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DRAGONFORCE, THE NEW BLACK: Konstanz, Kulturladen, 25.10.2009

Geil! Geil! Geil! Hochgeschwindigkeitsgedudel mit Hummeln im Hintern ohne Rücksicht auf Verluste – und das im hintersten Winkel der Repulik. Der Metal lebt! Und er trägt eine rosa Querbalkenbrille. Ein subjektiver Konzertbericht.

Juhu, der Metal lebt! Auch wenn viele Leute DRAGONFORCE für die musikalische Entsprechung von Frankensteins Monster ansehen, muss ich ganz neutral höchste Vitalität diagnostizieren. Mit Neutralität hat der Besuch eines DRAGONFORCE-Konzert freilich wenig zu tun. Entweder man geht hin, weil man es toll findet, oder aber irgendjemand will einem ein Geständnis entlocken, ohne gleich gegen die Genfer Konvention zu verstoßen. Vor dem Konzert wusste ich ehrlich gesagt noch nicht sicher, zu welcher Gruppe ich gehören würde. Denn auf Platte klangen die überlangen Hochgeschwindigkeitssongs für mich immer unspektakulär. Klar, die Jungs können schnell spielen und hoch singen. Aber das können die ganzen anderen Bands aus Finnland und Italien auch. Doch DRAGONFORCE haben sich im Gegensatz zu so ziemlich jeder anderen aufstrebenden Metal-Band den Arsch abgetourt. Ähnlich penetrant wie einst RAGE spielte die Band fast überall im Vorprogramm sowie auf allen möglichen Festivals. Während RAGE allerdings alle paar Alben Stil, Besetzung und Fans wechseln, ziehen DRAGONFORCE ihr Ding durch. Eben dieses Ding war nun also nach Konstanz gekommen. Neugierig von Erzählungen Dritter und Live-Video-Ausschnitten (Trampoline!) begab ich mich also in den Kulturladen.

Als Vorband lieferten THE NEW BLACK dort einen ordentlichen Gig ab, der vom Publikum mit reichlich Beifall belohnt wurde. Dabei bewegte sich die Band in wesentlich groovigeren Metal-Regionen, wo Heaviness statt Geschwindigkeit regierten. Die eingestreuten Melodien wussten zu gefallen, doch vom Aktivitätslevel auf der Bühne her waren THE NEW BLACK einfach zu normal. Vielleicht waren sie auch besser, als ich sie in Erinnerung habe. Mein Gedächtnis wurde jedenfalls alsbald vom Hauptact des Abends komplett in Anspruch genommen.

Ich glaube offen gesagt nicht an Heavy Metal als Standsport. Trotz aller musikalischer Klasse können mich zum Beispiel BLIND GUARDIAN live nie völlig überzeugen. Ich möchte was sehen für mein Geld. 1994 sah ich CANNIBAL CORPSE, die vom ersten bis zum letzten Ton ununterbrochen ihre Matten schüttelten. Das war schön. Ein Konzert lang jedenfalls. Ich sah auch viele rastlose Bands wie VIPER oder SADIST, bei denen auf der Bühne mehr Bewegung herrschte als bei den meisten Fußball-Bundesliga-Spielen. So hatte ich mir harte Rockmusik eigentlich immer vorgestellt, seit ich Mitte der 80er über die Schulter meines Bruders SCORPIONS-Live-Videos sah. Warum nicht alle Metal-Bands die Energie ihrer Musik in Bewegung umsetzen entzieht sich bis heute meinem Verständnis. Es würde sich doch nicht etwa um die Leichenstarre eines toten Musikstils handeln?

DRAGONFORCE/Herman
Herman Li frickelte und frickelte und frickelte und frickelte und es war großartig!

Bühne frei für DRAGONFORCE! Nein, der Metal ist nicht tot. Er ist quietschfidel. Und er trägt eine rosa Querbalkenbrille. Ich kann das Erlebnis unmöglich nüchtern und geordnet wiedergeben. Die sechs Musiker waren nicht einfach spielfreudig, sie waren derart spielgeil, dass man andernorts unter Dopingverdacht stehen würden. Zum Glück steht melodischer Speed Metal aber nicht auf der Liste verbotener Substanzen, so dass ich zusammen mit den etwa 200 Anwesenden ausflippen, mitbangen, singen, lachen, schreien und jubeln konnte.

Einmal war ich so unvorsichtig, mich zu fragen, ob eine Band überhaupt so rücksichtslos gut drauf sein darf. Ein Blick auf das Bühnengeschehen belehrte mich dann sofort, dass DRAGONFORCE einfach DRAGONFORCE sind und sämtliche ungeschriebenen Gesetze der Metal-Konzert-Etikette für sie nicht gelten. Breaking the law eben.

