NILE: Ägypten durch den Fleischwolf

Wir waren auf einen Besuch in den Gehirn-Katakomben von NILE. Gestoßen sind wir auf interessante und provokante Gedankengänge der Ägyptologen…

In Their Darkened Shrines, das neue Album der amerikanischen Ausnahme Death Metal Band NILE sollte jeden Zweifler überzeugen – neben den Heerscharen austauschbarer Extrem Metal Klon Bands gibt es noch originelle, anspruchsvolle Bands, die mehr bieten als stumpfes Gebolze. Dallas Toler-Wade, Gitarrist und Co-Songwriter scheint trotzdem ein sympathischer und bescheidener Zeitgenosse zu sein: Trotz verflucht eng gestecktem Zeitrahmen beantwortete er geduldig alle Fragen, und lässt uns einen Blick in die Gehirn-Katakomben der Ägyptologen werfen – in denen sich auch durchaus interessante und provokante Gedankengänge winden.

Auf eurer Homepage benutzt ihr den Ausdruck „cinematic feel“, um die Atmosphäre eurer Musik zu beschreiben – der Ausdruck passt wunderbar zu den Alben Amongst the Catacombs of Nephren-Ka und Black Seeds Of Vengeance. Das neue Album In Their Darkened Shrines hingegenwirkt auf mich viel direkter: Im übertragenen Sinne sieht man sich keinen Film an, sondern spielt mit.

Wow – Danke. Nun, wir werden immer mehr NILE, je länger wir zusammenarbeiten. Wir wollten mit dem neuen Album ein Bild zeichnen, eine Atmosphäre visualisieren, die intensiver ist als je zuvor – was uns anscheinend ja auch gelungen ist.

In Their Darkened Shrines ist die oft beschworene logische Weiterentwicklung. Allerdings ist das Album trotz einer verstärkt epischen Ausrichtung gleichzeitig auch das dunkelste und brutalste NILE Album überhaupt. Eigentlich überraschend, denn normalerweise schließt sich beides aus, oder?

Als wir mit dem Songwriting begonnen haben und auch während der ersten Aufnahmen im Studio dachte ich, dieses Album würde weniger düster als Black Seeds Of Vengeance werden. Ein Eindruck, der vollkommen ins Gegenteil umschlug, als ich dann das fertige Album zum erstem Mal hörte. In Their Darkened Shrines ist viel, viel wilder und dunkler als alles, was man bisher von NILE hören konnte.

Auf In Their Darkened Shrines ist zum ersten Mal Tony Laureno am Schlagzeug zu hören, der bislang nur als Aushilfsdrummer nach Pete Hammouras Ausstieg bei NILE aktiv war, außerdem ist Basser Chief Spires nicht mehr dabei. Da liegt die Vermutung nahe, dass die Besetzungswechsel mitverantwortlich für die dichtere Atmosphäre sind. Darüber hinaus habt ihr wieder mit Gastmusikern gearbeitet, Jon Vezano und Mike Brazeale haben einige Vocalstracks beigesteuert.

Ich bin sehr glücklich mit dem neuen Line-Up. Ich glaube nicht, dass wir In Their Darkened Shrines mit dem alten Line-Up hätten aufnehmen können. Die Musik ist komplexer und Tony hat eine Menge zu den Titeln beigetragen. Besonders der Song „Kheftiu Asar Butchiu“ lebt von seinem Schlagzeugspiel – er gab dem Song einen Rhythmus. Sein Einfluss passt hundertprozentig zu NILE. Jon Vezano von DARK MOON hat das Chaos ins Studio gebracht, er hat einige unglaublich Vocaltracks beigesteuert. Ich war froh, mit ihm arbeiten zu können… wir denken auch immer an du Zukunft, du verstehst? Mike Brazeale ist ein Freund von uns, und er ist ein verdammt guter Sänger – er ist auch sehr gut im Power Metal Bereich.

