ELDRITCH: Wir sind nicht DREAM THEATER!

Sänger Terence Holler berichtet von dem für das Livequake-Album mitgeschnittenen Auftritt, die einmalige Rückkehr von Oleg Smirnoff, die Entwicklung der Band und die Chemie der aktuellen Besetzung.
Im Laufe ihrer Karriere entwickelten sich ELDRITCH vom DREAM THEATER-lastigen Newcomer über Techno-Thrash-Gefilde der Marke CORONER/ANNIHILATOR hin zur depressiven FATES WARNING-Fratze mit gelegentlichen Wutausbrüchen. Nach sieben Studioalben haben die Italiener nun ihr erstes Live-Album veröffentlicht, das einen gelungenen Überblick über die Bandgeschichte bietet. Livequake besticht dabei durch einen fetten Sound und eine tighte Performance. Sänger Terence Holler berichtet von dem mitgeschnittenen Auftritt, die einmalige Rückkehr von Oleg Smirnoff und die Bandchemie der aktuellen Besetzung.

Livequake klingt in meinen Ohren sehr homogen. Teilst du diese Ansicht oder nimmst du einzelne Songs, Zeitabschnitte, Alben als besonders verschieden voneinander wahr?

Ja, ich denke, du hast Recht. Natürlich kann man einen Unterschied zwischen dem Songwriting der unterschiedlichen Schaffensperioden fühlen, aber die Band spielt auf eine sehr einheitliche Art mit einem homogenen Sound. Der einzige große Unterschied zwischen einigen der Stücke ist, dass die älteren länger und weniger eingängig sind.

Wie präsent war das Wissen, dass der Auftritt aufgenommen wurde, während des Livequake-Konzerts?

Bevor es losging, hatten wir mächtig Schiss, aber gleich nach dem ersten Song war es wie jeder andere Auftritt, den wir gespielt haben. Die aktuelle Besetzung ist in technischer Hinsicht die beste, die wir je hatten. Deshalb brauchten wir keine Angst vor großen Verspielern haben. Das Publikum war toll und der Veranstaltungsort perfekt!

Mögt ihr die Lieder auf dem Live-Album mehr als die, die nicht darauf enthalten sind?

Eigentlich nicht. Wir haben im Lauf unserer Karriere ungefähr 80 Songs gemacht. Da ist es schwierig, die besten auszuwählen. Wir entschieden uns für die besten, aber mindestens 40 andere hätten wir genauso gut nehmen können. Die Stücke, die wir jetzt aufgenommen haben, zeigen die richtige Dimension von ELDRITCH.

Welche eurer Songs lösen die euphorischsten Publikumsreaktionen aus?

Mh, lass mich überlegen. Bei vielen Songs war eine Menge los. Die, bei denen man besser mitsingen konnte, gehören dazu, z.B. Reverse, The World Apart, From Dusk Till Dawn und viele mehr. Wir haben an jenem Abend die ganzen eingängigen Sachen gespielt.

Ist es besonders schwierig, die melodischeren Parts von Liedern wie Standing Still oder The World Apart live umzusetzen, wenn das Schlagzeug donnert und die Verstärker aufgedreht sind?

Eigentlich nicht. Natürlich können diese Songs ein bisschen rauer wirken als die Studioversionen, aber das ist normal in einer Heavy Thrash-Band. Wir sind nicht DREAM THEATER, haha. Wir sind eher eine Garagenband, dreckig, heruntergekommen und Rock`n`Roll! Wir sind lieber direkt, voll auf die Zwölf, sonst würden wir Samples mit Backing Vocals und Keyboards verwenden. Aber das ist uns egal!

Livefoto
ELDRITCH-Frontmann Terence Holler über den Neuzugang am Schlagzeug, Raffahell Dridge: Er brauchte einen Monat; dann kannte er die Stücke sogar besser als wir selber!

Ich finde es beeindruckend, wie gut euer neuer Schlagzeuger Raffahell Dridge zum Bandsound passt. Wie lange hat es gedauert, bis er sich in der Band und in der Musik zurechtfand?

Als wir beschlossen, Raffahell in die Band zu holen, gaben wir ihm eine CD mit 15 Songs, die er lernen sollte. Er brauchte einen Monat; dann kannte er die Stücke sogar besser als wir selber! Dieser Kerl ist ein echtes Phänomen. Er spielt wie eine Maschine. Der perfekte Mann zur perfekten Zeit!

Wie weit ist eure Performance Talent und wie weit stecken harte Arbeit und Erfahrung dahinter?

Ich glaube, es ist 50-50. Wir sind seit den 90ern aktiv, aber um diese Art von Musik zu spielen, braucht man dicke Eier. Wir proben viel und das Ergebnis kann man nun auf dem Doppel-Live-Album anhören (und auf der DVD ansehen). Wir haben nie behauptet Riesentalente zu sein, aber wir sind sicherlich keine Studioband! Wir sind 100% ehrlich und authentisch!

Bei unserem letzten Gespräch hast du gemeint, es wäre die beste Entscheidung für ELDRITCH gewesen, die Keyboards loszuwerden. Ist die Anwesenheit von Oleg Smirnoff auf dem Live-Album nun das Zeichen eines Sinneswandels? Worin unterschied sich der aktuelle Auftritt mit Oleg von den Konzerten damals in den 90ern?

