NAPALM DEATH: Denke langsamer, lebe bewusster

Mit "Time Waits for No Slave" zeigen sich NAPALM DEATH variabel wie selten und wütend wie eh und je. Die britische Grindcore-Legende ist nach 28 Betriebsjahren noch immer voller Motiviation, Energie und Spielfreude, dieses Mal vielleicht mehr als auf den Alben zuvor – eine Band die garantiert noch nicht abzuwracken gilt. Bassist Shane Embury beantwortete in Lichtgeschwindigkeit und aller Kürze meine Fragen per E-Mail.

Mit Time Waits for No Slave zeigen sich NAPALM DEATH variabel wie selten und wütend wie eh und je. Die britische Grindcore-Legende ist nach 28 Betriebsjahren noch immer voller Motiviation, Energie und Spielfreude, dieses Mal vielleicht mehr als auf den Alben zuvor – eine Band die garantiert noch nicht abzuwracken gilt. Bassist Shane Embury beantwortete in Lichtgeschwindigkeit und aller Kürze meine Fragen per E-Mail.

 

Hallo Shane, erstmal herzlichen Glückwunsch zu Time Waits for No Slave, meiner Meinung nach euer bestes Album seit Enemy of the Music Business.

Vielen Dank!

Für eure Verhältnisse ist Time Waits for No Slave ein recht episches Album, mit 50 Minuten Länge, ohne, dass ein Hidden Track dabei wäre. Ihr habt lange Songs mit vielen Rhythmuswechseln parat.

Wir versuchten dieses Mal alle Elemente von allen unseren bisherigen Stilrichtungen zu integrieren.

War es eine bewusste Entscheidung mehr Groove in die die neuen Stücke zu bringen?

Nicht wirklich, Mitch wollte sich eher auf groovige Nummern konzentrieren, während ich eher die rasanten und wilden Songs geschrieben habe. Ich würde sagen, wir haben ein gutes Mittelmaß gefunden.

Müsste ich Time Waits for No Slave mit einem anderen Album von NAPALM DEATH vergleichen, meine Wahl wäre Words from the Exit Wounds.

Das kann ich nur bedingt nachvollziehen, aber es ist ein interessanter Vergleich. Ich habe schon viele verschiedene Ansichten diesbezüglich gehört.

Meiner Meinung nach haben Punk und Hardcore wieder einen stärkeren Einfluss auf euer neues Album, als in der letzten Zeit. Ist da eine alte Liebe neu erwacht?

Wir waren immer treu dem gegenüber, von dem wir glauben, dass es der Kern der Ausrichtung von NAPALM DEATH ist, aber wir mögen es, unterschiedlichste Ideen in unsere Musik zu integrieren um die Alben so variabel wie möglich zu halten. Wir machen einfach das, was sich richtig anfühlt und schlussendlich analysieren wir nicht, was wir spielen, denn das passiert alles auf sehr organische Art und Weise.

Einige der Riffs, ich denke an Procrastination of the Empty Vessel, scheinen ziemlich vom guten, alten Noiserock, von Bands wie UNSANE oder auch den SWANS, inspiriert zu sein.

Das ist gut möglich, denn ich liebe die SWANS und die NY Garage Noise-Szene. Diesen Song gibt es übrigens im Demoformat schon seit 2003 und nun hat er es endlich auf ein Album geschafft.

NAPALM
Wir albern beim Songwriting nicht groß herum. Mitch und Shane (Mitte) sind ein eingespieltes Team.

Der Anfang von Passive Tense sehr experimentell, ich höre hier einen großen GODFLESH-Einfluss heraus. Und trotzdem passt es perfekt auf das Album.

Nun, ich würde eher behaupten, hier standen KILLING JOKE Pate, denn GODFLESH und alle anderen ähnlich gearteten Bands beziehen ihren Einfluss von dieser Band. Aber der Anfang von diesem Song ist wirklich ziemlich cool.