NILE ist für mich eine Band, die schon immer versucht hat, die Grenzen des Death Metals zu verschieben…

Nun, wir wollen einfach gute Songs schreiben und dabei verschiedene Dinge ausprobieren – und aber gleichzeitig uns treu bleiben, unsere Identität bewahren. In Their Darkened Shrines ist eindeutig ein NILE-Album, man hört sofort, welche Band es aufgenommen hat. Dieser Widererkennungswert ist uns verdammt wichtig. Es gibt viel zu viele Bands, die versucht haben, etwas neues zu machen und sich damit irgendwann viel zu weit von ihren Wurzeln entfernt haben. Plötzlich klangen Bands komplett anders als früher, das einzige, was ihre miteinander Alben verbindet, was der Name der Band. Ich glaube, ich muss keine Beispiele namentlich nennen, oder? Bei NILE weiß man immer, was einen erwartet – und das wird auch so bleiben.

Natürlich sind wir mit der Zeit auch bessere Musiker geworden sind. Ich meine, man probt als Band ständig. Wenn es aber darum geht, Songs zu schreiben, ist es nichts wert, wenn du hochkomplizierte Dinge auf deiner Gitarre fehlerfrei spielen kannst. Ich könnte natürlich auf eine Musikhochschule gehen und all diese komplexen Griffmuster erlernen – doch was bringt mir das? Karl gibt mir ein paar Textentwürfe und fragt mich, was ich daraus machen würde, wie ich die Worte musikalisch umsetzten würde. Tja, und dann überlege ich mir halt was. NILE besteht eigentlich aus dieser Zusammenarbeit. Wenn du ein Buch liest, hast du auch Bilder im Kopf – wenn du Pech hast, wird das Buch verfilmt und der Film passt nicht zu deinen Vorstellungen, dann ist der Film für dich nicht gut, haha. Aber so ähnlich arbeiten wir auch. Wir können ein Bild mit unserer Musik malen, da die Musik extrem von den Texten und der Recherche für die Texte inspiriert ist.

Siehst Du NILE als Kunstform, mit der Inhalte in ein anderes Medium transportiert werden? Schließlich setzt ihr diese ganzen Texte, die Aspekte der alten ägyptischen und sumerischen Kultur behandeln, in ein modernes Medium um – ihr malt Bilder, um es mit deinen Worten auszudrücken.

NILE hat sicher etwas künstlerisches an sich. Aber am Ende eines Tages, wenn ich in mein Bett falle, bin auch ich nur ein Typ, der brutalen Death Metal macht, haha. Death Metal ist die ideale Ausdrucksform für unsere Texte, es musste früher oder später dazu kommen, dass wir diese Kombination für uns entdecken. Diese alte ägyptische Kultur unterscheidet sich sehr von unserem heutigen Leben. Tausend Jahre Wahnsinn! Die Menschen waren damals viel wilder, und Musik, speziell Death Metal, drückt genau diese Wildheit und diesen Wahnsinn aus. Es gibt wohl auch kein anderes Ausdrucksmittel für diesen Aspekte der Menschheit.

Die ägyptische Kultur wird oberflächlich betrachtet, oft positiv bewertet. Man denkt an Pyramiden, die unvorstellbare körperliche Arbeit, die für den Bau dieser Grabstätten notwendig war, an den Todeskult um Pharaonen und so weiter. NILE zeigen auch die andere, finstere Seite, die oft im Schatten eines der sieben Weltwundern steht.

Nun, es gab einfach auch diese böse, dunkle Seite. Wenn Du dir aber Fernsehsendungen im Discovery Channel zum Thema Ägypten ansiehst, dann wirst du davon nichts erfahren Forensische Wissenschaft und die dunkle Seite der ägyptischen Kultur spielen dort keine Rolle. Ich glaube, dass jede Kultur diese dunkle, verborgene Seite hat – die der Ägypter ist allerdings besonders dunkel. Es gab schon sehr brutale Rituale wie die „Opening The Mouth Ceremony“, das interessante ist aber, dass die Ägypter selbst ihre Kultur gar nicht als dunkel und böse empfanden. Die Akzeptanz der eigenen Natur war einfach größer, sie umarmten ihr wahres Wesen – bildlich gesprochen. Erst als sich das Christentum durchsetzte, wurde von uns erwartet, dass wir unsere wahren Gefühle unterdrücken. Die Ägypter hatten eine eher heidnische Form der Religion, sie umarmten und schätzen all ihre Gefühle… so etwas in der Art. Zumindest ich interpretiere ihr Wesen so. Ich bin kein Experte, dafür ist Karl zuständig, dieses Interpretation zog ich aus meinen eigenen Nachforschungen. Die Bereitschaft, die natürlichen Emotionen zu akzeptieren und auszuleben war damals einfach größer – so könnte man meine Schlussfolgerung zusammenfassen.

