STILL REMAINS: Kein Christen-Rock, sondern schöne Musik?

Ein Gespräch über Gott und die Welt und mit einer Band, die kein Chhristenrock sein will. Unter kurzer Mitwirkung von VAN HALEN und LEMMY. Aber der ist ja ohnehin überall, wo ich hingehe. ("Hebe ein Bierglas hoch, und du wirst mich finden" oder so….)

Manchmal bekommt man mich ja auch mit etwas Kitsch und Sülze ganz gut gepackt. Und die 6 jungen Amis von STILL REMAINS haben es auf ihrem Album The Serpent und der darauf zelebrierten Mischung aus 80er-Hardrock und, naja, eben Metalcore geschafft, mir verträumte Blicke zu entlocken, angesichts der ausufernden Schönheit ihrer Songs und der coolen Old-School-Keyboards. Und so musste ein sehr freundlicher Sänger T.J.Miller neben ein paar Lobpreisungen von VAN HALEN auch ein paar Fragen zu ihrem christlichen Glauben beantworten. Gerade im Metal-Bereich hat man mit einer solchen Überzeugung ja eher einen schweren Stand und angesichts der Entwicklungen der christlichen Rock-Szene in den USA ist eine gesunde Portion Misstrauen auch durchaus angebracht, aber immerhin konnte T.J. auch mir als Atheisten/1. offiziellen Mitglied der Church of Lemmy beweisen, dass er nicht der Ned Flanders des Metal ist. Und schon gar nicht der George W. Bush.
Aber erst mal ging es natürlich um Musik…

Mir ist bei der neuen Platte besonders der starke 80er-Hardrock-Einfluß aufgefallen…

Sehr gut!

Steht ihr denn als recht junge Leute (die Bandmitglieder sind knapp/Anfang 20 – der Verf.) auf solche altbackenen Sachen wie VAN HALEN und Konsorten?

Absolut! Ich liebe VAN HALEN!

Ich dachte schon ich beleidige dich mit dem Vergleich…

Oh, nein, Mann! Wenn das beleidigend ist, dann schlag weiter zu (lacht – der Verf.)! Ich würde diese Musik aber nicht wirklich als Einfluss betrachten, obwohl ich viel davon höre. Meine Eltern haben es schon gehört. Aber alles was man hört, beeinflusst dich ja schließlich.

Trotzdem werdet ihr ja in der Hauptsache als Metalcore-Band wahrgenommen. Bist du mit dem Etikett einverstanden?

Ja und Nein. Die letzte Platte ging sicherlich mehr in diese Richtung, aber ich denke wir bewegen uns davon weg und probieren viele andere Sachen aus.

Wie zum Beispiel Gitarrensoli und gute Laune. Die Platte klingt sehr positiv.

Obwohl sie textlich eher düsterer ist. Aber es stimmt, es gibt mehr helle Momente auf der Platte. Ich denke aber, dass gerade Texte über düstere Erfahrungen für viele Leute ein positiver Einfluss sein können. Ich schreibe viel über schlechte Erfahrungen und Ängste, die ich habe. Ich hoffe, dass viele Kids etwas damit anfangen können und merken, dass sie mit solchen Gefühlen nicht alleine sind.

Du hast gesagt, dass du für diese Platte tiefer in dich hineingehorcht hast und dadurch als Texter gewachsen bist.

Genau. Es ist einfach viel ehrlicher. Es gibt so viele Dinge, bei denen ich Angst hatte, darüber zu schreiben oder von denen ich dachte, dass ich niemals einen Text darüber schreiben kann. Aber ich musste es aus einem System bekommen. Es musste gesagt werden, damit vielleicht jemand anders davon profitieren kann.

In wie weit ist es möglich so ehrlich zu sein, und wo ist doch noch Selbstschutz notwendig? Wird es irgendwo gefährlich?

Vielleicht. Es ist schwierig. Natürlich will ich nicht, dass die Leute jedes Detail von mir erfahren und mich vereinnahmen können. Aber ich versuche genau soviel zu enthüllen, wie nötig, damit sie verstehen, worum es geht. Außerdem muss es auch möglich sein, es auf die eigenen Situation des Hörers zu beziehen. Es darf nicht zu spezifisch sein, dann kann keiner mehr was damit anfangen.

Wie ist der Songs Maria zu verstehen? Gibt es diese Person?

