BLIND GUARDIAN: Imaginations Through The Looking Glass, Cinemaxx, Stuttgart, 6.6.2004

Fast ein DVD-Review.

Ein Jahr nach ihrem Live-Album schieben BLIND GUARDIAN nun ihre erste DVD nach. Um dieses Ereignis gebührend zu zelebrieren, präsentiert(e) die Band in insgesamt fünf Städten eine Nacht – nicht in der Oper, sondern im Kino. Die erste Vorführung fand im Stuttgarter Cinemaxx statt.

Dort angekommen erkannte man sofort, welche Leute wegen Harry Potter und welche wegen BLIND GUARDIAN da waren. Der übersichtliche Saal 3 bot etwa 130 Leuten Platz und war ausverkauft. Bereits zehn Minuten vor Beginn saßen fast alle auf ihren Plätzen und warteten gespannt. Allerdings gab es dann erst einmal eine Enttäuschung. Hatten gewisse Stellen zuvor angekündigt, dass die Band selbst anwesend sein würde, hieß es nämlich, dass die Jungs lediglich bei den drei UCI-Vorstellungen vor Ort erscheinen würde.

Dann ging es ohne Umschweife los mit dem Zusammenschnitt der beiden Coburg-Auftritte vom 13./14. Juni 2003. Zu Beginn des Openers Time Stands Still musste noch eilig die Lautstärke (nach oben) justiert werden, weshalb sich vielleicht einige Besucher im Saal nebenan über den ungewohnt brutalen Soundtrack von Der Gefange von Askaban wunderten. Auch optisch gab es zwei Makel, die leider nicht behoben wurden. Erstens fehlte es dem Bild deutlich an Schärfe und Kontrasten. Ich bin in dieser Hinsicht allerdings Laie und kann nur vermuten, dass es daran lag, dass kein 35mm-Film projiziert wurde. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass die DVD selbst ein kräftigeres Bild besitzt. Zweitens konnte auch das leicht gestreckte Bildformat nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hansi Kürschs Bauch im Gegensatz zu seinem Haar in den letzten Jahren stetig gewachsen ist. Wären Emma Watson und Gary Oldman zumindest optisch vielleicht doch die bessere Filmwahl gewesen!?

Nein! Denn in Sachen Licht und Ausstattung hat Imaginations Through The Looking Glass einiges zu bieten. Außerdem passt der Festivalrahmen perfekt: nicht zu unpersönlich, nicht zu beschaulich – so soll es sein! BLIND GUARDIAN versuchen auch erst gar nicht, den Bombast ihrer letzten Produktionen auf der Bühne eins zu eins umzusetzen. Stattdessen spielen sie einfach ihre Songs und feiern mit ihren Fans. Es gibt viele Publikumsaufnahmen, die das unterstreichen.

Bild und Ton (Charly Bauerfeind, wer sonst!?) harmonieren dabei sehr gut. Waren auf den Live-CDs die Refrain-Gesänge streckenweise noch ziemlich dünn, füllt in Coburg das Treiben vor der Bühne jedes Soundloch. Zuletzt besitzt die DVD eine (noch) bessere Setlist. So gibt es vom etwas schwächeren A Night At The Opera-Werk lediglich zwei Nummern (darunter das monumentale And Then There Was Silence). Dafür wird mit Ausnahme von Born In A Mourning Hall die gesamte Imaginations From The Other Side-Platte gespielt.

Doch der Reihe nach! Bei Banish From Sanctuary demonstriert die Band nachhaltig, dass sie noch Biss und Power hat. Nightfall schaltet anschließend einen Gang zurück und wirkt im Kinosessel glatt besser als beim richtigen Konzert! Spätestens bei Valhalla regiert aber wieder der Metal. Ähnlich scheinen das die Fans in Coburg gesehen zu haben, die zur Freude Thomens am Ende minutenlang weitersingen.

