BLIND GUARDIAN: Live im Messe Congresscentrum B in Stuttgart am 07.05.2002

BLIND GUARDIAN sind und bleiben eine einzigartige Band. Sie waren noch nie eine außergewöhnliche Liveband, doch bisweilen gelingt es ihnen den Zauber ihrer CDs auch auf der Bühne zu entfachen. Zugegeben, ich war etwas enttäuscht vom Publikum und von der Atmosphäre, aber ich habe das Konzert sehrwohl genossen.

Fast vier Jahre war es her, dass BLIND GUARDIAN in Stuttgart aufgetreten sind. Vier Jahre, die das Krefelder Quartett vornehmlich dazu nutzte ihr aktuelles Werk A Night At The Opera zu komponieren und aufzunehmen. Vier Jahre, in denen sehr viele junge Metal-Fans die alten Alben der Band kennen und schätzen gelernt haben. Vier Jahre, die für fast jede andere Band den unweigerlichen Absturz in die Bedeutungslosigkeit bedeutet hätten.

Doch es scheint fast so, als würden BLIND GUARDIAN den Einen Ring besitzen, der verhindert, dass die Jahre ihre Spuren hinterlassen. Denn von den besagten vier Jahren war nichts zu spüren beim Konzert der Band im Stuttgarter Congresscentrum B.

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Gewöhnlich bedeutet das Wort Konzertvorbereitung für mich die 10-sekündige Entscheidung welches T-Shirt ich anziehe und die kurze Kontrolle ob Eintrittskarte und Ohrstöpsel eingepackt sind. Dazu gesellt sich dann meist noch die logistische Frage, wie ich rechtzeitig zum Ort des Geschehens komme (und anschließend auch wieder zurück).

An jenem Dienstag sah die Sache allerdings etwas anders aus, denn zumindest national sind BLIND GUARDIAN immer noch unangefochten die Nummer eins in Sachen Metal. Also traf ich mich um zwölf Uhr mittags mit zwei Kumpels und wir hörten uns (wie schon vor vier Jahren) alle Studioalben der Band in chronologischer Reihenfolge an, beginnend mit den Walzerklängen von Majesty bis zum dramatischen Finale von And Then There Was Silence. Unzählige Erinnerungen wurden dabei wachgerufen; seien es die düsteren Lieder von Imaginations From The Other Side, dem Album, das ich seinerzeit komplett auswendig kannte, die bombastischen Melodien von Somewhere Far Beyond, dem Album, das mich 1992 zum Fan gemacht hatte, oder eben die unverbrauchten Nummern des Debüts Battalions of Fear, die bereits deutlich zeigten, welch enormes Potential die Band in sich birgt.

Neben Klassikern wie Run For The Night, Welcome To Dying und Mirror Mirror verzückten mich außerdem einmal mehr die obskuren Stücke von den ersten Alben wie Damned For All Time, Fast To Madness und Altair 4. Dass selbst diese vermeintlich schwachen Songs mehr Druck erzeugen als das allermeiste, was die Konkurrenz zur Zeit auf den Markt bringt, spricht Bände. Je näher der Abend rückte, desto größer wurde dann natürlich auch die Spannung, welche Stücke wohl den Weg auf die Setlist finden würden, zumal Lieder wie Ashes To Ashes oder Somewhere Far Beyond Erinnerungen an vergangene Konzerte wachriefen.

Die Forgotten Tales-CD wurde zum Pizzaessen genutzt (auch ein Fan lebt nicht von der Musik allein), ehe mit Nightfall in Middle-Earth und A Night At The Opera der Höhepunkt in Sachen Bombast erreicht wurde. Inzwischen waren noch einige weitere Konzertgänger eingetrudelt, und so machten wir uns dann direkt nach dem Fadeout von And Then There Was Silence auf den Weg zum Killesberg.

Dort angekommen mussten wir zu meinem Bedauern feststellen, dass FREEDOM CALL gerade erst mit ihrem Set angefangen hatten. Die Beschreibung GAMMA RAY für Arme beschreibt die Band meiner Meinung nach sehr gut. Wehmütig erinnerte ich mich an VICIOUS RUMORS, die vor vier Jahren mit ihrer energiegeladenen Show als Anheizer für BLIND GUARDIAN fungierten.

Im Gegensatz zu mir spendeten die meisten der schätzungsweise knapp 3000 Anwesenden der Band kräftig Applaus. Dem Bewegungsspielraum nach zu urteilen war die Halle nicht ausverkauft, denn selbst als BLIND GUARDIAN später Punishment Divine spielten, konnte ich (im vorderen Drittel in der Mitte stehend) nicht nur in aller Ruhe die Setlist aufschreiben, sondern mich auch problemlos bücken und den Bleistift aufheben, nachdem er mir versehentlich auf den Boden gefallen war.