Kein Sinneswandel! Es war und ist immer noch meine persönliche Meinung, dass ELDRITCH ohne Keyboards besser klingen. Aber für die Stücke der ersten Ära brauchten wir sie. Oleg ist immer noch ein guter Freund. Er hat sich aus dem Musikgeschäft zurückgezogen, kehrte aber gerne für diese eine Show mit uns zurück. Wir spielen jetzt viel, viel besser als in den 90ern mit den Keyboards. Der Klang ist nun klar, kraftvoll und zweifellos mehr ins Gesicht denn je.

Stand je eine weitere Zusammenarbeit mit Oleg als Covergestalter zur Debatte? Hin und wieder frage ich mich, wie die Welt der Gitter-Leute sonst noch aussieht.

Ich weiß nicht, wir könnten versuchen, das in Zukunft zu diskutieren. Er ist ein toller Künstler! Die Gitter-Leute könnten sich vielleicht in etwas anderes entwickeln, wer weiß?

Ich war erstaunt, wie fett das alte Material mit zwei Gitarren klingt. Warum habt ihr eigentlich nicht schon früher einen zweiten Gitarristen in die Band geholt?

Wir fanden, dass fünf Leute auf der Bühne genug waren. Zwei Gitarren zusätzlichen zum Keyboarder wären zu viel gewesen, zu viel Reise- und Bühnenprobleme. Aber um ehrlich zu sein, würde ich es versuchen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte. Aber inzwischen sind wir wirklich zufrieden.

Foto
Terence Holler: Es war und ist immer noch meine persönliche Meinung, dass ELDRITCH ohne Keyboards besser klingen.

Wie hat sich eure Herangehensweise an Liveauftritte im Laufe der Zeit verändert?

Wir sind jetzt professioneller und selbstbewusster. Wir bewegen uns besser und spielen besser. Wir kommen nun auch immer gut mit jedem Publikumstyp klar, egal ob wir Headliner sind oder Opener. Diese Besetzung ist sicherlich die stärkste und tighteste, die wir je beisammen hatten.

Kann Eugene Simone dich bisweilen noch überraschen, nachdem ihr nun fast 20 Jahre zusammen in einer Band spielt?

Offen gesagt, ja! Dieser Kerl ist ein großartiger Songwriter und ein wirklich talentierter Musiker! Wir musizieren seit 1989 zusammen. Du hast Recht, fast 20 Jahre lang. Wir kennen uns gut und wissen, was wir voneinander zu erwarten haben. Er ist ein begnadeter Gitarrist.

Wir lernst du die Texte deiner Songs auswendig? Hast du besondere Tricks oder Methoden?

Tricks? Eigentlich nicht, es ist nur Übung. Nach ein paar Wochen, passen sie in mein Hirn. Ich schreibe sie alle selbst; dementsprechend benutze ich einfache Worte und nicht zu viele! Die Refrains und Überleitungen sind fast immer die gleichen in jedem Song! Nicht zu viele Worte in meinen Texten… ich werde alt und fange vielleicht schon bald an, Megabytes in meinem Kopf zu verlieren.

Livefoto
Kehrte für einen Auftritt zu seiner ehemaligen Band zurück: Keyboarder Oleg Smirnoff.

Welche Beziehung hast du zu den USA? Soweit ich weiß, hast du einen Teil deiner Jugend dort verbracht.

Nun, ich bin immer noch amerikanischer Staatsbürger. Ich habe gerade erst bei der Präsidentschaftswahl mitgewählt. Ich habe einen amerikanischen Pass und ein Teil meiner Familie lebt dort. Aber mein neues Leben ist hier in Italien mit meiner Freundin und meinem Kind, meinem Zuhause, meinem grünen Park, meinem Pool, dem Blick aufs Meer… wie ein kleiner Ozzy!

Wie weit seid ihr im Mastering-Prozess eurer Alben involviert? Macht ihr etwas anderes als den entsprechenden Leuten die Masterbänder zu geben und zu sagen do your magic?

Ja, genau so machen wir das! Einfach das Band abgeben und sie den Rest erledigen lassen. Wir wollen einfach, dass es fett und heavy klingt! Eugene verfolgt den Prozess in seiner Rolle als Produzent, aber nur am Rande; wir sind keine großen Profis auf dem Gebiet.

Ihr habt auf eurem letzten Studio-Album mit Ray Alder (FATES WARNING) und Nicholas van Dyk (REDEMPTION) zusammengearbeitet. Mit welche Musikern würdest du in Zukunft gerne mal gemeinsame Sache machen?

Wer ich? James Hetfield und Carlos Santana! Vielleicht auch noch Gary Moore dazu! Wir waren kurz davor, mit unserem Kumpel Jeff Waters zusammenzuarbeiten, aber es hat dann aus Zeitgründen nicht hingehauen, weil wir beide mit unseren Bands zu beschäft waren. Aber wer weiß, was die Zukunft bringen wird?

Fotos: Limb

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