Ich empfinde die Atmosphäre von Time Waits for No Slave deutlich düsterer als die vorherigen Alben, was vor allem durch die vermehrte Heaviness kommt.

Wir wollten ja auch ein heavieres Album machen. Wir arbeiten sehr gut mit unserem Produzenten Russ Russel zusammen und die Dinge entstehen einfach. Mir gefällt, dass du das Album als düsterer empfindest, denn textlich hat es eine positivere Aussage als Smear Campaign, haha.

Die Riffs sind sehr massiv, eingängiger als jemals zuvor und weniger chaotisch. Haben wir es hier mit einem Album voller Hit-Singles, ich denke an Diktat, Downbeat Clique und Feeling Redundant, zu tun?

Ja, es gibt so viele mächtige Songs auf dem Time Waits for No Slave, es wird interessant werden zu sehen, wie die Leute das Album nach ein paar Monaten aufgenommen haben. Die Songs für das Liveset auszuwählen, wird eine sehr schwierige Aufgabe.

Trotzdem finde ich, ist Time Waits for No Slave ein recht komplexes Album mit vielen Drehungen und Wendungen, so dass man meinen könnte, das Songschreiben hätte sich hingezogen. Aber eigentlich seid ihr ja immer recht flott, wenn ihr angefangen habt, an neuem Material zu arbeiten. Wie war es dieses Mal?

Das ist immer unterschiedlich, aber wir albern beim Songwriting nicht groß herum. Work to Rule entstand zum Beispiel an einem Nachmittag, als wir mit Danny jammten. Brink of Extinction hingegen dauerte etwas länger, es kommt einfach auf den Song an. Mitch arbeitet immer recht schnell, wenn es drauf ankommt.

Ich finde übrigens, dass Mitch extrem abgefahrene Sachen auf eurem neuen Werk spielt, sehr kreativ und offen, auf jeden Fall ein Schritt nach vorne.

Das kommt wahrscheinlich daher, weil er eine neue Gitarre auf Time Waits for No Slave ausprobiert hat, eine Gibson Les Paul. Die hat das Album definitiv heavier gemacht.

Die Rhythmussektion geht konform mit der Gitarrenarbeit – habt ihr euch gegenseitig motiviert, inspiriert und angespornt?

Wir arbeiten generell sehr gut zusammen, Mitch und ich sind überhaupt recht tight zusammen als Bassist und Gitarrist.

Im Titeltrack setzt Barney mal wieder Cleangesang ein. Hat er nach den Gastbeiträgen auf den letzten Alben wieder Blut geleckt?

Er wollte das schon seit einiger Zeit wieder einsetzen und dieses Mal hatten wir außerdem keinen Bedarf an Gasteinsätzen, also war das die passende Gelegenheit.

Einer der Bonustracks, die ich leider noch nicht gehört habe, soll recht experimentell sein – war es eine Art Saufidee die Instrumente zu tauschen?

Ich spiele viel Gitarre und Mitch mag es auch gerne, auf dem Schlagzeug zu zocken, also warum nicht? Es hat Spaß gemacht.

Textlich ist Time Waits for No Slave ein Schritt weg von der Religionskritik auf Smear Campaign und hat

 NAPALM
 Ich liebe die SWANS und die NY Garage Noise-Szene. Shane Embury über ungewöhnliche Riffs im NAPALM DEATH-Universum.

ein breiteres Spektrum. Mir liegen die Texte leider nicht vor, kannst Du mir etwas dazu erläutern?

Strong-Arm: Ein Song für Frieden. Die Idee der Gewalt in jeglicher Form macht die Dinge trostlos – und zeigt ein Fehlen von Verständnis der menschlichen Interaktion.

