SLIPKNOT: Klassenarbeit mit Chris

Klassenarbeit, Kautabak und das "Dark Side of the Moon" des Metal…..

Bei einem SLIPKNOT-Interview weiß man ja nicht genau, was man so erwarten soll. Und eigentlich bekommt man dann das, was man erwartet, nämlich etwas unerwartetes. Ich hätte im Falle von Percussionist CHRIS (#3), niemals einen nach typischem Ami-aussehenden Typen in kurzen Hosen und Basecap, Kautabak kauend auf dem Bett sitzend erwartet. Und freundlich war er auch noch. Sachen gibt’s…

Aber bevor es soweit war, gab es eine Mischung aus Hochsicherheitstrakt-Listening-Session und Klassenarbeit. Sechs Songs der neuen Platte „Vol. 3 (The subliminal Verses)“ wurden zu Gehör gebracht. Alle Schreiberlinge wurden in einem Hotelzimmer versammelt, um einen Tisch gruppiert, alle Jacken und Taschen wurden entfernt und ein Zettel wurde ausgeteilt. Darauf die sechs Songtitel, mit jeweils etwas Platz für Lösungsweg und Ergebnis. Endergebnis bitte doppelt unterstreichen. Der Rechenweg gibt auch schon Punkte.

Die Beschreibung der Musik aus dem Kopf spare ich mir lieber, die Veranstaltung war schon bizarr genug. Schließlich gibt es ja fundierte Plattenkritiken in diesem Magazin. Danach wurden die Taschen und Jacken wieder ausgeteilt, man durfte in sein Pausenbrot beißen und wurde zur mündlichen Prüfung in ein anderes Hotelzimmer geführt. Leider weiß ich immer noch nicht, ob mein Banknachbar oder ich den dritten Song richtig hatten…

Jedenfalls konnten nun die Kollegen vom Triggerfish, Smashmag und ich mit Chris etwas Kautabak kauen, in einen Blechnapf spucken und gemütlich plauschen. Also sprachen wir über die gerade gehörten Songs und die Versorgung der Bevölkerung auf dem platten Land in Iowa mit lebenswichtigen Rohstoffen…

In Iowa kam man kaum an extreme Musik heran. Die Metal-Abteilung im lokalen Plattenladen war ungefähr 10 cm breit. Wir haben damals alles von Roadrunner, Combat oder Whiplash gekauft, egal von welcher Band.

Was geht in dir vor, wenn du jetzt die neuen Songs hörst?

Die neuen Songs lösen eine ganze Bandbreite von Gefühlen aus. Wir brauchten definitiv diese Pause als Band. Die Anderen konnten ihre Sideprojects verwirklichen und aus den Köpfen bekommen. Wir waren so lange auf Tour. Nach der “IOWA“ Platte waren wir anderthalb Jahre auf Tour und es ist sowieso nicht einfach in dieser Band zu sein. Es sind immerhin neun Leute, die da zusammen im Tourbus hängen. Für fast drei Jahre. Wenn ich jetzt diese Platte höre, kommt mir der ganze Bullshit wieder in den Sinn, den wir durchmachen mussten. Man weiß ja vorher nicht, was einen erwartet. Man ist in einer Garage und jammt, dann kommt der Plattenvertrag und Fuck! Was macht eigentlich ein Manager? Was machen die ganzen anderen Typen? Alle ziehen einen ab und die ganze Scheiße. Wir sind da durch wie alle anderen Bands und jetzt wissen wir was abgeht. Was wir wollen, das abgeht.

Ihr habt die Recording-Sessions alle zusammen in einem zum Studio ausgebauten Haus gemacht, in dem ihr auch gewohnt habt. War das so ein back-to-the-garage-feeling?

Ja, so in der Art. Bei den „Iowa“-Session hatte jeder sein eigenes Appartment, nur so zum Geld verbrennen. Wenn man dann aber nach einer Woche mal wieder in das Studio gegangen ist, hatte sich alles auseinander entwickelt. Es war sehr merkwürdig. Dieses Mal ist man aufgewacht und da stand Mick in Unterwäsche. Fuck! Alle waren die ganze Zeit da und brachten Ideen ein. Man konnte die Musik sogar in den Zimmern hören. Man bekam mit, wenn etwas neues gemacht wurde und konnte jederzeit dazukommen. Man war viel enger am ganzen Projekt.

