INSOMNIUM: Karelischer Metal

Gibt es typisch finnische Bands? Blödsinnige Frage eigentlich, aber manchmal vielleicht doch berechtigt. Zum Beispiel bei INSOMNIUM, die mich mit ihrem Debüt-Album "In The Halls Of Awaiting" sofort an das Land der tausend Bands denken ließen. Und hier ist das Interview dazu…

Gibt es typisch finnische Bands? Blödsinnige Frage eigentlich, aber manchmal vielleicht doch berechtigt. Zum Beispiel bei INSOMNIUM, die mich mit ihrem Debüt-Album In The Halls Of Awaiting sofort an das Land der tausend Bands denken ließen. Gegründet 1997, haben INSOMNIUM nach nur zwei Demos einen Vertrag beim britischen Label Candlelight bekommen und ein beachtenswertes Erstlingswerk abgeliefert, das alle Freunde melancholisch-melodiöser Klänge ansprechen sollte. Gitarrist Ville Vänni stand Rede und Antwort – auch zum Thema landesspezifischer Musikmerkmale.
 
Was denkst Du, wenn man INSOMNIUM als eine typisch finnische Band bezeichnet?

Gibt es denn so etwas wie eine typisch finnische Band? Wir haben in Finnland eine sehr große Metalszene. Es kommen viele Bands aus diesem Land, die komplett unterschiedliche Musik machen. Deshalb glaube ich nicht, dass es so etwas wie eine typisch finnische Band gibt. Wir klingen wohl eher wie eine Mischung aus allem möglichen.

Als ich In The Halls Of Awaiting zum ersten Mal gehört habe, war ich mir sofort ziemlich sicher, dass ihr aus Finnland kommt – ihr macht ähnliche Musik wie die alten AMORPHIS oder SENTENCED, und irgendwie ist das für mich typisch finnisch. Denken in simplen Kategorien ist halt einfacher.

Ich meinte vorher, dass wir keine typisch finnische Band sind, weil es einfach nicht allzu viele Bands aus Finnland gibt, die genau wie wir klingen. INSOMNIUM klingen in gewisser Weise aber schon finnisch, da es eine Verbindung zur alten finnischen Volksmusik gibt. Eine ähnliche Verbindung gab es früher bei AMORPHIS, das stimmt schon.

Wollt ihr mit In The Halls Of Awaiting eigentlich eine bestimmte Tradition fortführen? Ich könnte mir theoretisch vorstellen, dass gerade AMORPHIS heute auch so wie INSOMNIUM klingen könnten.

Das haben noch nicht viele Leute zu mir gesagt, aber es ist schön zu hören! Wir wollen natürlich etwas eigenes machen, aber die „Tales From The Thousand Lakes“ hat uns schon beeinflusst.

Zumal es auch eine Verbindung zwischen beiden Bands gibt: Das erste AMORPHIS Album trug den Titel „Karelian Isthmus“, das Intro „Karelia“. AMORPHIS kommen zwar nicht aus Karelien, ihr aber seid aus dieser Region….

Wir kommen aus Joensuu, einer Stadt mitten im Zentrum Kareliens. AMORPHIS haben ihre Einflüsse eher aus der finnischen Mythologie, wir kommen aus dieser Gegend – Karelien und alles, was man damit verbinden kann, liegt in unserem Blut! Die Natur hier ist wunderschön und genau diese Schönheit ist unser Haupteinfluss.

Was sich ja auch sehr konkret in euren Texten niederschlägt. „Song Of The Storm“ zum Beispiel beschreibt Naturgewalten

Ja, es gibt noch mehr solcher Texte. „The Elder“ ist ein anderes Beispiel. Doch die Naturlyrics sind nur eine Seite der Texte. Die andere erzählt meist melancholische, traurige Geschichten – inspiriert von alter finnischer Dichtung. Doch da gibt es auch einen Zusammanhang zur Natur: In diesen alten Legenden spielt Natur eine wichtige Rolle.

Der Text von „Ill Starred Son“ liest sich fast wie ein Gedicht. Ich vermute mal, dass sich gerade dieser Text auf eine Vorlage bezieht, nicht nur wegen der Form, sondern auch wegen der darin beschriebenen Handlung.