Ja, allerdings wurde der Name verändert, um die Unschuldigen zu schützen. Oder in diesem Fall die Schuldige. Es geht in diesem Song um Vergewaltigung. Ich ging mit dieser Person zur Schule. Und eines Tages kam sie und hat jedem erzählt, dass sie vergewaltigt worden sei und beschuldigte zwei Männer. Im Nachhinein stellte sich aber heraus, dass sie freiwillig mit diesen Männern verschwunden ist und sie zu bestimmten Handlungen aufgefordert hat. Es war eine Inszenierung. Das ist jetzt eine sehr kurze Zusammenfassung der ganzen Geschichte, aber es trifft den Kern.

Das hört sich nach einer sehr verzweifelten Person an. Weiß sie, dass es diesen Song gibt? Erkennt sie sich?

Das denke ich nicht. Sie ist aber auch jemand, mit dem ich nicht mehr spreche. Aber selbst, wenn sie es hörte, würde sie es nicht merken.

Haben sich schon andere in deinen Texten wieder erkannt?

Ich denke nicht. Manchmal ist es aber so, dass man in Texten Sachen sagen kann, die zu brutal sind, um sie den Leuten direkt ins Gesicht zu sagen. Solche Situationen sind schwierig, ein Song ist da einfacher. Manchmal muss man sich aber auch nicht in solche schwierigen Situationen bringen, weil es nichts ändern würde, bestimmten Personen die Wahrheit offen ins Gesicht zu sagen. Ich will auch niemand verletzten oder nicht respektieren.

Könnte es nicht sein, dass diese Leute aus deinem Umfeld sich trotzdem erkennen und dann anfangen, über sich nachzudenken?

Das weiß ich nicht. Ich schreibe auch keine Texte, um mit jemandem abzurechnen oder ihn anzugreifen. Ich will die Sachen nur loswerden.

Schreibst du denn die Texte immer zur Musik oder auch ohne, quasi auf Vorrat?

Es kommt drauf an. Im letzten Jahr habe ich eine Menge Texte auf Tour geschrieben, ohne die Songs gehört zu haben, an denen die Jungs im Moment arbeiten. Aber auch später, als wir zusammen an den Songs gearbeitet haben, habe ich weiter neue Texte geschrieben. Ich habe da keine Standard-Vorgehensweise.

Wie wichtig ist dir die Verbindung von Musik und Text, von Atmosphäre und Aussage?

Still
Ich möchte ja auch, dass die Fans die Texte lesen, sich damit beschäftigen und am besten etwas für sich daraus ziehen können. Und wenn noch nicht einmal meine Bandkollegen das tun? – bei STILL REMAINS steht die ganze Band hinter den Inhalten

Das ist sehr wichtig. Für diese Platte gibt es sogar eine Art Gesamt-Konzept, auch wenn es in zwei unterschiedliche Richtungen interpretierbar ist. Es geht sehr viel um Angst und Versagen aber auch um Inspiration und Erfahrung.

Der Verweis zur Angst ist ja schon im Artwork vorhanden, mit der Schlange, der großen Verführerin, die das Ei umschlingt…

Genau. Und auf der Rückseite ist das Ei zerstört. Die Schlange hat gewonnen.

Was steht auf dem Ei geschrieben? Leider kann man es nicht wirklich lesen…

Es ist ein Teil des Textes von Drop from the Cherry Tree. Der mit Sicherheit ehrlichste Text des Albums, der das Gesamt-Konzept zusammenfasst. Man soll es auf dem Artwork aber auch nicht unbedingt lesen können. Vielleicht kann man es auf der Vinyl-Version, die für Europa geplant ist.

Was ist dir an einem Text das Wichtigste? Die Gesamt-Aussage, ein prägnanter Refrain, oder das Zusammenwirken mit der Musik?

Es ist eine Kombination von allem. Es kommt auf den Song an. Manchmal verbessert ein Text den Song, macht ihn komplett. Das meine ich jetzt losgelöst von der Gesangsmelodie. Aber es ist auf jeden Fall wichtig einen guten Refrain zu haben, da arbeite ich auch immer am längsten dran und ändere am meisten. Die Worte im Refrain müssen eindrucksvoll und einprägsam sein, neben einer guten Melodie natürlich. Es ist der wichtigste Teil des Textes, der Höhepunkt. Der Moment, der den textlichen Inhalt zusammenfasst und musikalisch den Höhepunkt bildet.

