DORNENREICH: DORNENREICH endet nicht

Freiheit? Ein Schlussstrich? Quo vadis, DORNENREICH?
 
Spätestens seit Her von welken Nächten fällt stets der Name DORNENREICH, wenn das Metallergespräch auf Österreich kommt. Die Ausnahmeband, die sich weder lyrisch noch musikalisch in einer Stilschublade festmachen lässt, schließt ihre Karriere mit dem überzeugenden Schlusspunktalbum Freiheit nun vorläufig ab – oder? Zeit also, Mastermind Eviga zu DORNENREICH und zur Zukunft zu befragen.

Freiheit als vorläufiger Schlussstrich von DORNENREICH. Ist mit DORNENREICH im Leben keine Freiheit möglich?
Eviga: Nur weil wir für längere Zeit kein komplettes Studioalbum mehr aufnehmen werden, heißt das nicht, dass wir damit aufhören werden, uns mit DORNENREICH auseinander zu setzen. Ganz im Gegenteil. Wir konfrontieren uns ganz neu mit Magie und Möglichkeit künstlerischen Ausdrucks. Wir werden experimentieren, fühlen, experimentieren und uns so weiter auf DORNENREICH zu bewegen – ganz im Stillen und auch im Rahmen spezieller Konzerte. 
Der Preis der Freiheit ist Einsamkeit. Wie stellst du dir das Leben nach DORNENREICH (oder zwischen DORNENREICH 1.0 und DORNENREICH 2.0) vor?
Eviga: Fruchtbar in vielerlei Hinsicht – in persönlichen Bereichen und gewiss auch für DORNENREICH. Es fühlt sich ähnlich an, wie damals nach Her von welken Nächten, als wir uns auch zurückzogen, um neue Wege zu finden.
 
Meines Erachtens zeigt Freiheit nochmals schön die verschiedenen musikalischen Gesichter DORNENREICHs. War es schon beim Schreiben der Songs klar, dass dieser Retrospektive-Charakter dem Album innewohnen würde?
Eviga: Einige Stücke bzw. Parts reichen ja weiter zurück in die Vergangenheit – so etwa das Leitmotiv von Des Meeres Atem (2006) und das zentrale Thema von Blume der Stille (1997), doch für den Großteil der Stücke und insbesondere für die finale Ausarbeitung aller Stücke und auch für alle Texte gilt: ja, es war völlig klar, dass Freiheit für längere Zeit das letzte Album sein wird und dass das Album dementsprechend facettenreich ausfallen wird. 
 
DORNENREICH_eviga_2014_©prophecy 
 
Wann und warum habt ihr euch zum vorläufigen Ende DORNENREICHs entschieden?
Eviga: Schon bei der Titelwahl Freiheit war klar, dass dieses Album eine besondere Position in unserer Diskografie einnehmen wird, dass es eine Zäsur darstellt für eine Neuentdeckung auf vielen Ebenen. Für mich persönlich ist künstlerischer Ausdruck etwas äußerst Bedeutsames, eine – in gewissem Sinne – heilige Form menschlicher Kommunikation. Und in Freiheit steckt in jeder Hinsicht viel; viel, das es zu entdecken und letztlich auch zu leben gilt. DORNENREICH ist seit jeher frei und unberechenbar wie das Leben selbst – und wir lassen es uns nicht nehmen, primär auf Authentizität und Qualität abzuzielen – und nicht auf Quantität. Und das ist heutzutage eine große Herausforderung.
In den letzten Jahren habt ihr live klar zwischen Akustikshow und Metal-Show unterschieden. Was gab dir die Akustikshow, was dir der Metal nicht geben konnte?
Eviga: Eine Erfahrung, die – über das Kraftvolle, das in der umfangreichen Dynamik akustischer Musik steckt, hinaus – auch besonders für das Kraftvolle und Bedeutsame im Fragilen, Zarten, Sanften, Öffnenden, Mitfühlenden des Lebens sensibilisiert. Akustischer Ausdruck meint für mich Ursprüngliches, unkorrumpierbar Echtes, emotional Entwaffnendes, das am Anfang da ist und am Ende übrig bleibt. Auf akustischen Instrumenten kann man nichts überzeugend vortäuschen, was eigentlich nicht da ist. 
Welches ist dein liebstes Musikstück für/mit Violine (allgemein – es kann also auch ein Nicht-DORNENREICH-Stück sein)?
Eviga:  Hm. Viele – freilich… aber ein mir sehr kostbares Stück mit Streichern ist jedenfalls OF THE WAND AND THE MOONs In a robe of fire. 
Welches war dein Lieblingsmetal-Album zu Mein Flügelschlag-Zeiten und welches ist es zu Zeiten von Freiheit?
Eviga: Interessante Frage. Es ist zwar immer schwierig, sich auf ein Album festzulegen, aber 1997 war das insbesondere Opus IV von ABIGOR, keine Frage. Während der Entstehung von Freiheit halten sich die Waage: Desiderata von MADDER MORTEM und Far beyond driven von PANTERA.
 
Welches war das eindrücklichste Erlebnis, das du mit DORNENREICH gehabt hast?
Eviga: Da gibt es natürlich viele, viele Erinnerungsschätze – in vielen verschiedenen Bereichen, – also magische Momente während des kreativen Prozesses, Live-Erfahrungen, Erlebnisse mit verschiedenen Menschen… aber weil ich zuerst von Kunst als menschlicher Kommunikation sprach, möchte ich hier eine besondere Konzerterfahrung erwähnen, die mir deshalb so gut in Erinnerung ist, weil mir dadurch die Energie, die in künstlerischem Ausdruck schwingt, zum ersten Mal auf wirklich überwältigende Weise bewusst wurde. Ich beziehe mich hier auf unser erstes gut promotetes Headliner-Konzert im Rahmen unserer Her von welken Nächten-Tour im Jahre 2001. Als wir mit Eigenwach loslegten, gingen alle Leute mit einer ekstatischen Leidenschaftlichkeit mit, die ich so nicht erwartet hatte und die sich auf mich und meine Darbietung übertrug. Damals spürte ich zum ersten Mal den Fluss von Energie zwischen Band und Publikum, der ein Konzert zu etwas sehr Lebendigem machen kann. Ein Teil solchen Energieflusses durfte ich in späteren Konzerten noch häufig sein – und dafür bin ich dankbar. 
 
