HARVESTMAN / STEVE VON TILL und GORDON´S TSUNAMI WEEK am 20. Juli 2010 in der Kranhalle München

Eine lange, schöne und intensive, aber eben nicht ultimative Solo-Show des NEUROSIS-Frontmanns.

Irgendwie beschleicht mich das ungute Gefühl, dass heute Abend nicht ganz so viel los sein wird. Die Zeiten, in denen man gerne auf Konzerte geht, kommen erst in ein paar Wochen wieder, wenn die Hitzewelle auch wirklich auf Nimmer-Wiedersehen verschwunden ist und die Biergärten geschlossen haben. Außerdem waren die Genre-Initiatoren NEUROSIS schon mal angesagter, den ganzen jungen und neuen Post-Metal-Bands sei Dank. Und wenn dann noch der Soloworkaholic STEVE VON TILL alias HARVESTMAN alleine auf der Bühne steht, dann ist das eben noch spezieller. Verkehrte, ungerechte, schlechte Welt. Aber, welch Überraschung: in der kürzlich neu renovierten Kranhalle ist es zwar locker gefüllt, aber vierzig, fünfzig Leute haben sich immerhin eingefunden.

Den Anfang machen heute Abend GORDON´S TSUNAMI WEEK, die mir schon zum zweiten Mal als Supportband über den Weg laufen, wenn auch heute nur zur Hälfte des Auftritts. Ist die Kranhalle wirklich so gut schallgedämmt, oder bin ich einfach taub? Egal, dass die Post Rock-Band schon zwanzig Minuten auf der Bühne steht, das habe ich jedenfalls nicht gemerkt. Heute spielen die rein instrumental agierenden GORDON´S TSUNAMI WEEK allerdings härtere Nummern, als vor einem halben Jahr, als ich sie zum ersten Mal sah. Die Band spielt jedenfalls recht schönen instrumentalen Post Rock, der teilweise ziemlich an LONG DISTANCE CALLING erinnert und zusätzlich mit einer Violine aufwarten kann. Die Gitarren, Harmonien, Riffs und Dynamikeinsätze sind recht Genretypisch, wirklich überraschen können die sechs Münchner heute nicht. Das Material ist dennoch ziemlich gut, was vor allem das letzte Stück, sowie die kurze, aber sehr wirkungsvolle Zugabe schön beweisen. Der Livesound in der Halle ist glasklar und druckvoll, so dass der Auftritt auch in dieser Hinsicht Spaß macht, wenn schon recht wenig Bewegung auf der Bühne geboten ist. Alles in allem ein ordentlicher Auftritt. Um im Genre allerdings auf internationaler Ebene mitmischen zu können, müssen GORDON´S TSUNAMI WEEK noch an sich arbeiten.

 STEVE
Verliert sich in einer improvisierten Musik, mit Hilfe zahlreicher Effektgeräte: STEVE VON TILL alias HARVESTMAN.

Nach einer gut halbstündigen Umbaupause ist die Backline, die an eine typische Liveband erinnert, verschwunden. Stattdessen zieren zahlreiche Verstärker, Combos und Boxen die Bühne, sowie eine Fülle an verschiedensten Effekten im Halbkreis um einen unscheinbaren Glatzkopf mit Rauschbart. STEVE VON TILL, nur mit einer Gitarre bewaffnet, stellt sich kurz dem Münchner Publikum vor, das sich recht lose in der Kranhalle verteilt hat und teilweise auch schon bequem am Rand sitzt. Das Set beginnt mit den Worten: This journey will take approximately ninety minutes. Some of my gear is fucked up, so let´s see, where this space ship is gonna take us. Gesagt, getan, so beginnt Von Till nach einem langen Intro mit Amongst The Heather vom HARVESTMAN-Debüt Lashing The Rye. Langsam aber sicher bauen sich die von der Natur inspirierten Welten vor dem Publikum auf, allerdings wirken diese in diesem Rahmen nicht so, wie zu Hause mit Kopfhörern. STEVE VON TILL steht da oben, spielt seine Songs, verliert sich völlig in der Musik, improvisiert. Die Umgebung dafür wirkt allerdings etwas befremdlich, hier in dieser intimitätsarmen Halle. Unter freiem Himmel, am Waldrand, oder auf einer Lichtung im Stil des Artworks von In A Dark Tongue würde das deutlich besser passen.

Zeit wird es, dass STEVE VON TILL seine Solosongs präsentiert. The Wild Hunt von If I Should Fall To The Field macht den Anfang, außerdem wird dieses Album mit Breath und My Work Is Done bedient. Schade allerdings, dass To The Field und This River nicht erklingen, zweifellos seine besten Stücke. Neben diesem Material spielt Von Till auch aktuelle Songs von A Grave Is A Grim Horse: The Spider Song und vor allem Valley Of The Moon sind wunderschöne Songs und gerade letzteres sorgt für immense Gänsehaut, vor allem wegen Steve´s wunderbar tiefen Stimme, die heute in Topform ist. Schade, dass diese Songs nicht so gespielt werden, wie von STEVE VON TILLs Kollegen SCOTT KELLY, der einfach mit seiner Gitarre um den Hals da steht, seine Songs spielt und dazwischen mit dem Publikum plaudert. Heute verlieren sich die Songs teilweise in den experimentellen Einschüben, um ein langes Erlebnis zu bieten. Schade auch, dass die HARVESTMAN-Stücke nicht immer erkenntlich sind. Außer Amongst The Heather ist noch Music Of The Dark Torrent von In A Dark Tongue zu erkennen, der Rest ist wie erwartet so frei gespielt, dass es teilweise etwas langatmig wird. Dennoch ist die Mischung aus Folksongs und experimentellem Ambient-Drone recht intensiv, so dass diese Show unter die Haut geht. Auch trotz müder Beine hätte es gerne etwas mehr Material geben dürfen, vor allem von STEVE VON TILLs eigenen Songs. Als Bonus bietet er zwei bisher unbekannte Songs dar. Einmal schön folkig, einmal HAWKWIND-Like spacig. Diese Stücke lassen mit Freunde hoffentlich bald kommende Alben erwarten.

 STEVE
Steves tiefe, markante Stimme in Topform – auch dadurch werden die Folksongs zum Highlight des Abends.

Um Viertel vor Zwölf lässt Steve Von Till die Soundwand abflauen und verschwindet samt Gitarre von der Bühne. Schade, es gibt keine Zugaben, aber trotzdem hat der NEUROSIS-Frontmann hier einiges fürs Geld geboten. Eine lange, intensive Show, mit ein paar Durchhängern und Längen, sowie einer nicht gerade perfekten Setlist, haben die auch zehn Minuten nach der Show noch lautstark applaudierenden vierzig oder fünfzig Münchner erlebt. Aber ultimativ war das eben nicht. STEVE VON TILL aka HARVESTMAN wird aber sicherlich auch in Zukunft noch öfter solo auf europäischen Bühnen zu sehen sein und schafft es dann sicherlich, wenn er das Abspacen etwas reduziert, noch bessere Auftritte zu absolvieren.

Bilder: (c) Florian Schneider

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