AVANTASIA: Stadthalle, Lichtenfels, 03.12.2010 [ein halber Konzertbericht]

AVANTASIA live boten ein opulentes Klangerlebnis statt Kasperletheater. Die Rückkehr von Michael Kiske war ein voller Erfolg und das Publikum hellauf begeistert.

 

 

Ein halber Konzertbericht? Aufgrund witterungsbedingter Bahnverspätung brauchte ich von Erfurt nach Lichtenfels 6 statt der geplanten 3 Stunden. Deshalb verpasste einen Großteil des Konzerts. Einen vollständigen Konzertbericht kann ich folglich nicht liefern. Zum Glück dauerte der Auftritt drei Stunden, von denen ich immerhin noch 70 Minuten mitbekam.

Im Gegensatz zu vielen anderen Melodic Metal-Fans finde ich AVANTASIA nur streckenweise toll. Insofern bekam ich außer The Scarecrow noch alle meine Lieblingsstücke mit, die an diesem Abend auf der Setlist standen. Zum Eingangsriff von Dying For An Angel betrat ich die gut gefüllte Stadthalle. Auch auf der Bühne herrschte viel Verkehr. Felix Bohnke (EDGUY) saß in der Bühnenmitte hinter dem Schlagzeug, Zu seiner Rechten sang Amanda Somerville sprichwörtlich Hintergrundstimmen, während zu seiner Linken Michael Miro Rodenberg hinter seinen Keyboards hockte. Vorne spielten Sascha Paeth (ex-HEAVEN´S GATE) und Oliver Hartmann (ex-AT VANCE) Gitarre und am Rande des Geschehens zupfte Robert Hunecke den Bass. Neben Bandkopf Tobias Sammet stand freilich Michael Kiske im Zentrum meiner Aufmerksamkeit (und auch im Zentrum der Bühne). Seine Stimme hatte nichts von ihrem Reiz verloren. Im Vergleich zu alten HELLOWEEN-Live-Aufnahmen klang sie wesentlich voller und sicherer. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal erleben würde. Genial!

Entsprechend brauchte ich nur wenige Minuten, um von Reisestress auf Metal-Oper umzustellen. Das Publikum hatte natürlich schon reichlich Vorlauf gehabt und feierte den Song mächtig ab. Überall waren glückliche Gesichter. Dabei herrschte in Sachen Körpereinsatz gediegene Passivität. Mir war das ganz recht, da ich so mühelos bis in die fünfte Reihe kam. Andererseits fehlte die Energie, die ein ordentliches Gedränge (wie ich es beispielsweise anno 1998 bei BLIND GUARDIAN im Stuttgarter Longhorn erlebte) mit sich bringt. Ähnlich ging es auch auf der Bühne zu: kein wildes Herumgerenne, keine Purzelbäume, kaum lange Haare. Einzig Frau Somerville schüttelte in ihrer Ecke fleißig den Kopf. Und ein- oder zweimal stiefelte Sascha Paeth gemütlich auf die gegenüberliegende Bühnenseite, um Oliver Hartmann ein bisschen aufs Griffbrett zu schauen.

OliverAnschließend verschwand Tobi zwecks Pinkelpause von der Bühne. Für ihn kam Jørn Lande und sang Stargazers. Einmal mehr kann ich das musikalische Erlebnis am besten als gediegen bezeichnen. Die Doublebass-Attacken wirkten aufgeräumt, die Gitarren ordentlich, der Gesang absolut tadellos. Die Ballade Farewell trug Tobi im Duett mit Amanda Somerville vor. Das Publikum war hellauf begeistert und sang lauthals mit. Ich hatte ein wenig Angst in Kitsch zu ertrinken. Auch die ganzen in einige wenige Zeilen gequetschten Textsilben hatten kein leichtes Leben.

Nach dem Ausflug auf die seichte Seite der Rockoper wurde das Programm für meinen Gescmachk wesentlich besser. Der Titeltrack des aktuellen Albums The Wicked Symphony war kompositorisch einfach mitreißend. Hier hatte Oliver Hartmann seinen großen Gesangsauftritt. Angesichts der ganzen Vokalasse, die an diesem Abend auf der Bühne standen, war es kein leichtes Unterfangen, positiv aus dem Rahmen zu fallen. Doch in meinen Ohren gelang ihm das an dieser Stelle. Alles war gut!

Anschließend kündigte Tobi in der ihm eigenen Bescheidenheit den Erfinder des deutschen Heavy Metalls. Stilecht mit Hut kam daraufhin Kai Hansen (GAMMA RAY) auf die Bühne und sang eine bärenstarke Version von The Toy Master. Zum ersten Mal kam tatsächlich ein Hauch von Düsteratmosphäre und greifbarer Heaviness auf. Moshpits suchte man aber auch in der flotteren zweiten Songhälfte vergeblich.

Als könnte er meine Gedanken lesen, sprach Tobi dann darüber, dass AVANTASIA ja auch eine tief im Unterbewusstsein eine Metal-Band wäre – und wir im Publikum irgendwo tief in uns drin auch versteckte Metal-Fans wären. Korrekt! Es folgte die Speed-Nummer Shelter From The Rain, bei der einmal mehr Michael Kiske mit phänomenalem Gesang glänzte. Kai Hansen hatte sich inzwischen auch noch eine Gitarre umgeschnallt und so langsam wurde es enger auf der Bühne.

Gegen Ende der Show hatte Tobi nun endlich sein Labertalent wiederentdeckt. Erst meinte er, nun käme der Moment, wo er das Publikum fragen würde, welchen Song es gerne hören würde. Dann meinte er süffisant, nun käme der Moment, wo er nichts verstanden hätte und einfach das spielen würde, was auf der Setlist stand. Das war die Bandhymne Avantasia, womit die meisten Anwesenden sicher zufrieden waren. Jedenfalls erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt. Es wurde gesungen und hier und dort sogar gesprungen. Zum Abschluss blieb nur noch eine Steigerungsmöglichkeit: Tobi stellte (mit reichlich Superlativen) die Band vor und nach und nach betraten alle Beteiligten die Bühne. Das Ensemble beschloss das Konzert mit Sign Of The Cross. Selbst hier war der Sound kein Brei, sondern bei moderater Lautstärke ziemlich nah am Klang der Studioalben.

Es folgte minutenlanger Jubel, den die Band auskostete. Am nächsten Morgen im Hotel überhörte ich einen Fan, der den Gig in seine Top-3-Konzerterlebnisse einreihte. (Der hatte wohl noch nie WATCHTOWER erlebt!) Ich habe dagegen ein paar Haare in der Suppe gefunden: Die eingespielten Intros zwischendurch wirkten zeitschinderisch. Der Fotograf, der auf dem hinteren Laufsteg stand, nahm dem Backdrop einiges von seiner Wirkung. Und wenn man schon Michael Kiske zurück auf die Bühne lockt, hätte man ihn doch vielleicht auch irgendwie dazu bringen können, Future World, I´m Alive oder I Want Out zu singen. Aber die Suppe hat trotzdem erfreulich lecker geschmeckt!

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