DORNENREICH_band_2014_©prophecy 
 
 
Die Konzerte eurer 2001-Tour waren wirklich etwas ganz Besonderes… Von Von Kraft und Wunsch und jungen Federn ausgehend – welche Wünsche treiben dich – und was bedeutet Mut für dich?
Eviga: Ein bewusster Teil des Lebensganzen zu sein. Den Mut zu haben, etwas zu finden und dafür einzustehen, anstatt immer wieder auf egozentrische Scheinsuche zu gehen. Den Mut zu haben, meine Egoschale zu knacken, weil es schlicht meiner Erfahrung nach sehr schön ist, sich als Teil des Lebensganzen zu erfahren, ohne sein Selbst im Verleugnen aufzugeben und auch ohne aus vorgeblich altruistischen Gründen letztlich noch tiefer in sein Ego einzutauchen. 
Kurzum: Wirklich offen zu sein für die inneren und äußeren Welten und ihre Wechselwirkungen.
In Von Kraft und Wunsch und jungen Federn ist das Ich im Rausch, in Des Meeres Atem ist es süchtig. Was ist dein liebster Rausch, was deine Sucht?
Eviga: Es gibt mir viel, mich in eine Art Trance zu laufen, die dann aber pendelt zwischen no-mind-artigen Zuständen (- wie in tiefer Meditation also -) und gedankenvollen Einsichten. 
Meine fruchtbarste wie verhängnisvollste Sucht ist es wohl, mich immer wieder in Gedanken und Gefühlen mit dem Wesen des Seins auseinanderzusetzen, aber es ist auch – sagen wir – erfrischend, das zuzulassen. 
Obschon Blume der Stille ein Instrumental ist, denke ich beim Titel sogleich an Novalis. Gibt es Autoren, die dich beim Schreiben deiner Lyrik inspiriert haben, ja vielleicht sogar Vorbilder waren?
Eviga: Nachhaltig beeindruckt und inspiriert haben mich ohne Zweifel Romantiker wie Novalis, Hoffmann und Tieck, Expressionisten wie Trakl, Heym, Lasker-Schüler oder Benn und wache Geister wie Schelling, Hesse, O`Donohue, Osho, Stalking Wolf oder Krishnamurti. 
 
In welcher Situation soll man sich Freiheit am besten anhören?
Eviga: Ich könnte mir vorstellen, dass Freiheit situativ Verschiedenes bei der geneigten Hörerschaft auslösen kann, weil es vielschichtig ist und viel Raum lässt.
Es kommt aus einer freien alten Quelle…. Ich selbst hatte sehr intensive Momente, als ich mir das fertige Album – mit zeitlichem Abstand zum Abschluss der Arbeiten – in offener Natur am Stück anhörte und mich dem Album und damit auch mir selbst als Individuum in dieser Welt öffnete. 
 
DORNENREICH haben zahlreiche Konzerte gegeben – welche Konzerte ziehen dich in ihren Bann und warum? Was macht für dich ein gutes Konzert aus?
Eviga: Hand- und herzzentrierte Konzerte, denen man anmerkt, dass die Musik von den Musikern wirklich empfunden und live gespielt wird und dass da auch eine starker, alles transzendierender Wille zum Ausdruck ist da ist, der die mit Tönen und Worten gefüllte Zeit erst zu diesen magischen Momenten macht, die wir alles zeitlose Intimität erleben.
 
DORNENREICH_eviga_2014_©prophecy 
 
 
Das vorläufige Ende der Ära DORNENREICH bedeutet auch das vorläufige Ende der Zusammenarbeit mit PROPHECY PRODUCTIONS. Welche PROPHECY-Bands hörst du dir gerne an?
Eviga: Ich kann an dieser Stelle jedenfalls nur erneut betonen, dass DORNENREICH mit der Veröffentlichung von Freiheit nicht endet.
Ich schätze viele Bands unserer Plattenfirma – von allen PROPHECY-Bands begeistern und begleiten mich persönlich EMPYRIUM und TENHI am längsten.
 
DORNENREICH haben acht Alben veröffentlicht (plus ein Demotape, das ich sehr schätze). Welches ist dein Lieblingssong?
Eviga: Es ließe tief blicken, wenn ich mich da auf nur ein Stück festlegen könnte, nicht?  haha… Mir sind viele Stücke und Alben sehr nahe, wäre es anders, hätte ich den Weg mit DORNENREICH kaum so lange, intensiv und eigenwillig gehen können …
 
Werdet ihr für Freiheit nochmals auf Tour gehen? Gibt es schon Details, die du mit uns teilen kannst?
Eviga: Einiges ist in Planung, allerdings ist davon noch nichts so konkret, um es an dieser Stelle öffentlich zu machen. Interessierte mögen doch bitte von Zeit zu Zeit unsere Webpräsenzen einsehen, dann wird ihnen auch kein Konzert entgehen. 
Vielen Dank für das Beantworten meiner Fragen. 
Eviga: Ich danke für die gut recherchierten und anregenden Fragen.
 
Bilder: Prophecy Productions (Plattenfirma)
Layout: Arlette Huguenin Dumittan 
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