DRAGONFORCE/Sam
Sam Totman und Vadim Pruzhanov beim Synchronbeinschwenken, einem beliebten Element der DRAGONFORCE-Bühnenshow.

Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, die Band würde ihr Programm einfach nur abspulen. Sänger ZP Threat wäre mit seinem extrovertierten Auftreten in jeder anderen Band der herausragende Dreh- und Angelpunkt gewesen. Doch bei DRAGONFORCE hat er gleich drei Konkurrenten, die noch aktiver agieren. Herman Li begnügt sich nicht damit, verdammt schnell Gitarre zu spielen, sondern inspizierte jeden Quadratzentimeter der Bühne und machte jede Menge Faxen. Sein Kollege Sam Totman konnte spieltechnisch zwar nicht ganz mit Li mithalten, sprang dafür aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit vom Podest am vorderen Bühnenrand. Wie durch ein Wunder trafen seine Füße nicht seine Mitspieler. Mit vielen, nicht selten obszönen Gesten kommunizierte er mit den anderen Bandmitgliedern und unterstrich so das Gemeinschaftsgefühl, das man in dieser Form eben nur live erleben kann. Showtechnischer Höhepunkt des Abends war für mich vom ersten Moment an jedoch Vadim Pruzhanov. Dieser Mensch verdient einen neuen Absatz:

Vadim Pruzhanov!

DRAGONFORCE/Vadim
Die Schuhe von Vadim Pruzhanov erinnerten mich an meine Hausschuhe.

Vadim Pruzhanov stand hinten in der Ecke hinter seinem Keyboard und war somit eigentlich nicht als Aktivposten prädestiniert. Aber was soll`s, wird er sich gedacht haben. Kaum hatte der erste Song begonnen, war er in der Luft, hüpfte wie gestört, kreiste mit dem linken Arm wild fuchtelnd herum, während er mit rechts seinen Teil zur Musik beisteuerte. Brauchte er beide Hände, rannte er auf der Stelle oder ließ einen Fuß einen Besuch bei den Tasten machen. Es war ganz und gar unglaublich! Falls Keyboards bis dahin nicht Metal waren, so waren sie es jetzt. Vadim Pruzhanov hat sie Metal gemacht. Zwischendurch schnallte er sich auch eine mit Samenzellen bemalte Keytar um und leistete den Gitarristen Gesellschaft. Neben jeder Menge Hampelei gab es dabei auch atemberaubende Fingerakrobatik von allen Beteiligten. Da gab es reichlich Szenenapplaus und herrlich große Rockstaregos.

Die Stimmung war ohnehin klasse. Die Schwächen im Songwriting störten mich kein bisschen, ja, viele Stücke klangen im Gesamtzusammenhang richtig super. Wer weiß, wo RHAPSODY OF FIRE heute stünden, wenn sie live auch derart abgegangen wären? DRAGONFORCE machten jedenfalls keine Gefangenen. Ich hatte in Dauergrinsen im Gesicht und dankte mir selber für die Entscheidung, die Band live zu erleben. Neben Songs von allen vier Alben gab es gleich zwei Bonustracks im Programm, wobei Strike Of The Ninja zu Beginn des Zugabenblocks eine sehr positive Überraschung war, da die Band hier schneller auf den Punkt kam, ein bisschen (aber nur ein bisschen) langsamer spielte und einen grandiosen Refrain präsentierte.

DRAGONFORCE/Frédéric
Bassist Frédéric Leclercq war zwar weniger aufgredreht als der Rest der Band, ließ sich vom Elan seiner Kollegen jedoch mitreißen und half auch beim Alkoholvernichten.

Erschöpft und begeistert stand ich nach dem Auftritt schließlich da und verdaute das Erlebte: die schrillen Klamotten, die Mischung aus Schweiß, Wasser und Metal, die in der Luft lag, sowie unbändige Energie der Musiker. Ich wusste wieder genau, warum ich diese Art von Musik so sehr mag. Und ich wollte auch so eine rosa Brille. Mit etwas Abstand muss ich sagen, dass ich lieber keine rosa Brille möchte. Aber die Metal-Leidenschaft ist noch da und wird DRAGONFORCE bei ihrem nächsten Gastspiel ganz sicher besuchen.

Setlist DRAGONFORCE:

1. Fury Of The Storm
2. Heroes Of Our Time
3. Operation Ground And Pound
4. Reasons To Live
5. Starfire
6. Revolution Deathsquad
7. Where Dragons Rule
8. The Last Journey Home
9. Valley Of The Damned
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10. Strike Of The Ninja
11. Through The Fire And The Flames

Fotos: (c) vampster / Jutze

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