Habt ihr dort mit dem Schreiben der Songs angefangen?

Nein. Joey und Paul schrieben seit Januar 2003. Sie haben ca. 10 Songs in Demoversionen gemacht und an uns verteilt. Wir hatten schon etwas, an dem wir als Band arbeiten konnten. Bei dieser Band ist es sowieso der Fall, dass sich alles nochmal stark verändert, wenn jeder seinen Scheiß dazu gibt. Am Ende haben wir noch Stücke im Studio geschrieben. Rick (Rubin, Produzent – der Verf.) wollte eine grosse Auswahl von Songs.

Warum der Wechsel von Ross Robinson zu Rick Rubin?

Wir hatten die Chance dazu. Mit überhaupt einem von den beiden zu arbeiten ist genial. Wir wollten einfach was neues und uns weiterentwickeln. Es war eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen konnten. Man kann nicht sagen, ob wir für die nächste Platte zurück zu Ross gehen. Nichts gegen Ross, ohne ihn würde ich nicht hier sitzen. Er hat uns aus Iowa geholt, wir hatten keinen Deal und er wollte unbedingt unsere Platte machen. Er hat für alles bezahlt. Wir schulden ihm eine Menge.

Wolltet ihr auf jeden Fall einen anderen Stil, einen anderen Einfluss?

Naja, ich weiß garnicht mehr, wann letzendlich die Entscheidung für Rick fiel. Wir wussten aber immer, was wir wollten. Man weiß aber, was für ein großartiger Poduzent er ist. Er ist auch vielfältig. Er hat „Reign in Blood“ gemacht und JOHNNY CASH. „Iowa“ war sehr extrem, aber sehr leise kann auch sehr extrem sein. Rick hat uns da geholfen. Dead Silence is fucking intense, Man! Er hat uns sehr geholfen uns zu öffnen. Er sagte Sachen wie: Warum setzt ihr da nicht mal eine Triangel? Und wir meinten: Hey, wir sind SLIPKNOT! Wir zerschlagen so etwas höchstens! Aber wenn man es dann doch probiert, merkt man wie cool es klingen kann. Jeder in dieser Band ist so talentiert, wir könnten jede Woche eine Platte wie „IOWA“ rausbringen. Wir haben so viele Songs, die schnell sind, mit Blastbeats und allem. Dieses mal wollten wir einen anderen Weg einschlagen. Nicht um radiokompatible Sachen zu schreiben, die spielen uns sowieso nicht. Aber wir wurden bessere Songschreiber und bessere Musiker in diesem Aufnahmeprozess. Und wir hatten mehr Zeit. Bei den „Iowa“-Sessions standen wir voll unter der Knute der Plattenfirma und mussten uns beeilen oder es gab kein Geld mehr. Mit Rick läuft die Geschicht anders: (Er spielt einen Telefonanruf der Plattenfirma – der Verf.) „Sie sind noch nicht fertig.“ (Legt auf – der Verf.). “Ich brauche drei Songs mehr“.

Das hat uns die Zeit gegeben richtig an den Songs zu arbeiten, an Gitarrensoli und so weiter. Wir konnten endlich alles verwirklichen, was wir schon die ganze Zeit machen wollten.

Trotzdem klingt es irgendwie purer, musikalischer und weniger produziert…

Es ist viel musikalischer. Es zeigt wie gut unsere Gitarristen sind, wie gut Joey ist. Jeder weiß wie gut sie sind, aber man hört es viel besser. Wartet bis ihr die Platte zuhause hört. Man kann bei jedem Durchlauf noch etwas entdecken. Auch die Percussions stehen mehr im Vordergrund. Es ist ein schmaler Grat, sie nicht im Drumsound von Joey begraben zu lassen. Das ist sehr schwierig. Sean und ich hatten dieses Mal viel Zeit etwas auszuarbeiten und mit verschieden Drumsounds zu probieren. Wir konnten die Songs heavier machen, ohne Joey in die Quere zu kommen.



