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DIE APOKALYPTISCHEN REITER: Vier Reiter stehen bereit (Listeningsession zu "Have a Nice Trip")

DIE APOKALYPTISCHEN REITER luden kurz vor Weihnachten das Journalistenpack zur Vorstellung des Albums des Jahres 2003. Wieso? Bitte schön, lesen.

Wochenende, sieben Tage frei, Karlsquell auf fünf Cent runtergesetzt, davon sechs Paletten im Keller gebunkert, und die Aussicht auf eine nette Zugfahrt ins schöne Weimar in den Proberaum von DIE APOKALYPTISCHEN REITER – was will der trunksüchtige und Reiter-verrückte Verfasser dieser Zeilen eigentlich mehr? Nun, die Antwort lautet: Kopfschmerztabletten. Da die Reiter in ihrem Proberaum zwar eine breite Auswahl an alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken, Obst und Chips bereitgestellt hatten, aber eben keine Acetylsalicylsäure, pochte mein Kopf. Es sei allerdings festgestellt, dass das, natürlich, nicht an der Musik lag, die dem versammelten Journalistenpack ohne Vorrede und Umschweife an den Kopf geknallt wurde. Dieses, mit Textzetteln bewaffnet, wurde davon nämlich augenblicklich in die Sessel gedrückt, und ein versonnenes Lächeln breitete sich über mein Gesicht aus, denn

Vier Reiter stehen bereit

ist ein Song, der mächtig Arsch tritt, die Tränen in die Augen treibt, die Faust in die Luft schnellen lässt und für sich allein genommen jetzt schon ein Klassiker. Wie mir Eumel, der sich jetzt übrigens „Fuchs“ nennt, später erzählte, sei dies der älteste Song auf dem Album und stamme noch aus der „All you need is love“-Phase, was man auch sofort hört: Blastbeats, Kreischgesang und das typische Riffing. Neu ist nur der hymnische und kraftvolle Gesang Eumels, der zum ambitionierten melodischen Sänger heranwächst, wie spätere Songs noch zeigen sollten. Befürchtungen, dies würde die einzige Überraschung sein, wurden jedoch spätestens mit

Warum?

im Keim erstickt, denn hier offenbart sich in den Strophen ein treibender Rock-Song mit ein wenig RAMMSTEIN-Appeal (aber halt in gut), während der Refrain eine Mischung aus Hymne und Wutschrei gleichermaßen darstellt: „Warum lebst du?“ Textlich zeigen sich in den beiden ersten Songs übrigens ähnliche Motive: eine Abrechnung mit der selbstsüchtigen und arroganten Menschheit. Schön!

Sehnsucht

fällt dann ein wenig ab, und zum ersten Mal wird ein kleines Problem hörbar: Auf „Have A Nice Trip“ fehlt es an einigen Ecken, so zumindest mein erster Eindruck, an ungezügelter Aggression, was nicht zuletzt daran liegt, dass Volkmar sich mit seinem Kreischen ein wenig zurückhält und Eumel so gut wie gar nicht mehr grunzt, sondern singt oder spricht. Dadurch entsteht eine gewisse Normalität im ansonsten durchgeknallten Reiter-Stall, und von „Grindcore“ kann man bei den Reitern nun überhaupt nicht mehr sprechen. An „Sensucht“ wird das deshalb zuerst deutlich, weil es ein sehr straighter Rock-Song ist, der eben mit Sprechgesang aufwartet und sich in den Strophen ein wenig hinzieht. Ein wenig kam also Enttäuschung auf, die mit

Terra Nola

aber wieder hinweggefegt wurde. Hier regiert purer Bombast, und Eumel singt durchgehend klar, wobei seine sieben bisher genommenen Gesangsstunden wirklich Wirkung zeigen. Dass es sich aber um DIE APOKALYPTISCHEN REITER handelt, hört man hier, wie auch bei jedem anderen Stück, in jeder Note, da muss sich niemand bange machen. Ungeheuer intensiv ist dieser Lied, und es scheint, als habe Eumel hier textlich das verarbeitet, was nach „All you need is love“ mit den Reitern passiert ist: „Tausend Jahre sollte es noch währen / bis er mich trug durch die dunklen Sphären / Hinauf zum Licht in das Leben zurück“. Auf diesen Wandel hin zu positiveren Gefühlen und „normaleren“ Motiven in der Musik angesprochen, meint Eumel: „Mein Leben hat sich sehr zum Positiven hin verändert. Das Leben ändert sich, und so ändert sich auch die Musik“.

Dem Rechnung tragen tut dann

We Will Never Die,

das die logische Fortsetzung von “Metal Will Never Die” und “Heavy Metal” darstellt. Die Frage ist nur, ob die Welt und die Fanschar die mittlerweile vierte Bandhymne („Reitermania“ war ja schon die dritte) überhaupt noch braucht. „We Will Never Die“ ist allerdings ein wirklich geiler, flotter Song, vielleicht der normalste auf diesem Album, für Partys bestens geeignet. Ganz im Gegensatz zu

Baila Conmigo,

einem spanischen Stück, das, obwohl es von Eumel geschrieben wurde, auch ein spanisches Volkslied sein könnte. Locker-flockige Rhythmen, Trompeten und dann ein unglaublich eindringlicher Refrain, der jede Vermutung, das Stück könnte als Gag gedacht sein, im Keim erstickt. Es handelt sich in der Tat um ein verzweifeltes Liebeslied an eine Frau und festigt somit nicht nur den Exotenbonus von DIE APOKALYPTISCHEN REITER, sondern stellt auch einen der Höhepunkte dieses exzellenten Albums dar.