Er erzählt eine alte finnische Geschichte – es gibt aber kein konkretes Gedicht oder eine konkrete Vorlage. Es gibt eine lose Verbindung zur Kalevala, dem finnischen Nationalepos. Es geht um ein Paar, dessen Sohn gestorben ist – die Frau verkraftet diesen Verlust nicht und begeht Selbstmord. Der Song beschreibt das Leben und die Gefühle des Mannes nach dem Verlust dieser beiden Menschen, die ihm sehr nahe standen. Dieses Motiv findet sich in vielen alten finnischen Sagen und Geschichten.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich die Kalevala selbst nicht komplett gelesen habe – aber unser Sänger Niilo studiert Kulturgeschichte und hat deshalb zwangsläufig viel mit Mythologie zu tun. Er liest sehr, sehr viel und wird natürlich auch davon beeinflusst. Man kann die Texte nicht völlig von diesen Einflüssen isolieren – aber sie beziehen sich nicht zu hundert Prozent auf irgendwelche Vorlagen, auch wenn sie von Mythen und Sagen inspiriert werden. Der letzte Song zum Beispiel wurde sehr von Tolkiens Silmarillion inspiriert , der Song „Medeia“ von griechischer Mythologie.

Texte sind uns sehr, sehr wichtig. Stell dir vor, die Musik ist großartig und die Texte taugen nichts – das zerstört doch die Songs. Musik erschafft Bilder in deinem Kopf, und die Texte müssen sich auf diese Bilder beziehen und sie verstärken, sonst funktioniert es nicht – das glaube ich zumindest. Wir haben viel Zeit darauf verwendet, die Texte zu schreiben. Erst die richtigen Texte lassen Musik zu einer Einheit zusammenwachsen.

Was mir bei den Texten zu In The Halls Of Awaiting gut gefallen hat, ist dass sie sich einerseits auf Vorlagen beziehen und andererseits allgemeinverständliche Themen behandeln. Man versteht auch ohne Vorkenntnisse, worum es geht.

Nun, wenn wir schreiben, denken wir nicht darüber nach, ob diese Texte für jeden sofort verständlich sind. Aber wir arbeiten hinterher viel daran und verfeinern sie. Die Themen sind natürlich universell, Melancholie, unerfüllte Liebe und Trauer kennt doch jeder, oder?

Es gibt natürlich noch andere Aspekte, die einen solchen Anspruch haben – man ist ja nicht immer traurig. Kannst du dir vorstellen, auch andere Emotionen in Musik und Text umzusetzen?

Nun, es gibt so etwas wie ein Konzept hinter der Band. Ich glaube nicht, dass wir alles behandeln können. Einen fröhlichen Text zum Beispiel kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Auch Politik oder Religion interessiert uns nicht besonders – jedenfalls nicht in einem musikalischen Sinne. Wir wollen schon so weitermachen wie bisher. Aber man weiß natürlich nie, was die Zukunft bringt…

In euren Songs finden sich auch Elemente, die in meinen Ohren sehr nach skandinavischem, melodiösem Death Metal klingen – und auch allgemein scheint euch dieses Etikett anzuhaften
 

 

 

 
Ich denke nicht, dass wir diese Art von Musik machen – aber es ist vielleicht das Label, das am ehesten auf uns passt. Wobei ich so etwas wie „karelischer Metal“ bevorzugen würde – wenn schon unbedingt eine Bezeichnung her muss. Wie auch immer, ich glaube nicht, dass wir viel mit Death Metal zu tun haben. Der Gesang ist war recht rau, aber auf der anderen Seite haben wir viele Melodien in den Songs.

Gerade der Gesang erinnert mich stellenweise sehr an Taneli Jarva, nicht nur dass die beiden eine ähnliche Stimme haben, auch die Art wie sie singen, ist vergleichbar: Sie erzählen eher Geschichten als „nur“ zu singen.

Nun, ich mag ihn. Wir schauen zu ihm auf! Niilo arbeitet viel mit seiner Stimme, wir haben viel Zeit in die Gesangaufnahmen gesteckt. Der Vergleich gefällt mir, Jarva war sicher ein Einfluss und ich stimme dir zu, wenn du sagst, dass er eher etwas erzählt als singt. Es steckt sehr viel Gefühl in den Vocals. Niilo setzt seine Stimme auch sehr vielfältig ein, er schreit oder growlt nicht nur.

Der Gesang ist einfach auf den Text abgestimmt und gibt nicht nur die Texte wider, sondern legt auch Emotionen in die Worte und transportiert so auch die geschilderten Gefühle

Genau das wollten wir erreichen. Der emotionale Aspekt ist für INSOMNIUM sehr wichtig, denn wir wollen in unserer Musik nicht Gefühle wie Wut ausdrücken, sondern Musik machen, die einen melancholischen Aspekt hat. Musik, die man sich in Ruhe anhört und die dann wirkt, eben weil sie sehr emotional ist und eben genau diese Melancholie ausdrückt und transportiert

Und genau deshalb klingt INSOMNIUM in meinen Ohren finnisch. Irgendwie scheine ich da ein Vorurteil zu haben…

Nun, wenn du denkst, dass genau das unsere Musik finnisch klingen lässt – dann ist das vollkommen ok! Es gibt vielleicht wirklich eine gewisse Melancholie in uns…

Auf der anderen Seite hat eure Musik einen modernen Anspruch – vielleicht vergleichbar mit Bands wie IN FLAMES, die Melodie mit Aggression verbinden.