Du hast vorhin schon angesprochen, dass du eng mit Karl zusammenarbeitest – wie genau sieht diese Zusammenarbeit aus? Wie wichtig ist die gegenseitige Inspiration, er schreibt den Großteil der Texte und du bist eher für die Musik zuständig, oder wie muss man sich das vorstellen?

Ich habe mit „Winds of Horus“ meinen Initiationssong geschrieben. Außerdem sind die Songs „Invocation Of Seditious Heresy“ und Execration Texts“ von mir, die Texte sind von Karl. Songschreiben ist wie ein Kampf, wer genau was gemacht hat, kann man hinterher nicht ohne weiteres aufschreiben – oder eingravieren. Wobei der Vergleich mit dem Kampf eigentlich nicht so gut ist, denn dach einer Schlacht gibt es meistens Tote, haha. Wir haben für dieses Album so eng wie nie zuvor zusammengearbeitet. Schritte wie die Länge des Songs in Abhängigkeit zum Text bestimmen, den Ton der einzelnen Songs bestimmen – all das ist Ergebnis von Teamarbeit.

Ihr gebt mit In Their Darkened Shrines jedem die Möglichkeit, die Songs zu „entziffern“: In sehr, sehr ausführlichen Linernotes erklärt Karl, um was es in den einzelnen Songs geht und gibt Hintergrundinformationen.

Durch diese Erläuterungen erfährt man viel mehr, als das, was im Text steht. So wird das Bild, das mit einem Song geschaffen wird, größer und umfangreicher. Wir geben an, was uns zu dem Song inspiriert hat, ob es Lovecraft oder ein anderer Autor war, du findest dort Informationen zum zeitlichen und historischen Hintergrund und so weiter. Für mich ist es wichtig, dass es auch Informationen über die Musik und die Texte hinaus gibt.

Interessant ist es allemal, eine andere Seite der ägyptischen Kultur zu entdecken. Wollt ihr die Fans auch speziell auf diese Dings aufmerksam machen oder habt ihr euch für dieses Konzept entschieden, weil ihr euch dafür interessiert? Gibt es eine Botschaft in den Songs von NILE?

Nun, das ist eigentlich ganz einfach: Uns interessiert dieses Thema und da liegt es nahe, dieses Interesse auch in die Musik einfließen zu lassen. Karl hat begonnen, Texte über ägyptische Kultur zu schreiben lange bevor es NILE überhaupt gab. Je mehr wir uns mit diesem Thema beschäftigen, desto bewusster wird uns, dass es eines der besten Themen für Death Metal Bands überhaupt ist. Es ist aufregend, dass dieses Thema das Potential hat, das Interesse von Leuten, die bislang keinerlei Bezug dazu hatten, auf sich zu ziehen. Wenn jemand durch NILE dazu kommt, Kurzgeschichten von H.P. Lovecraft, The Egyptian Book Of The Dead oder ein Hyroglyphen Lexikon anzuschauen, ist das großartig und es gib mir das Gefühl, dass ich mehr für den Hörer tue als nur Gitarre zu spielen, als nur Musik zu machen. Es wäre schon cool, wenn wir Leute dazu bewegen könnten, sich mit diesen alten Geschichten zu beschäftigen. Ob das klappt, weiß ich aber nicht.

Eure Texte sind auf der anderen Seite aber auch durchaus Death Metal kompatibel. Kannibalismus oder Textzeilen wie „I Gash Your Throat And Splatter Your Blood“ passen ja ganz gut ins Bild. Allerdings bettet ihr diese durchaus provokanten Texte in einen ganz anderen Kontext.

