mehr aus dem Vorprogramm von JONATHAN COULTON wegzudenken. Ihre Mischung aus ziemlich bekloppter Comedy und hochwertiger Musik funktioniert live um einiges besser als auf CD. Trotzdem konnte ich mich nicht mit allen Nummern anfreunden, da mir der popkulturelle Hintergrund fehlte. Der Auftritt des Duos war jedenfalls kurzweilig, zumal zahlreiche Künstler- und Werbespot-Parodien auf dem Programm standen, die jeweils nur wenige Sekunden lang waren. Das urkomische Your Love Is (Love Song With Metaphor) war definitiv ein Höhepunkt, der zeigte, was passiert, wenn Wortwitz auf zwei hervorragende Stimmen mit etwas Gitarrenbegleitung trifft. Ein wesentlicher Bestandteil des Auftritts waren die Ansagen, bei denen immer wieder Süßigkeiten mit schmutzigen Namen ans Publikum vergeben wurden. Auch der Lichttechniker bekam eine derartige Belohnung dafür, dass er die beiden seitlich positionierten Musiker passend in Szene setzte – und nicht wie andernorts im Dunkeln ließ, während ein einzelner Spot die leere Bühnenmitte ausleuchtete. Daraufhin erlosch prompt das Bühnenlicht und ein einzelnes Licht erhellte den leeren Fleck zwischen Paul und Storm. Zum Abschluss gab es mit The Captain`s Wife`s Lament noch ein irisches Folklied mit Publikumsbeteiligung, bei dem zwei Dinge deutlich wurden: 1. Die Leute waren bereits bei der Vorband sehr gut aufgelegt und 2. ein Lied kann auch dann noch witzig sein, wenn es lediglich darauf aufbaut, dass im Englischen Seemänner und Sperma gleich klingen. Harrr!

Der Highline Ballroom bot eine sehr elegante Umgebung für das Konzert. An Tischen im Saal und auf der Empore konnte man (bzw. musste man angesichts der 10$ Mindestverzehr) sehr lecker speisen. Meine Befürchtung, dass die Einteilung in Sitzplätze vorne und Stehplätze hinten sich negativ auf die Stimmung auswirken würde, erwies sich als unbegründet. Das Haus war mit knapp 400 Leuten voll, deren Ohren mit einem perfekt ausgesteuerten Sound verwöhnt wurden.

Nachdem JONATHAN COULTON bereits bei der Hommage von PAUL AND STORM an den Chicken Nuggets-Erfinder Robert C. Baker Nugget Man auf der Bühne gestanden hatte, war schließlich die Zeit für seinen richtigen Auftritt gekommen. Wie es sich für ein Heimspiel gehört, wurde er mit lautem Applaus begrüßt, als er die Bühne betrat und mit The Future Soon einen Bilderbuchstart hinlegte. Der Song erzählt eine Geschichte über unerwiderte Liebe, Solarkuppeln im Weltall und Roboterkriege. Ich wünschte, es würde Metal-Bands mit derartigen Texten geben! Aber auch die Musik von JONATHAN COULTON ist hörenswert; live mit lediglich Gesang und Akustik-Gitarre klang sie ausgesprochen differenziert und erstaunlich stark. Mit Ikea und Shop Vac folgten zwei weitere Lieblinge von mir. Coultons Ansagen und der darin enthaltene Humor waren im Vergleich zu PAUL AND STORM feinfühliger und ergänzten das musikalische Programm optimal. Hierbei bestätigte sich einmal mehr der positive Eindruck, den bereits seine umfassende Homepage auf mich gemacht hatte.

Recht bald gesellten sich PAUL AND STORM für einige Songs zu JONATHAN COULTON auf die Bühne und steuerten exquisite Harmoniegesänge bei. Während Soft Rocked By Me (mit eingebautem Cover-Medley) für mich persönlich der einzige Durchhänger im Set war, konnte das Trio mich mit der THEY MIGHT BE GIANTS-Nummer Birdhouse In Your Soul restlos begeistern. Für die Informatikerhymne Code Monkey gesellte sich die Ukulele-Spielerin (Ukulelistin?) Kristen Shirts zu den Männern auf der Bühne. Coulton arbeitete selbst einst als Programmierer und offensichtlich waren zahlreiche Kollegen im Publikum. Zumindest wurde die Zeile This job fulfilling in creative ways – such a load of crap besonders leidenschaftlich mitgesungen. Und die Bühne sollte noch voller werden: Die sechsköpfige Kristen Shirts Ukulele Army feierte ihren ersten Einsatz und rockte besonders bei Creepy Doll kräftig mit.