Könntest du Texte singen, die andere geschrieben haben? Abgesehen von Coverversionen…

Ich weiß es nicht. Ich schreibe alle Texte in der Band und das gefällt mir auch so. Ich habe auch recht viel zu erzählen und die anderen respektieren das. Mike schreibt aber manchmal schon Gesangsmelodien beim Songschreiben. Aber die Texte und auch die meisten Gesangsmelodien sind von mir. Wir sprechen in der Band über meine Texte, so dass sie auch beteiligt sind. Vieles verstehen sie sicher besser als Außenstehende, weil sie die Situationen kennen, wie der Song Marie oder Lieder über meine Beziehung zu meiner Familie. Und es ist okay für Sie. Ich bekomme viel Unterstützung von ihnen bei der Arbeit an den Texten und das ist echt toll. Es wäre echt schlimm für mich, wenn sie meine Texte nicht interessieren würden. Schließlich stehe ich ja auch auf ihre Musik und interessiere mich dafür. Ich käme mir vor, als wäre ich keine Teil der Band. Ich möchte nicht in einer Band sein, die sich nur um ihre Musik kümmert und der es egal ist, was gesungen wird, solange die Tonlage stimmt. Ich weiß aber, dass manche Bands so funktionieren. Ich möchte ja auch, dass die Fans die Texte lesen, sich damit beschäftigen und am besten etwas für sich daraus ziehen können. Und wenn noch nicht einmal meine Bandkollegen das tun? Witzigerweise haben wir letztens noch genau darüber geredet. Für mich sind meine Band-Kollegen auch meine besten Freunde und es ist mir wichtig, dass sie mich verstehen.

Ihr habt ja auch einige Line-Up-Wechsel gehabt in der letzten Zeit, sind denn die neuen Mitglieder schon an dieser Platte beteiligt?

An dieser Platte noch nicht, denn das meiste war schon geschrieben, als sie einstiegen. Trotzdem haben sie natürlich ihren Anteil. Wir haben Ben (Schauland – neuer Keyboarder) eigentlich nur vage beschrieben, wie wir uns die Keyboards vorgestellt haben und er hat sie dann alleine geschrieben. Genau so wie es sein sollte.

Gerade die Keyboards gefallen mir sehr gut, da sie erfrischend altmodisch klingen.

Genau! Und das war auch das was wir wollten. Er hat dann zwar modernes Equipment benutzt, hat aber genau verstanden, was wir uns vorgestellt hatten.

Ihr habt als Produzenten Steve Evetts gewählt, der neben HATEBREED auch THE CURE produziert hat, was auf den ersten Blick merkwürdig erscheint, aber beim Hören eurer Platte eigentlich die perfekte Kombination ist.

Definitiv. Es gibt viele Aspekte in unserer Musik, die auch zu THE CURE passen. Steve hat uns auch sehr roh und fast live arbeiten lassen, was uns sehr gut getan hat. Es ist aber für eine Band wie uns auch sehr wichtig, nicht die Schönheit von Musik zu vergessen. Heavyness und Gewalt ist etwas, das wir alle an unserer Musik lieben, aber wenn es etwas Schönes gibt, zu dem du singen kannst, macht es deine Stimme lauter und das ist eine tolle Kombination. Diese Verbindung ist einfach unschlagbar.

Wir haben ja schon über die Schlange auf dem Cover gesprochen, die ja auch in der christlichen Mythologie eine große Rolle spielt. Ihr seid ja auch bekennende Christen, wenn ihr auch keine Christen-Rock-Band sein wollt.

Ja, wir nehmen unseren Glauben sehr ernst, auch wenn wir definitiv keine christliche Band sind. In manchen Songs schimmert es durch, aber wir predigen nicht in unserer Musik. Es kommt eher in den Gesprächen zum Vorschein, die wir mit den Fans führen, denn es ist oft Thema bei den Fans. Die sind eben neugierig. Es ist für uns auch kein Problem darüber zu reden.

Steht denn die Schlange bei euch, wie im Christentum für die Bedrohung, den Teufel? Denn auf der Rückseite ist das Nest leer, also hat der Teufel gewonnen.

(lacht – der Verf.) Ja, das tut er auch in manchen Situationen. Aber da muss man dann drüber wegkommen. Wir sind ja trotzdem noch da und machen weiter.

Werdet ihr oft nach eurem Glauben gefragt? Vielleicht in Europa häufiger als in den USA?