Wie sieht überhaupt die Rolle der Percussions bei euch aus, denn es ist ja nicht gerade das gängigste Metal-Instrument. Kommt ihr für gewöhnlich ins Spiel, wenn der Song fertig ist?

Eine Menge Songs wurden mit den Percussions angefangen, beim Jammen. Meistens ist der Song aber fertig. Wir müssen sehen, wie sich der Song entwickelt. Joey hat einen sehr guten Sinn für Musikalität, und wir schauen was er macht und wo noch etwas fehlt. Sean und ich haben aber die meisten unserer Parts auf diesem Album geschrieben. Wir haben jeden Tag daran gearbeitet und entwickelt. Wir haben sehr viel aufgenommen, damit beim Mix noch Variationen ,möglich sind. Jeder Aspekt des Songs war mit allen erdenklichen Drumparts abgedeckt und man konnte das beste raussuchen. Im Grunde warten wir bis der Song mehr oder weniger fertig ist und spielen, was wir beim Song fühlen.

Habt ihr mehr Songs, als auf dem Album erscheinen fertig produziert?

Wir haben ungefähr 22 Songs aufgenommen. Und ich liebe sie alle. Vielleicht benutzen wir sie für Soundtracks oder Videospiele. Man darf der Plattenfirma nicht alles geben. Denen gehört sowieso schon unser Arsch. (lacht bitter – der Verf.) Wir haben aber noch mehr Material für die Fans oder für die Website.

Was bedeutet der Titel das Albums?

Ich habe keine Ahnung, wie es überhaupt heissen wird. Corey hat sich mit Numerologie und der Zahl 9 beschäftigt, der kam immer mit Sachen, die ich noch nicht mal aussprechen kann. Mit neun Idioten ist es hart, sich auf einen Titel zu einigen.

Wer entscheidet, welche Songs auf Album kommen und welche nicht?

Alle. Wir schicken uns Listen per E-Mail und streiten. Wir sind sehr aufgeregt wegen dieses Albums und die Song-Reihenfolge ist so wichtig. Bei „Iowa“ haben wir sie ca. 50mal geändert.

“Pulse of the Maggots“ ist als Hymne für die Fans gedacht…

Ja, sie sollen wissen, dass wir sie nicht vergessen haben. Sie sollen sich als Teil der Band fühlen. Ohne sie würde es SLIPKNOT nicht geben.

Ihr seid ja bekannt für eure extrem ergebene Gefolgschaft. Ist das nicht auch manchmal beängstigend?

Ich denke, das ist ähnlich wie meine Leidenschaft für SLAYER. Ich habe damals in Iowa 10 Stunden vor der Halle gewartet, bis sie kamen. Ich verstehe das. Ich weiß, wie es ist Fan einer Band zu sein.

Denkt ihr, dass euer Image, eure Show, euer Bild in den Medien und das, wofür ihr steht, die Leute manchmal mehr anzieht, als die Musik?

Vielleicht für eine Show. Aber ich glaube nicht, dass jemand, der nicht auf diese Art Musik steht, nur wegen der Kostüme zur Show geht. Aber es gibt solche Leute. Es ist aber cool für mich. Ich bin jetzt ´ne Menge rumgekommen und ich habe so viel trippy Shit gesehen, da ist es gut, dass ich eine Maske trage. Ich kann durch diese Stadt laufen und keiner weiß wer ich bin. Bei den anderen in der Band sieht das schon anders aus. Man muss schon sehr großer Fan sein um mich zu erkennen. Ich habe damit keine Probleme.

Wir haben für das neue Album neue Masken machen lassen. Sreamin´ Mad George, der viel Effekte für Filme macht, z.B. für Gremlins, hat sie gemacht. Sie sitzen jetzt besser und halten länger. Die alten konntest du nach einer Show wegschmeissen. Die Dinge entwickeln sich, aber es sind immer noch diesselben Tyen, die rumkrebsen.