Würde ich genauso beschreiben. Ville Friman und ich (die Gitarristen) legen großen Wert auf Harmonien und Melodien in unserem Spiel – ohne gleichzeitig die Härte zu verlieren. Insofern kann es schon Songs geben, die an IN FLAMES oder auch DARK TRANQUILITY erinnern.

Gibt es noch andere Bands, die euch beeinflusst haben? Der Anfang des Titeltracks erinnert überraschenderweise an TYPE O NEGATIVE zu Zeiten von „Bloody Kisses“

Eigentlich hört keiner von uns viel TYPE O NEGATIVE, da unsere Einflüsse doch eher von skandinavischen Bands der frühen Neunziger wie den alten IN FLAMES; AT THE GATES, SENTENCED oder AMORPHIS kommen. Die Ähnlichkeit ist also eher Zufall.

“Song Of The Storm“ und „Journey Unknown“ zeigen eine etwas andere Seite von INSOMNIUM, diese Titel sind weniger melancholisch.

Beide Songs wurden von Ville Friman geschrieben – er hat vielleicht einen etwas anderen Stil, in den Melodien und in den Songs findet sich nicht nur Melancholie, sondern auch etwas Hoffnung. So etwas wie ein Licht am Ende des Tunnels. Die Songs sind zwar weder glücklich noch fröhlich, aber vielleicht sind sie einfach weniger melancholisch.

Der Song “The Bitter End“ fällt etwas aus dem Rahmen, denn es ist der einzige Song, der eine Art Intro, gespielt von einem Keyboard, hat. Ansonsten hört man kaum Keyboards auf dem Album. Wollt ihr in Zukunft mehr auf das Tasteninstrument zurückgreifen oder war dies ein einmaliges Experiment?
 

 

 

 
„The Bitter End“ war der letzte Song von unserem Demo „Underneath The Moonlit Waves“. Durch dieses Demo haben wir den Vertrag bei Candlelight bekommen. Wir wollten den Song auch deshalb auf dem Album haben. Es gibt noch ein paar kleine Keyboardparts in anderen Tracks, wirklich im Vordergrund stehen sie aber nur bei diesem Song. Das Intro von „The Bitter End“ ist als eine Art Zwischenspiel gedacht, es soll den Hörer einfangen.

Wir werden es live nicht spielen, denn wir sind eher eine gitarren-orientierte Band. Die paar Keyboardmelodien von der CD können für Gitarre umarrangiert werden, dass sie live nicht verloren gehen.

Ich bin ja der Meinung, dass ihr gar keine Keyboards braucht. Die Songs sind gerade durch die Gitarrenmelodien wunderbar atmosphärisch, da können Keyboards eine Menge kaputtmachen – zumal es meiner Meinung nach recht schwer ist, dieses Instrument vernünftig einzusetzen, ohne alles mit Melodien zuzukleistern.

Das sehe ich genauso. Wir wollen eine Gitarrenband bleiben, denn die Gitarre ist das Instrument, auf dem wir alle vier ganz gut spielen können. Wir haben für das Album viele verschiedene Gitarrensounds und Gitarren verwendet, denn es gibt so viele Möglichkeiten, Gefühle mit einer Gitarre auszudrücken. Wenn man diese Möglichkeiten alle ausnutzt, dann ist das mehr als ausreichend.

Zum Abschluß des Interviews noch unser vampster-Fragebogen: Welche Alben hast du dir in den letzten zwei Wochen besonders häufig angehört?

HYPOCRISY – 10 Years of Chaos and Confusion

ENTER MY SILNENCE – Remote controlled Scythe

Wen würdest du gerne mal treffen?

Es wäre schön, mit Jesper Strömblad von IN FLAMES Gitarre zu spielen.

Wenn du ein Buch vertonen könntest, welches Buch wäre das?

Irgendwas trauriges, melancholisches, traditionelles, finnisches …

Für welchen Film würdest du gerne einen Soundtrack machen?

Nun, er hätte natürlich eine traurige Handlung und sehr viele Naturaufnahmen. Dazu stelle ich mir akustische, melancholische Songs vor….
 

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