Eigentlich nicht sehr häufig. Bei der letzten Platte wurden wir oft als Christen-Rock-Band beschrieben, was in meinen Augen komplett falsch ist. Aber man sagt ja, es gibt keine schlechte Presse, so lange sie über dich schreiben (lacht – der Verf.). Gestern hat mich aber auch jemand auch Deutschland zu diesem Thema gefragt und eine Diskussion angefangen. Er wollte, dass ich am Ende blöd aussehe und mich in Widersprüche verwickle, aber ich habe die Ruhe bewahrt. Es ist eigentlich nicht nötig, solche Diskussionen zu führen, nur weil jemand einen bestimmten Glauben hat, denn jeder hat doch seinen eigenen Glauben, welcher Art auch immer. Jeder glaubt an irgend etwas. Anders geht es nicht.

Naja, es geht schon. Auf die ein oder andere Art geht es sogar sehr gut. Mein Glaubensbekenntnis wäre, wenn ich denn eines wählen müsste, dann das von Lemmy aus dem Song Rock´n´Roll; I believe in Rock´n´Roll, and if that´s all there is, it ain´t so bad

Na, siehst du. Und dieses Glaubensbekenntnis kann ich auch teilen.

Still
Bei der letzten Platte wurden wir oft als Christen-Rock-Band beschrieben, was in meinen Augen komplett falsch ist. – STILL REMAINS nehmen ihren Glauben ernst, haben aber Probleme mit dem Stempel ´christliche Band´

Verstehst du denn, dass es gegenüber der christlichen Rock-Szene ein großes Misstrauen gibt? Zumindestens hier in Europa ist es jedenfalls so.

Es gibt auch in den USA nicht nur Akzeptanz dafür. Keiner hat etwas dagegen, dass Leute Musik machen, oder dass sie einen religiösen Glauben haben und manchmal diese beiden Teile ihres Lebens auch verbinden. Aber ich bin nicht für Predigen von der Bühne. Wir werden sogar von christlicher Seite angegriffen, weil wir uns nicht als christliche Rock-Band bezeichnen lassen wollen und dieses Verhalten ist nun wirklich ziemlich dumm. Wir sitzen da zwischen den Stühlen. Aber wir lieben unsere Musik und mir ist auch trotz alledem die Message wichtig. Und unsere Musik ist gut und die Leute sollten sie vorurteilsfrei hören.

Eure Texte handeln vom Umgang mit den Schwierigkeiten des Lebens, ganz grob gesagt, und damit kann man auch als Nicht-Christ etwas anfangen.

Richtig. Wir sehen es natürlich als Christen, da wir welche sind, aber die Message ist trotzdem offen, denn es geht um das Leben und nicht immer nur darum, Gott zu preisen oder so. Selbst in den Songs, in denen der Glauben eine Rolle spielt, ist es kein Predigen oder beten, es bin einfach ich, der etwas erzählt. Ich erzähle den Leuten nicht, was sie glauben sollen, sondern, was ich erlebt habe und was das mit mir gemacht hat. Auch die Texte über meine Beziehung zu Gott, wenn man so will, könnten auch von jeder anderen Beziehung handeln. Es geht einfach um das Leben.

Ich denke, in den USA hat Religion ohnehin eine andere Bedeutung, nicht nur in der Öffentlichkeit. In Nord-Europa ist Religion eher Privat-Sache und man findet es suspekt, wenn Leute auf Bühnen ekstatisch anfangen zu beten oder zu singen oder offensiv ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragen. In den USA ist das normaler. Deswegen ist für uns auch christliche Rock-Musik eine eher absurde Erscheinung. Mal ganz abgesehen von fragwürdigen politischen Themen.

Ich versuche, meinen Glauben privat zu halten. Ich rede nur darüber, wenn ich danach gefragt werde. Ich denke, wenn man sich den Zustand der Welt heute ansieht, der wahrlich nicht grade gut ist, dass es für die Leute wichtig ist, in ihrem eigenen, privaten Leben einen Glauben zu haben, der es ihnen ermöglicht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Allerdings haben Religionen sicher einen großen Anteil am schlechten Zustand der Welt…

Das stimmt. Wenn ich sehe, dass der Präsident der USA gegen andere Länder in den Krieg zieht und sagt, er tue dies im Namen Gottes, kann ich nur staunen. Das widerspricht definitiv meinen Glauben und wirft ein schlechtes Licht auf meine Religion, denn die Leute bekommen den Eindruck, es gehe nur um Krieg und Rache, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Aber ich denke, dass Gott über so etwas auch nicht nur lächeln wird.

Nachsatz: Lemmy auch nicht. Die Moral von der Geschicht: Es sprechen manchmal auch die unterschiedlichsten Götter erstaunlicherweise dieselbe Sprache. Amen und Prost!

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