Mit

Ride On

geht es dann weiter in der Tradition von „Reitermania“, und endlich! Rauher Gesang! Mittlerweile war ich ganz hungrig nach dem guten alten Reiter-Gegrunze, und so nahm ich diesen durchgeknallten Party-Song besonders freudig auf. Zwar kommt er nicht im entferntesten an die Kraft der „Reitermania“-Hymne heran, ist aber durchaus immer noch – so wie alles andere hier – überdurchschnittlich gut.

Du kleiner Wicht

klagt dann in bestechender Rock´n´Roll-Manier all jene an, die den ganzen Tag nur jammern und nichts aus ihrem Leben machen. „Jetzt dreh mal richtig durch, du kleiner Wicht / Nimm dir was du willst, tritt aus dem Schatten in das Licht“ heißt es da arschtretend. Aber gerne!

Komm

wirkt dann wie ein Zwilling des Vorgängers, macht enorm Mut und knallt absolut ausgezeichnet. So was will ich hören von dieser Band, die mich Ende 2000 mit DEM Reiter-Song schlechthin, „Unter der Asche“, schon einmal aus dem Sumpf gezogen hat. Zwar vermisse ich auch bei „Komm“ Blastbeats und wirklich extreme Ausbrüche, aber vermutlich ist es an der Zeit zu akzeptieren, dass die Reiter sich gewandelt haben und diese Schiene zurückfahren mussten. An Überraschungen mangelt es aber auch weiterhin nicht, wie

Das Paradies

zeigt, ein Crossover-Song irgendwo zwischen Hip Hop und Metal, der enorm groovt und sicherlich viele Fans erst einmal erschrecken wird. Eumel dazu: „Wenn MOTÖRHEAD spanische Folklore machen würden, würde man es ihnen nicht verzeihen. Bei uns ist das egal.“ DIE APOKALYPTISCHEN REITER limitieren sich also in keinem Falle, auch nicht in diesem: „Das Riff schwebte schon lange im Raum, und da hab ich gedacht, machen wir doch einfach mal einen Hip Hop-Song.“ Gut so, denn „Das Paradies“ wirkt zwar ein bisschen plakativ und sogar geringfügig kitschig, aber alles in allem ist auch dieser Song sicherlich mit dem Prädikat „gut“ zu belegen.

Fatima

ist dann erneut ein Liebeslied, von Eumel kommentiert mit den Worten „Das habe ich mit Volkmar zusammen geschrieben“, und hier endlich mal was echt extremes: türkische Folklore trifft auf Grindcore. Und es funktioniert.

Wo die Geister ganz still sterben

mag neben „Vier Reiter stehen bereit“ als recht konventioneller Reiter-Song durchgehen, zeigt sich hier doch noch einmal die misanthropische, dunkle Seite der Band, die die ersten drei Reiter-Alben noch fast in Gänze durchzogen hat.

Als abschließendes Stück hören wir dann mit

Seid willkommen

eine derart bombastische Hymne, dass wirklich jeder die Hand zur Faust ballen muss. Gleichzeitig ist „Seid willkommen“ übrigens ein reinrassiger Pagan Metal-Song, aber wer Reiter-Bassist Volkmar Weber zumindest von seiner Tätigkeit für das Legacy-Magazin kennt, den wird das nicht wirklich überraschen.

So, und als seien diese dreizehn Kleinode noch nicht genug der Großartigkeit, beehren uns DIE APOKALYPTISCHEN REITER auf der „limitierten“ Digipak-Edition von „Have A Nice Trip“ mit einem Bonussong, und zwar

Master Of The Wind

von MANOWAR. Als ich dies erfuhr, freute ich mich auf eine durchgeknallte Version dieses wunderschönen Liedes, aber als ich es dann hörte, machte sich Enttäuschung breit: die Reiter haben nicht etwa MANOWAR verfremdet, sondern schlicht nachgespielt und noch eine Ladung Bombast dazugepackt. Eumel sagte dazu, man habe zwar auch mal eine Swing-Version geprobt, dann dem Stück aber nicht den Charakter nehmen wollen. Eine Entscheidung, die zu respektieren ist, zumal „Master Of The Wind“ einer der extrem wenigen MANOWAR-Songs ist, die man wirklich hören kann, und die noch dazu immer gut sind.

Also: sind die Reiter jetzt erwachsen geworden? Haben sie ihre Radikalität, ihre Verrücktheit, ihre Exotik eingebüßt? Ich sage: nein. Was mit DIE APOKALYPTISCHEN REITER vielmehr passiert ist, ist ein völlig natürlicher Wandel hin zu dem, was Eumel, Volkmar, Pest und Sir G. heute ausmacht. Es ist ehrlich, das zu spielen, was man fühlt, und genau das tun die Reiter. Wenn dabei ein wenig das krasse Geknüppel auf der Strecke bleibt, ist das beim ersten Hören vielleicht bedauerlich, aber nicht mehr. Dafür gibt es immer wieder neues und natürlich auch das altbewährte. Gut so.

Also: „Have A Nice Trip“ wird, wenn nichts dazwischen kommt, das Album des Jahres. Es erscheint am 17.03.2003 und sollte dann in jedem gut sortierten Kompaktscheibengeschäft zu finden sein.

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