Jonathan
Jonathan Coulton, selbsternannter Internet-Superstar, lieferte einen bärenstarken, enorm abwechslungsreichen Auftritt ab.

Wieder zum Trio geschrumpft steigerten die Musiker das Tempo abermals und demonstrierten ihr gesangliches Können bei I Feel Fantastic, einem Lied über die Zukunft von bzw. mit Risiken und Nebenwirkungen. Als er die Bühne wieder für sich hatte, machte JONATHAN COULTON einen Ausflug in den abstruseren Teil seines Songarchiv (Mr. Fancy Pants). Über weite Strecken bot er jedoch hochwertige Popmelodien, die sich trotz (oder gerade wegen) der spärlichen Instrumentierung bestens entfalten konnten. Für das Ende des regulären Sets hatte er sich einige seiner besten Stücke aufgehoben. Darunter befand sich mit Skullcrusher Mountain die herrliche Liebeserklärung eines genialen Bösewichts, der seiner Angebeteten ein Affen-Pony-Monster bastelt und sich über das Ausbleiben einer freudigen Reaktion wundert (What`s with all the screaming? You like monkeys, you like ponies, maybe you don`t like monsters so much. Maybe I used too many monkeys…). Nach Still Alive (aus dem Computerspiel Portal) und You Ruined Everything (einem Lied über die Geburt seines Kindes) bildete Re: Your Brains den gelungenen Abschluss, bei dem das Publikum als Zombie-Chor mitsingen durfte – natürlich möglichst schräg, weil Zombies kein Melodiegespür mehr hätten (und zum Teil auch keine Stimmbänder mehr) und eigentlich nur noch vom Verlangen getrieben würden, Gehirne zu fressen.

Für First of May und das NEIL DIAMOND-Cover Sweet Caroline kehrten PAUL AND STORM und die Ukulele Army auf die Bühne zurück. Auf die Bemerkung hin, dass beim Betreten der Bühne eigentlich der Imperial March aus Das Imperium schlägt zurück hätte ertönen müssen, stimmte das Publikum umgehend selbigen aus voller Kehle an. Die Stimmung war so prächtig, dass am Ende eine außerplanmäßige Zugabe unausweichlich wurde. Mandelbrot Set wurde mit improvisierten Hintergrundgesängen ausgeschmückt. Sehr beeindruckend war der Elan, mit dem der Mitsingaufforderung Folge geleistet wurde. Der betreffende Text lautete wohlgemerkt Just take a point called Z in the complex plane. Let Z1 be Z squared plus C and Z2 is Z1 squared plus C and Z3 is Z2 squared plus C and so on. Danach herrschte eine Weile Unschlüssigkeit und zahllose Liedwünsche prasselten auf JONATHAN COULTON ein. Zusammen mit seinen beiden Vor- bzw. Mitsängern konterte er mit einer erstaunlich intensiven Version von PINK FLOYDs Welcome To The Machine, mit der niemand gerechnet hatte. Nach Curl spielte der bärtige Barde noch A Talk With George solo, so dass der Abend mit einer eher ruhigen Note ausklang.

Die Kombination aus frischer Spielfreude auf der Bühne und sich kontinuierlich steigernder Begeisterung davor machte verdammt viel Spaß und zeigte deutlich, dass JONATHAN COULTON auch ohne Mehrspuraufnahmetechnik und Internet hervorragende Musik am Start hat. Ich bin nun hin und her gerissen. Einerseits würde ich ihm eine große Karriere gönnen, für die er definitiv das Potenzial besitzt; andererseits würde ich ihn gerne noch öfters unter ähnlichen Konzertbedingungen live erleben, weil ein Auftritt im kleineren Rahmen vermutlich mitreißender als eine Massenveranstaltung ist.

Setlist JONATHAN COULTON:
1. The Future Soon
2. Ikea
3. Shop Vac
4. Flickr
5. Tom Cruise Crazy
6. Soft Rocked by Me
7. Birdhouse In Your Soul
8. Code Monkey
9. My Monkey
10. Creepy Doll
11. I Feel Fantastic
12. Mr. Fancy Pants
13. I Crush Everything
14. Skullcrusher Mountain
15. Still Alive
16. You Ruined Everything
17. Re: Your Brains
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18. First Of May
19. Sweet Caroline
——
20. Mandelbrot Set
21. Welcome To The Machine
22. Curl
23. A Talk With George

 

 

Fotos: Jutze

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