Diktat: Es geht darum, wie die Ehe von der Moralpolizei überwacht wird. Wenn eine Ehe zerbricht, dann ist es nicht das Ende der Welt, das ist nur natürlich. Außerdem ist es furchtbar, wie diese Leute gegen gleichgeschlechtliche Ehen vorgehen, wo es sie doch überhaupt nichts angeht – ein Anschlag auf die freie Entscheidung der Menschen.

Work to Rule: Darin geht es um die Menschen, die arbeiten wie der Teufel um so viel Geld zu verdienen und sich Dinge zu kaufen, um sich über anderen zu positionieren. Der Titel ist ein alter Begriff von den Gewerkschaften, der während den Zeiten des Disputs mit den Arbeitgebern eingesetzt wurde und bedeutet Dienst nach Vorschrift zu leisten, keine Überstunden abzuleisten, und so weiter. Ich habe es jedoch als Wortspiel eingesetzt.

Time Waits for No Slave: Wir arbeiten unser ganzes Leben und wenn wir am Ende unserer Zeit auf Erden zurückblicken, ohne die wirklich einfachen Dinge im Leben geschätzt zu haben, wie die Art, dass sich die Dinge mühelos in der Welt um uns herum verändern. Wenn wir schon nicht die einfachen Dinge im Leben verstehen, wie sollen wir dann die komplexe Seite begreifen?

Life and Limb: Ein Stück gegen Folter. Wenn du physisch die Menschen marterst, egal ob als Land, als Gruppe, oder als Individuum, wie kannst du dich jemals gegenüber anderer Menschen moralisch im Recht fühlen?

Downbeat Clique: Das dreht sich um die Szenepolizei, diejenigen, die in der ersten Reihe bei Konzerten stehen und das übliche Gewäsch von Ausverkauf schreien. Sie verstecken sich in einer Downbeat Clique, weil es ihnen, irgendwie eine Rolle zu spielen gibt, selbst wenn sie nur wenig von dem verstehen, was sie sagen. Sie wollen nur Shirts für 5 € kaufen, diese T-Shirts, die durch Kinderarbeit in ausbeutenden Fabriken hergestellt werden.

Fallacy Dominion: Dieses Stück musste ich umarbeiten. Es handelt von Leuten, die sich darüber beschweren wenn man den traditionell benachteiligten Chancen bietet. Diese Menschen sind doch nur verbittert, weil sie alles für sich selbst haben wollen. Vielleicht bleibt dadurch das Elend des Ungleichgewichtes bestehen.

Passive Tense: Es handelt davon, so von den Autoritäten und der Moralpolizei angepisst zu sein, dass man ausrasten möchte, besonders wenn man hört, wie die Menschen verdammt werden, vor allem die Jungen. Wie dem auch sei, die Balance zwischen diesem Gefühl und dem Wunsch trotzdem nicht in gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt zu sein, ist selbst schon ein Kampf.

Procrastination on the Empty Vessel: Dieser Song beschreibt das alte Gefühl, dass du nichts erreichen wirst, wenn du nicht an irgendetwas arbeitest, was in der Tat Unsinn ist. Nimm dir Zeit für dich selbst um die einfachen Dinge im Leben zu genießen, das ist essentiell.

Feeling Redundant: Hier geht es um die falsche Idee, dass wir in die Vergangenheit blicken sollen um die Zukunft zu formen. Wir müssen vorzugsweise in die Vergangenheit schauen, da Dinge die Loyalität der Tradition gegenüber, sowie Patriotismus und Hurrapatriotismus uns eine immerwährende Schafsmentalität gibt, in der wir Angst haben, Dinge zu hinterfragen.

A No-Sided Argument: Ich habe keine Probleme damit, wenn die Menschen ihren persönlichen Glauben leben, aber warum ein eingeengtes Leben, basierend auf Abneigung führen, in der man die Sünde erkennt, wo doch tatsächlich keine keinerlei Grundlage für Gott besteht? Warum soll man kein erfülltes Leben erfahren, in dieser begrenzten Zeit, in der man auf diesem Planeten ist?