Es gibt also auch eine visuelle Repräsentation der Wiedergeburt der Band…

Ja, es ist eine Wiedergeburt. Es ist sehr schwer in dieser Band zu sein. Genau wie bei einer Frau. Wenn man eine Weile weg ist, vermisst man sie. Genauso vermissen wir die Band und zu spielen. Wir spielten jetzt in kleinen Clubs und sie waren innerhalb von Stunden ausverkauft. Allerdings haben wir dann nicht das Venue gewechselt um mehr Tickets verkaufen zu können. Wir wollten Oldschool spielen. Wir haben gezeigt, dass wir die grosse Show bieten können, mit Pyros und so. Aber SLIPKNOT in einem kleinen Klub…Oh, Man! Fucking nuts!

Die grosse Bühne kommt dann ja wieder auf der Tour mit METALLICA

Es lässt sich an diesem Punkt unserer Karriere nicht vermeiden, so etwas zu tun. Aber es ist cool mit METALLICA zu spielen. Es ist ein Traum, der wahr wird. Ich bin Fan, seit ich elf oder zwölf Jahre alt bin. Ausserdem ist es eine andere Fan-Gruppe, die wir sonst nicht erreichen könnten. Vielleicht gefällt es ja einigen. Oder sie sagen: Fuck off, where´s Metallica?

Aber danach auf unserer eigenen Tour versuchen wir es kleiner anzugehen. Mit nur einem Promoter, der mich dann nicht daran hindern kann alles in Brand zu stecken.

Wie gefällt dir die „St. Anger“?

Ich bin so froh, dass sie wieder eine Platte gemacht haben! (grinst – der Verf.)

Einer eurer Songs, “Don´t get close“ wird wieder in einem Videospiel vertreten sein. Es wird einen Code geben, mit dem Specialfeatures freigeschaltet werden können. Spielt ihr selber auch Computerspiele?

Das ist alles was ich tue. Ich habe es total genossen, dass einer unsere Songs bei „Brotherhood of Steel“ benutzt wurde. Jedesmal wenn ich in diesen Kampf gehe, zu unserer Musik, das ist toll! Es ist cool unsere Musik dabei zu hören.

Womit hast du dich in der langen Pause sonst beschäftigt?

Ich habe mit ein paar Freunden eine kleine Garagen-Band gehabt. Stonerrock. Ohne irgendwelchen Ziele, nur um mit guten Freunden Musik zu machen.

Also war nicht eine Pause von der Musik nötig, sondern eher von SLIPKNOT?

Ja, ich könnte immer Musik machen. Ich brauche es jeden Tag. Etwas Urlaub für mein krankes Gehirn. Ohne Band würde ich einfach auf irgendwelchen Sachen rumtrommeln…Momentan stehe ich auch sehr auf SUPERJOINT RITUAL. Aber sonst bin ich eher Oldschool. Ich höre viel SLAYER oder VENOM. Oder BATHORY. Ich lebe in dieser Welt und höre kaum Radio. Es gibt nichts neues, das wirklich aufregend ist. Es gibt nur HipHop oder garnichts. Ich schaue schon gar kein MTV mehr, höchstens noch VH1 wegen „Behind The Music“. Sogar wenn es um Faith Hill geht. Es ist auch interessant, was sie alles durchmachen musste. Ehrlich gesagt, gibt es einfach nichts aufregendes mehr, deswegen ist SLIPKNOT so lebendig. Es interessiert uns nicht, ob sie uns dort spielen. Unsere Fans wissen schon, was wir machen.

Habt ihr denn nach den schlechten geschäftlichen Erfahrungen, die du vorhin erwähnt hast, auch etwas in dieser Richtung geändert

Ja. Wir haben eine neues Managment und komplett neue Leute um uns herum. Wir haben unser Haus ausgemistet. Wir möchten den ganzen Müll auf unserer nächsten Tour nicht mehr. Wir haben ja Manager, damit sie sich um alles kümmern und nicht wir. Wir können uns nur um die Musik kümmern, denn das können wir am Besten.

Unsere neue Platte ist, obwohl es ein schlechter Vergleich ist, so etwas wie das „Dark Side of the Moon“ des Metal. Man drückt nach einem Durchlauf sofort die Repeat-Taste.

Layout: Alex C.

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