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Auf dekorierte Bühnenaufbauten hatte man bewusst verzichtet. Dafür waren hinter der Bühne weiße Spinnennetz-ähnliche Tücher aufgespannt, die seitlich von zwei Bannern abgegrenzt wurden, auf denen die Drachen des And Then There Was Silence-Single-Covers in ihre Schwänze bissen. Nach einer nicht zu kurzen Umbaupause ging dann abermals das Licht aus und vom Band wurde das Intro War of Wrath eingespielt. Erschreckend wenig Leute schienen die Worte zu kennen, und als BLIND GUARDIAN nach She, the mistress of her own lust. direkt mit Into The Storm loslegten, blieb es auch erstaunlich ruhig. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es war laut, und in den ersten Reihen herrschte durchaus Bewegung. Es ist nur so, dass das Konzert im Longhorn vor vier Jahren auf genau die gleiche Weise begonnen hatte, dass es seinerzeit aber nach dem ersten Ton von der Band absolut kein Halten mehr gab. Das Geschehen auf der Bühne war hingegen immer noch dasselbe, mit der Ausnahme, dass Michael Schüren statt Andreas Kück hinterm Keyboard stand. Thomen The Omen Stauch war stets auf der Höhe des Geschehens und trommelte sich gekonnt durch die komplexen Stücke. Oliver Holzwarth (LOOKING GLASS SELF) bediente einmal mehr den Bass, wobei er von allen Beteiligten in meinen Augen der spielfreudigste war. Marcus Siepen an der Rhythmusgitarre stand ihm dabei in nichts nach, lief immer wieder mit quer über die Bühne und hatte sichtlich seinen Spaß. André Olbrich hingegen hatte vor allem bei Stücken neueren Datums sichtlich damit zu kämpfen, die komplexen Leadstimmen (in abgespeckter Form) widerzugeben.

Nach dem ersten Song begrüßte Sänger und Basser a.D. Hansi Kürsch dann das Publikum, das ihm mit anhaltenden Guardian, Guardian-Rufen antwortete. Er verkündete, dass der Auftritt für eine kommende Live-DVD mitgeschnitten wurde, und lobte mit einigen reichlich abgedroschenen Sprüchen den Enthusiasmus des Publikum. Vor den meisten Stücke stellte er den im Text behandelten Charakter vor, was durchaus abwechslungsreich war, doch immer wenn er die Fans mit Superlativen bedachte (fast nach jedem Stück), kam ich mir vor wie in einem schlechten Film. Abgesehen davon, dass das Publikum lahm war, klang er dabei schlicht und ergreifend wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat.

Welcome To Dying machte ein weiteres Manko deutlich: Ohne Bass wirkte Hansi Kürsch auf der Bühne oftmals so unbeholfen wie C3PO ohne Kopf. Stimmlich war er hingegen in guter Verfassung, was alleine aber nicht ausreichte um wirklich ein guter Frontmann zu sein. Im Vergleich dazu hat z.B. Tobias Sammet (ebenfalls ein Basser a.D) von EDGUY gezeigt, dass ein Metalsänger auch heutzutage durchaus eine eigene Persönlichkeit abseits des Bruce Dickinson-Kopierens entwickeln kann.

Nightfall und The Script For My Requiem waren beides wunderschöne Stücke, obwohl der recht klare Sound hier einige Löcher aufwies. Gerade im gesanglichen Bereich fehlten immer wieder tragende Stimmen, die auch die Fans nur sehr bedingt ersetzen konnten. Anschließend wurde es sehr abstrus. Warum um alles in der Welt spielten BLIND GUARDIAN Harvest of Sorrow? Wäre es ein einmaliger Jux gewesen, hätte ich kein Problem damit gehabt, aber es stand bei fast allen Konzerten der Tour auf dem Programm. Ich meine, was soll das?! Wenn es darum geht, dass Marcus Siepen auch etwas von der GEMA bekommt (als Komponist), so wäre The Lord of The Rings mit Sicherheit die bessere Wahl gewesen. Wenn sie das Stück so toll finden, hätten sie es ja wohl aufs Album gepackt, und wenn nicht, dann hätte ich nur zu gerne The Maiden And The Minstrel Knight stattdessen gehört. Und wenn es darum gegangen wäre, das Publikum zu überraschen, wären Hall of The King oder Mr. Sandman sicherlich amüsanter gewesen. Seltsam, seltsam.