Nach mehr als einer halben Stunde gibt es dann irgendwann auch die erste (und fast schon letzte) Nahaufnahme von Keyboarder Michael Schüren, der von der Bildregie sehr stiefmütterlich behandelt wird. Die meiste Zeit über steht verdientermaßen Hansi Kürsch im Mittelpunkt. Er zieht zwar keine Show wie Bruce Dickinson ab, wirkt schlicht und ergreifend sympathisch. Hinter ihm lässt Marcus Siepen eifrig seine Matte kreisen, während André Olbrich meistens mit den ausladenden Lead-Passagen beschäftigt ist. Gastbassist Oliver Holzwarth bleibt eher im Hintergrund, hat aber sichtlich Spaß an der Musik. Bleibt nur noch Thomen The Omen Stauch, der auf sein Schlagzeug einhaut, als gäb´s kein Morgen. Der ständige Perspektivenwechseln (rechts-links-rechts-links im 16tel-Tempo!) beim Drumkit ist leider ziemlich irritierend. Überhaupt eignet sich die DVD nicht dazu, den Göttern auf die Finger zu schauen. Zu hektisch wechseln die Szenen, zu sehr stehen die Gesichter und eben Hansi im Vordergrund. Wer die gängigen Musiksender ohne Krampfanfälle anschauen kann, den wird das aber nicht weiter stören. Freilich passt es auch zur alles andere als langsamen Musik der Krefelder. Allerdings erinnere ich mich an das RockHard-Video mit Welcome To Dying-Mitschnitt, der für die Augen mit Sicherheit wesentlich weniger anstrengend ist.

Doch zurück zur Musik: Mit The Last Candle gibt es eine kleine Sensation, wie ich finde. Ich mochte den Song schon immer. Und mit dem Gesang aus einigen Tausend Kehlen und der tighten Umsetzung klingt er schlichtweg genial. Bright Eyes und der obligatorische Lord of The Rings harmonierten wiederum prächtig mit der fast schon gemütlichen Kinoatmosphäre, ehe I`m Alive und Another Holy War zum Headbangen einluden. Die meisten Zuschauer genossen die Vorführung allerdings still sitzend und mit großen Augen (und Ohren).

Nachdem ich BLIND GUARDIAN auf keinem Festival gesehen hatte, war ich sehr auf die Umsetzung von And Then There Was Silence gespannt. Wie oben beschrieben spielte gerade beim epischen Refrain das Publikum eine entscheidende Rolle. Alles war also schön, als der Song sich nach zwölf Minuten seinem fulminanten Finale näherte. Eine Minderheit im Kinopublikum sang leidenschaftlich mit und merkte erst verspätet, dass die Band den Schluss einfach weggelassen hatte. Blasphemie! Ich meine, And Then There Was Silence ist wohl der beste Song, den BLIND GUARDIAN bislang gebaut haben, und mir fällt nunmal kein Lied ein, das ein besseres Ende hat! Zumindest keins, dessen Ende zweieinhalb Minuten dauert. Dementsprechend war ich kurz davor aufzuschreien und die Einrichtung zu zerstören! Meine Hände hatten sich verkrampft und mein Pulsschlag bedrohlich beschleunigt, als Thomen nach einer kurzen Zigarettenpause Somewhere Far Beyond einzählte. Meine Entrüstung verwandelte sich umgehend in Euphorie. Ich liebe dieses Lied! Auch live funktionierte es einwandfrei, und erneut krönte der mächtige Refrain dieses Meisterwerk des melodischen Speed Metals!

Nach The Bard´s Song (In The Forest) und Imaginations From The Other Side (beide gewohnt bewegend) gab es noch die beiden Zugaben And The Story Ends und Mirror Mirror. Schnitt und Bildqualität kümmerten wohl niemanden mehr. Denn es machte einfach nur Spaß, die strahlenden Gesichter der Band zu sehen und in die Musik und das Konzert einzutauchen.

Der Kinobesuch selbst war letzten Endes nicht das (erhoffte!?) social event of the year. Allerdings bot der Konzertfilm erstklassige (und exklusive) Unterhaltung. Denn BLIND GUARDIAN sind und bleiben Deutschlands beste (Metal-)Band! Und Imaginations Through The Looking Glass lässt Fanherzen höher schlagen; insbesondere natürlich, wenn man vor Ort in Coburg war und sich selbst im Menschenmeer suchen kann!

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