Wir sind nicht eklig und abstoßend, um eklig und abstoßend zu sein. Die Textzeile, die du angeführt hat, ist ein ganz gutes Beispiel, an dem ich erklären kann, um was es uns geht. Sie kam folgendermaßen zustande: Das Buch „River God“, das mich zu dem Text inspiriert hat, ist im Prinzip historische Fiktion, es steckt eine Menge Wahrheit darin, diese Dinge sind wirklich passiert. Es beschreibt eine der brutalsten, barbarischen Schlachten überhaupt. Heutzutage ist kämpfen „einfacher“: Du musst nur einen Knopf drücken oder ein Stück Papier unterschreiben. Damals watete man noch knietief im Blut. Statt einfach einen Text zu schreiben, in dem es darum geht, wie man jemandem die Eingeweide rausreißt, beschreibt dieser Song rituelles Verhalten der alten Ägypter, So haben wir auch die Rechtfertigung dafür, dass wir solche Texte schreiben, haha. In „Unas Slayer Of The Gods“ geht es darum, Innereien zu essen, um Kannibalismus – der Hintergrund ist, dass man nach dem damaligen Glauben so die Kraft der toten Person auf sich übertragen konnte. Das ging soweit, dass man auch an den Göttern nagte – sehr apokalyptisch…..

Was glaubst du, wie fühlt sich ein Archäologe in 3000 Jahren, wenn er Gräber von uns entdeckt? Eigentlich müsste er enttäuscht sein, oder?

Ich glaube nicht, dass es heutzutage noch viel spirituelle Inhalte in der Welt gibt. Zur Hölle, da kann ich mich aber gleich selbst an die eigene Nase fassen, denn auch ich bin Atheist. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass niemals alles wissenschaftlich erklärt werden kann. Raum für Spirituelles gibt und gab es immer. Aber wer weiß, vielleicht gibt es aber auch irgendwann eine wissenschaftliche Erklärung dafür, warum wir bestimmte Dinge glauben. Vielleicht ist eines Tages wirklich alles rational erfassbar – ich weiß es nicht.

Aber du hast schon recht, den Menschen fehlt mittlerweile wohl etwas. Interessanterweise kann man das auch in Metalszene sehen – es ist einfach nicht mehr so wie in den 80ern, als die Fans Metal lebten, liebten, mit ihm auswuchsen und mit ihm starben. Es gibt noch solche Menschen, aber es sind lange nicht mehr so viele. Eine ganze Menge wurden „normal“, schnitten ihr Haar und arbeiten heute bei der Bank. Man hat sie quasi durch einen Fleischwolf gedreht – sie sehen jetzt aus wie Hackfleisch – und Hackfleisch sieht immer gleich aus!

Auf der anderen Seite scheint es durchaus das Bedürfnis zu geben, wider etwas Nicht-Rationales, Nicht-Wissenschaftliches in den Alltag zu bringen – das Interesse an alten Mythologien oder Satanismus oder was auch immer kommt sicher nicht von ungefähr.

Ich weiß nicht, wie es in Europa ist, aber hier in South Carolina dominiert noch immer ganz stark die christliche Religion. Es ist nicht immer einfach, damit klar zu kommen. Ich wünsche mir sogar, dass es hier mehr Wissenschaft und Technik gäbe! Ich denke, dass der wöchentliche Kirchenbesuch nicht dazu berechtig, den Rest der Woche ein Sünder zu sein. Ich finde Religionen sind faszinierend, aber ich würde niemals einer folgen. Man kann sehr viel aus Religionen lernen, sie verraten viel über die Menschen und sie sind es meist auch wert, bewahrt zu werden – doch dazu muss ich nicht die jeweiligen Götter verehren – zumal die meist ziemlich altmodisch sind, hehe.

Verehrung ist ein gutes Stichwort: Ihr seid große Fans von CANDLEMASS, nicht wahr?

Echt?! Ich habe nie etwas von ihnen gehört…

Aha. Aber „Unas Slayer Of The Gods“ beginnt eindeutig mit dem “Gothic Stone/Well Of Souls” Riff. Das ist eine Tatsache. Ist ja auch kein Vorwurf – im Gegenteil. Ich finde es großartig, diese großartige Melodie in neuem Zusammenhang zu hören.

Ich werde es Karl erzählen …ich denke, er könnte dir dazu jetzt mehr sagen.

Tja, und so gerne ich noch ein wenig zu CANDLEMASS in speziellen und NILE im allgemeinen wissen wollte, war der Zeiger der Uhr unaufhaltsam nach vorne gerückt und das Interview musste beendet werden… doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben!

(Fotos: (c) www.relapse.com)

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