De-Evolution Ad Nauseum: Ein schwierig zu beschreibendes Stück. Während die Welt außerhalb deiner Fenster für dich so etwas wie ein Alien ist, weil sie nicht konform geht mit der von dir erschaffenen Welt, wirst du zu einer Art häuslichem Roboter. Rückentwickelnd, könnte man sagen.

Suppressed Hunger: Darin geht es um den Kampf, den Konkurrenzkampf mit seinen erforderlichen Standards aufrecht zu erhalten. Der Vorgang, Dinge anständig auszuführen kann oftmals den Wunsch beeinflussen, die einfachen Freuden im Leben zu erfahren. In gewissem Sinne ist das ein Song über mich selbst.

Omnipresent Knife in Your Back: Dieser Song handelt davon, wie die Werbestrategieen gestaltet sind um die Menschen an Land zu ziehen und sie davon zu überzeugen, dass sie ein besseres Leben mit ihren Produkten haben können. Symbolisch gesprochen ist da ein Messer in deinem Rücken, das immer da ist um dir schmerzliche Freude zu bereiten und uns in die richtige Richtung treibt.

 NAPALM
 Wir waren im treu dem Kern von NAPALM DEATH gegenüber, mögen es aber unterschiedlichste Ideen einfließen zu lassen. Der Grund für die Ausgewogenheit von Time Waits for No Slave?

We Hunt in Packs: Die Kultur kann eine wirkliche Barriere zwischen Menschen sein und kulturelle Unterschiede werden dazu verwendet die Rudelmentalität anzuheizen. Die einzelnen Gruppenmitglieder bewerten andere Gruppen anstatt dass sie individuelles Verständnis anstreben. Die Menschen hängen so sehr an ihrer Kultur, aber sie dient nicht wirklich dem Zweck, dem Verständnis und der Freundschaft.

Für mich bedeutet der Titel Time Waits for No Slave, dass wir in einer Welt der Konformität gefangen sind, da der Kreislauf des Lebens einem Laufband gleicht. Haben wir den Bezug zu uns selbst verloren?

Nun, ich glaube da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Natürlich müssen die Menschen arbeiten um zu überleben, aber mir erscheint es, als würden wir den Blick für die echten Werte des Lebens und die Dankbarkeit dafür verlieren.

Steckt hinter diesem denke langsamer und lebe bewusster, zusammen mit dem gemäßigteren Material ein bewusstes Konzept?

Könnte sein, keine Ahnung.

Das Cover ist großartig, brutal auf zurückhaltende Art und Weise, passt dabei perfekt zum Albumtitel und zur Musik. Die Zahnräder der Zeit zerbrechen den Menschen.

Das stimmt gewissermaßen.

Ihr habt schon zum dritten Mal in Wales mit Russ Russel aufgenommen. Der Sound ist sehr massiv, aber es fehlen mir die Bässe, wie schon auf den letzten Alben.

Ich finde, Time Waits for No Slave klingt super, Russ hat sich mit dieser Produktion deutlich verbessert.

Ihr habt die letzten Jahre quasi durchgehend getourt. Werdet ihr nun ein Sabbatjahr einlegen oder werdet ihr weiter machen wie gehabt?

Ja, wir werden weiter wie verrückt unterwegs sein. Momentan, als ich diese Zeilen gerade tippe, sind wir in Prag.

Was kommt nach alledem, vielleicht ein Video? Die neuen Bandfotos schauen schon danach aus, dass ihr genügend Ideen habt, die Atmosphäre des Albums zu visualisieren…

Momentan diskutieren wir gerade, zu welchem Lied wir einen Clip drehen werden, aber es wird mit ziemlicher Sicherheit ein oder zwei Videos geben.

Shane, danke für deine Zeit, ich freue mich darauf euch mit dem neuen Material live zu sehen.

Vielen Dank für deine Unterstützung.

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