ANNE CLARK: 12. November 2002, Hirsch, Nürnberg

Die Grand Dame der düsteren Pop-Poesie auf großer Akustiktour – der gnadiator war vor Ort!

Eigentlich ist das Album, um das es bei dieser Tournee geht, ein alter Hut. 1997 vertonte Anne Clark mit ihrem langjährigen Mitmusiker Martyn Bates 17 Gedichte von Rainer Maria Rilke. Ruhig, getragen und überhaupt nicht mehr elektronisch klang das plötzlich. Die Plattenfirma war alles andere als begeistert und weigerte sich, das ambitionierte Akustikprojekt zu veröffentlichen. Schwer enttäuscht nahm Anne Clark einmal mehr eine Auszeit.

Glücklicherweise hat die kleine Britin nicht resigniert. Die Londonerin, die in der Vergangenheit schon mal mit der Videokamera auf die Bühne kam, um ihre Fans zu filmen („Winkt mal – meine Plattenfirma sagt, Euch gibt es gar nicht!“), ist zurück, das Album „Just After Sunset“ im angemessenen Rahmen auf dem Markt, und doch ist da noch immer eine leise Wut im Bauch. Im Interview wettert die Musikerin gegen die Fast-Food-Mentalität, die nicht nur in der Pop-Branche immer weiter um sich greift, will sich nicht damit abfinden, dass keiner mehr zuhören kann, nicht glauben, dass sie ihrem Publikum nichts zumuten darf. Das Zuhören ist allgemein schwierig geworden in diesen Tagen, doch ohne geht es bei diesen sperrigen Lyrikadaptionen („Du Sprache, wo Sprachen enden“, definierte Rilke in dem Gedicht „An die Musik“ seine Faszination für Klänge) nicht. Entsprechen unterschiedlich fallen im gutbesuchten Hirsch die Reaktionen auf den akustischen Rilke-Reigen aus: Der Altfan nebenan lauscht ergriffen, seine Freundin beginnt zaghaft zu tanzen, während das gestylte Gothic-Girl weiter links mit seinem Handy eifrig SMS verschickt.

Unterstützt von einer famosen Begleitband schafft die Pop-Poetin, die in den zwanzig Jahren ihrer Karriere tatsächlich keinen einzigen Ton gesungen hat, eine bemerkenswert dichte Atmosphäre. Im Kerzenschein nur mit Cello, Keyboards, Gitarre, Percussion und Clarks klarer kühler Stimme wird selbst dem 80er-Jahre-Tanzbodenfeger „Sleeper In Metropolis“ ein völlig neuer Blickwinkel abgetrotzt. Zwar ist es nicht so, dass sich die streitbare Künstlerin neu erfunden hat, doch bei genauem Hinhören sind Weg und Entwicklung der 42jährigen absolut stimmig. Die Dinge bleiben in Bewegung bei Anne Clark, ihr Kampf um Anspruch geht weiter. Zumindest der umjubelte Abend im Nürnberger Hirsch gibt ihr Recht. Respekt – und alles Gute!

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