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FATES WARNING, SUN CAGED: Turock, Essen, 10.02.2011

FATES WARNING spielten richtig gute Musik mit Leidenschaft und Können.

Über FATES WARNING zu schreiben, ist ein heikles Unterfangen. Schließlich hat die Band gleich mehrere Lieder geschrieben, die sich mit der Überinterpretation des musikalischen Schaffens durch das Publikum und auch die Medien auseinandersetzen. Besagtes musikalisches Schaffen ist im Falle von FATES WARNING gleichzusetzen mit einer ganzen Latte Klassikeralben, die seit nunmehr 28 Jahren den Progressive Metal maßgeblich beeinflussen. Da passt es ins Bild, dass trotz kurzfristiger Ankündigung und Fehlen von neuem Material gut 200 Leute an diesem Abend ins Turock pilgerten, um großartige Musik zu erleben.

SUN
SUN CAGED hatten Songs wie Tip-Toe The Fault-Line, Reductio Ad Absurdum und Departing Words im Programm.

Das Vorprogramm lieferten SUN CAGED – eine Band, die deutlich im Fahrwasser von DREAM THEATERs Awake unterwegs war. Spieltechnisch war hier alles im grünen Bereich. Die Gitarre wechselte wieselflink zwischen tiefen Riffs und abgefahrenem Solospiel. Das Schlagzeug wurde ebenso variabel wie druckvoll bearbeitet. Die Keyboards füllten alles, was entfernt wie eine Lücke aussah, mit weiteren Klangdetails, und steuerten sporadisch auch etwas gemäßigtere Teile bei. Auch der Bass war musikalisch äußerst aktiv und bot dank Doppel-Hals-2×7-Saiten-Modell auch was fürs Auge. Bei soviel Instrumentalaktivität blieb für den Gesang wenig Raum zur Entfaltung, was angesichts der guten Stimme ein bisschen schade war. Alle fünf Musiker waren sichtlich mit Freude bei der Sache, auch wenn ihr Bewegungsradius auf der (ohnehin schon engen) Bühne minimal war. Das Publikum hörte interessiert zu und quittierte die Leistung von SUN CAGED mit respektvollem Applaus. Mir ging es allerdings so, dass vom Songmaterial absolut nichts hängen blieb. Bereits während des Auftritts entwickelten sich die Stücke scheinbar willkürlich und hörten an Stellen auf, wo ich nie damit gerechnet hätte. Von schlüssiger Dynamik war weit und breit keine Spur. Und während die Harmonien im klassischen Prog-Bereich angesiedelt waren, blieben die darauf aufbauenden Melodien ohne jeglichen Wiedererkennungswert. Da half es leider wenig, dass die Band immer wieder mit Liebe zum Detail einen schönen Sinn für Humor zeigte, sei es durch die Fahrradklingel am Schlagzeug oder durch die Sticks, die der Schlagzeuger am Ende des 45-minütigen Auftritts in die Menge warf (Stichwort: Grissini).

Nachdem gefühlte 100 Kilogramm Effektpedale (sowie Boxen, Schlagzeug und Keyboards) der Vorband von der Bühne getragen worden waren, begann das gespannte Warten auf den Headliner FATES WARNING. Wie schon anno 2007 war die Band quasi aus dem Nichts auf Tour gekommen. Diesmal allerdings nur für vier Konzerte in Europa. Ob es dabei einen nennenswerten finanziellen Anreiz gab, wage ich zu bezweifeln, zumal die Band auch keinerlei Merchandise im Gepäck hatte. Bleibt die Alternativhypothese Spielfreude. Davon gab es von den ersten Tönen des Openers One an nämlich reichlich. Sänger Ray Alder und Bassist Joey Vera (ARMORED SAINT) waren erwartungsgemäß die Aktivposten. Aber auch Frank Aresti und Jim Matheos wirkten beide weit weniger introvertiert als üblich. Was das Zusammenspiel anging, waren die Marathon-Tourneen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte nicht spurlos an den beiden vorbeigegangen. Wo andere Bands sich um der Progressivität Willen schier die Finger brechen, schüttelten die beiden mit beeindruckender Lockerheit krumme Takte und Läufe aus dem Handgelenk. Bei den neueren Songs Heal Me, Another Perfect Day und Pieces Of Me war gerade Jim Matheos richtig agil, spielte Fußschach mit Ray Alder und wäre angesichts der beneidenswert dichten Haarpracht auch als Mittzwanziger kurz vor dem kommerziellen Durchbruch durchgegangen. Für die Klasse und Souveränität der Band spricht auch, dass die kompositorische Eleganz der Parallels-Klassiker Life In Still Waters und Point Of View kein bisschen unter der scheinbaren Mühelosigkeit litten. Einzig die hochkonzentrierte Miene von Bobby Jarzombek (HALFORD, SEBASTIAN BACH, SPASTIC INK, ex-RIOT) passte nicht so recht zum sonstigen Bühnengeschehen und war das einzige Indiz, dass es sich um den ersten Gig der Tour handelte. Dafür lieferte der Schlagzeuger eine erstklassige spielerische Leistung ab.

FATES
Ray Alder (FATES WARNING) erntete auf die Selbsterkenntnis, er müsse mit dem Rauchen aufhören, zustimmendes Nicken von Jim Matheos.

Zu den weiteren Höhepunkten zählte ganz klar The Eleventh Hour. Hier sang der ganze Saal lauthals mit, so dass es, nachdem die letzte Zeile verklungen war, keinerlei Zweifel mehr an der Sinnhaftigkeit der Konzertreise gab. Es folgte noch ein kurzer Abstecher in die 80er in Form von Through Different Eyes und Quietus. Wie schon seit einigen Jahren umschiffte Ray Alder dabei die höheren Passagen, ohne dass die Magie der Stücke flöten ging. Und während vom Inside Out-Album noch Island In The Stream sowie das fast schon obligatorische Monument gespielt wurden, gab es von den ersten drei Alben erwartungsgemäß nichts zu hören. Das störte auch nicht weiter. Denn so wirkte die Setlist ausgesprochen homogen und die Stimmung im Publikum hätte kaum besser sein können. Als Zugabe präsentierten FATES WARNING schließlich noch Still Remains in seiner ganzen Pracht. Ich war von der Keyboard-freien Version des Songs einmal mehr enorm beeindruckt und durchlebte innerhalb einer Viertelstunde allerlei Energieausbrüche, Gänsehäute und Dramatik. Anders lässt sich das musikalische Erlebnis schlecht beschreiben. Nach dem Konzert sah man allerorts glückliche Gesichter. Die Musik hatte einmal mehr bewiesen, dass sie abseits von Trends und Kompromissen bestehen und begeistern kann. Mist, jetzt habe ich mir am Ende doch noch zu einer Überinterpretation der Sachlage hinreißen lassen. So belasse ich es besser beim Fazit, dass FATES WARNING an diesem Abend in Essen richtig gute Musik gespielt haben mit Leidenschaft und Können.

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