Mit Under The Ice folgte dann das erste Stück vom aktuellen Album. Ja, ich mag speziell dieses Lied nicht sonderlich. Die Tatsache, dass der Refrain nicht in der Originaltonlage gesungen wurde, macht die Sache nicht besser. Im Publikum war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sonderlich viel los, obwohl die meisten Besucher (wohlgemerkt nicht alle) nach jedem Lied artig applaudierten und fast schon penetrant Garten, Garten riefen. Für viele war es das erste BLIND GUARDIAN-Konzert, vielleicht auch das erste Konzert überhaupt. In Anbetracht dieser Tatsache kam ich mir alt vor. Ich bin mir nicht sicher, ob dies jetzt in einen Livebericht gehört, aber es macht die Sache zumindest verständlicher, insbesondere weil als nächstes Lied Valhalla kam, bei dem mit einem Mal das Stimmungsbarometer einen gewaltigen Satz in die Höhe machte. Zum ersten (und einzigen Mal) kam wirklich Bewegung auf, Energie wurde freigesetzt und die meisten (auch hier wieder nicht alle) sangen lauthals mit. Sehr schön. Leider sollte dies der einzige Song von den ersten beiden Alben bleiben.

Weiter ging es anschließend mit The Soulforged. Die Reaktionen darauf waren eher verhalten, obgleich es noch eins der eingängigeren Stücke vom A Night At The Opera war. Hier fragte ich mich zum ersten Mal, ob es nicht sinnvoller wäre in einer bestuhlten Arena aufzutreten. Da könnte die Band dann getrost auf die alten Lieder verzichten (die sie nach eigenen Angaben eh nicht mehr sonderlich mag) und mit ein, zwei weiteren Gastmusikern in aller Ruhe Lärm machen. Bevor ich den Gedanken weiterspinnen konnte, kam dann Traveller In Time an die Reihe, das alle Stärken der Band in sich vereinte und einfach Laune machte. Mordred´s Song war ein grandioses Stück, keine Frage, doch irgendwie war seine Atmosphäre auf CD etwas dichter. Wie war das mit der bestuhlten Arena…?!

Als dritte und letzter neuer Song wurde Punishment Divine gespielt. Auch wenn es auf CD ein ziemlich heftiges Lied ist, so fehlte live doch etwas der Druck. Zu viele Tempowechsel und zu wenig wirklich eingängige Hooklines erschwerten die Sache zudem, obwohl es beileibe kein schlechtes Stück war. Ein schlichtweg geniales Stück hingegen ist und bleibt The Bard´s Song: In The Forest. Selbst wenn die Inszenierung ziemlich routiniert ablief, so war es doch ein Höhepunkt! Ärgerlich fand ich nur, dass es immer noch Leute gibt, die meinen, dass man bei dem Stück die ganze Zeit mitklatschen kann. Es geht nicht! Dass Hansi Kürsch im Mittelteil die Leute auch noch dazu animierte, machte die Sache nicht besser. In meinen Ohren klingt das fast so, als würde man das Lied mit einem Technobeat unterlegen.

Imaginations From The Other Side beendete das reguläre Set schließlich äußerst würdig.

Der erste Zugabenblock bestand aus Lost In The Twilight (sehr schön), A Past And Future Secret (leider waren das Keyboard zu leise) und Time Stands Still (sehr, sehr mächtig). Gerade der letzte Song konnte mich noch einmal richtig begeistern. Für einen Moment befand ich mich nicht mehr in einer Messehalle, sondern auf der Ebene von Anfauglith vor den Toren Angbands. A Past And Future Secret wurde von ein paar Pyrofeuern begleitet, was durchaus nett aussah, in der sterilen Umgebung allerdings nur bedingt für Stimmung sorgte. Wie war das mit der Idee von einem bestuhlten Veranstaltungsort wie z.B. einem Schloss oder einem alten Amphitheater?! Schließlich kam die Band ein zweites Mal zurück auf die Bühne und zockte Mirror Mirror herunter, das natürlich nicht fehlen durfte.

Im Nachhinein habe ich noch die ein oder andere Nummer vom Somewhere Far Beyond-Meisterwerk vermisst. Ansonsten kann sich vermutlich jeder selbst Gedanken über die Playlist machen. Auffällig finde ich noch, dass einmal mehr (wie schon 1995 und 1998) vom vorletzten Album mehr Stücke gespielt wurden als vom neuen.

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Nach der Lektüre von diesem Konzertbericht, ist wahrscheinlich der Eindruck entstanden, dass mich der Auftritt gelangweilt hat bzw. dass ein Bandmitglied mir die Freundin ausgespannt hat. Dem ist nicht so! BLIND GUARDIAN sind und bleiben eine einzigartige Band. Sie waren noch nie eine außergewöhnliche Liveband, doch bisweilen gelingt es ihnen den Zauber ihrer CDs auch auf der Bühne zu entfachen. Zugegeben, ich war etwas enttäuscht vom Publikum und von der Atmosphäre, aber ich habe das Konzert sehrwohl genossen. Ich wollte einfach die Gelegenheit nutzen, den Abend noch einmal in aller Ruhe Revue passieren zu lassen. Denn wer weiß, wann BLIND GUARDIAN wieder nach Stuttgart kommen werden – in vier Jahren vielleicht…

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