CARLOS CIPA und POPPY ACKROYD am 18. November 2012 in München, Secret Gig

Wie elitär: Captain Chaos darf auf einen Geheimgig!

Da fühlt man sich doch gleich elitär, zum besonderen Kreis gehörend, wenn man eine E-Mail erhält, in der steht, dass man zu diesem Geheimkonzert gehen darf. Laut CARLOS CIPA dürfen heute Abend 120 Gäste kommen, 100 müssen zu Hause bleiben. Immerhin, CARLOS CIPA ist Münchens Pianowunderkind, die Konzertreihe der Hauskonzerte findet bei der Indieszene großen Anklang, außerdem hat Carlos mit HIDDEN ORCHESTRA-Pianistin und Violinistin POPPY ACKROYD eine ganz bezaubernde Tourpartnerin dabei. Es hat ja auch etwas reizvolles, in ganz heimeliger Atmosphäre zusammen zu sitzen und schöne Musik zu hören, und irgendwie sind wir dadurch auch auf einer ganz anderen Ebene mit den Musikern. Das Credo Hauskonzerte täuscht heute allerdings – man stellt sich vor, dass alle in einem Wohnzimmer rumsitzen, mit schönem Hippie-Flair, doch wir sind in der Galerie von Jörg Heitsch gelandet, in der die hyperrealistischen, teils sehr verstörenden Bilder von Jorge Villalba momentan ausgestellt sind. Aber bitte bloß nicht berühren, da hängen ganze Jahresgehälter an der Wand! Im krassen Gegensatz dazu steht der Konzertpreis, der ist mit lediglich 5 € wirklich sehr fair bemessen.

So richtig wollen die – zweifellos atemberaubenden – Bilder nicht zur Musik des Abends passen. Statt die Düsternis dieser Gemälde zu vertonen, entführt zunächst POPPY ACKROYD in eine zarte, märchenhafte Welt voller Poesie. Das Debütalbum Escapement ist noch nicht offiziell erhältlich, da führt die zierliche Britin es bereits live auf. POPPY ACKROYD mag eine bemerkenswerte Musikern und Komponistin sein, vier Arme, um gleichzeitig Violine und Klavier zu spielen hat sie aber doch nicht. Dafür hat sie mit John Lemke einen guten Partner gefunden, der ihr den Rücken freihält, sampelt, für Ambiente sorgt, hier und da ein paar Beats beisteuert. So wird das musikalische Gesamtbild sehr dicht, meistens stehen die Klaviersounds im Vordergrund, hier und da die Violine, daneben gibt es schöne flächige Sounds, die gar nicht so sehr auffallen, aber doch gut tun. Vor allem der Klaviersound ist wundervoll, das Piano klingt warm und voluminös, was den Kontrast zur klagenden Violine groß werden lässt und das Gesamtbild enorm erweitert. Das Album Escapement wird vollständig gespielt, die Lieder wirken aber live besser als auf dem Album. POPPY ACKROYD spielt ihre Stücke federleicht, selbst wenn es wie in Lyre und Rain mal schwer und traurig klingt. Besonders schön ist neben dem bezaubernden Seven das abschließende Mechanism, das ein begeisterndes SIGUR RÓS-ähnliches Ende hat. Dazwischen schleicht sich noch das Stück Birdwoman ein, das für einen animierten Film komponiert wurde und auch im Konzert-Kontext Sinn macht. Ja, POPPY ACKROYD ist auch ohne ihre Band HIDDEN ORCHESTRA umwerfend, dazu passt es, dass sie sich zwischen den Songs ein bisschen mit dem Publikum unterhält. Es dauert nur ein paar Minuten der Dreiviertelstunde ihres Auftritts, da schmelzen unsere Herzen wie der Schnee in der ersten Frühlingssonne.

CARLOS CIPA hat sich im Laufe des Jahres in mein Herz gespielt, so dass es keine Frage ist, heute dabei sein zu wollen. Sein Album The Monarch And The Viceroy wächst auch nach einem halben Jahr noch, und wenn man den jungen, ruhigen Musiker schon einmal spielen gesehen hat, dann wirkt das alles noch viel authentischer. Heute ist Tourauftakt in seiner Heimatstadt, und noch dazu das erste Konzert in München seit der Veröffentlichung seines Debütalbums. Entsprechend gespannt sind die nun um 180° gedrehten Leute, als Carlos an einem alten Klavier Platz nimmt, in der entgegengesetzten Ecke der Instrumente von POPPY ACKROYD. Das Instrument klingt ein wenig verstimmt, es hat nicht so einen satten, tiefen Klang wie das Piano zuvor. Das mag der Wermutstropfen des Konzertes sein, CARLOS CIPAs Kompositionen entschädigen dafür allemal. Nach Cold Night, dem ersten Stück des Abends, stellt sich Carlos kurz vor, nur um dann für den Rest des Sets mit dem Rücken zum Publikum seine Stücke The Monarch And The Viceroy, Human Stain, In Place Of Anger, Lost And Delirious und Wide And Moving zu spielen. Mit totaler Hingabe und dennoch wunderbar beherrscht spielt Cipa seine Stücke, im Publikum ist es respektvoll mucksmäuschenstill, wir alle lauschen mit angehaltenem Atem. Wenn ich mir die anderen Besucher ansehe, sitzen sie da, hören mit geschlossenen Augen zu, schwelgen in den großen, ausladenden und doch intimen Stücken, die auch ohne andere Instrumente, ohne Manipulationen à la HAUSCHKA spannend und liebevoll klingen. Neben seinen fertig komponierten Stücken spielt CARLOS CIPA eine Improvisation mit neuen Ideen, die zeigen, was für Potenzial in dem Musiker noch schlummert. Es wird groß, dramatisch, düster und vor allem schwer – da können sich manche Doom-Bands eine große Scheibe abschneiden. Mit The Whole Truth endet dieser schön intime Auftritt, der von einem derartig leidenschaftlichen Applaus begleitet wird, so dass CARLOS CIPA nichts anderes übrig bleibt, als nochmals ein Stück zum Besten zu geben – hier wird nochmals improvisiert, allerdings nicht so durchschlagend wie zuvor.

Es ist eindeutig, hier haben sich zwei gefunden, deren Musik wunderbar zueinander passt, die im kleinen Rahmen ganz vorzüglich funktioniert. POPPY ACKROYD und CARLOS CIPA passen sehr gut zusammen, beide sind in ihrem – gar nicht so weit voneinander entfernten – Metier beinahe unschlagbar und beweisen, dass neoklassische Musik weder langweilig noch angestaubt oder für pseudointellektuelle Snobs sein muss. Carlos, Poppy, danke für einen wunderschönen Konzertabend.

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