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DARK TRANQUILLITY: Im Inneren des Wesens

Zurück zu den Wurzeln, aber noch immer zurück in die Zukunft lautet die Devise von DARK TRANQUILLITY auf ihrem mittlerweile siebten Album "Character". Grund genug den guten Niklas zu löchern, der trotz eines Interviewmarathons erste Güte ausführliche Antworten gab.

Niklas Sundin ist ein ruhiger und besonnener Mensch, der so gar nicht in das Klischee des wilden Death Metallers passt. Dennoch erschuf er mit DARK TRANQUILLITY erneut ein heißes Eisen, auf dem sich seine Band auf alte Stärken besinnt und furios und heftig vom Leder zieht. Zurück zu den Wurzeln, aber noch immer zurück in die Zukunft lautet die Devise von DARK TRANQUILLITY auf ihrem mittlerweile siebten Album Character. Grund genug den guten Niklas zu löchern, der trotz eines Interviewmarathons erster Güte ausführliche Antworten gab.

Der Titel eurer neuen Scheibe lässt einiges an Interpretationsmöglichkeiten zu, könnte aber darauf anspielen, dass ihr eine der wenigen melodischen Death Metal-Bands seid, die noch Charakter besitzen oder aber ein Konzeptalbum über Gedankenzustände sein.

Der Arbeitstitel des Songs Am I 1? lautete zunächst Character. Nachdem wir sechs oder sieben weitere Songs geschrieben hatten, bemerkten wir, dass die Songs verschiedene Gesichter einer Figur oder Person darstellen. Verhaltensweisen in unterschiedlichen Situationen stehen im Vordergrund. Das ist das Grundkonzept des Albums, doch mit den anderen Punkt hast du auch recht: Wir machen seit 15 Jahren Musik und haben uns nie groß darum gekümmert, was Andere von uns erwarteten.

Härter als Damage Done ist Character auf jeden Fall, auch wenn ihr euch mit diesem Album auf alte Stärken besonnen habt. Ist das Feuer für aggressive Musik, schnellen Death Metal in eurem Fall, neu entfacht?

Nach The Mind´s I waren wir ermüdet von harter Musik. Wir waren nichts anderes als eine weitere Death Metal-Band aus Götheborg. Wir brauchten etwas, das uns herausforderte und interessant für uns war. Projector war genau das richtige Album für diese Zeit, Haven wiederum war die logische Fortsetzung davon. Danach wurde es interessant, die Intensität und Härte der früheren Alben aufleben zu lassen und mit modernen Elementen zu verbinden. Wir wollten ein Album schaffen, das technisch anspruchsvoll, melodisch, brutal und abwechslungsreich ist, was uns wie ich denke jetzt gelungen ist.

Das ist einer der großen Pluspunkte an Character: Bereits nach dem ersten Hören spürt man sofort das Potenzial des Albums. Es enthält einige sehr eingängige Stellen, auch wenn es als Ganzes sehr komplex und schwer zu fassen ist.

Das ist genau das, was wir erreichen wollten. Einerseits gibt es die ganzen Details, die das Album für lange Zeit interessant halten, andererseits haben wir sehr eingängige Passagen verwendet. Das zu erreichen behielten wir immer im Hinterkopf, aber es ist auch für Leute die der Band lange folgen einfacher zu verstehen. Schließlich behielten wir einige Charakteristiken stehts bei.

Waren die beiden experimentellen Alben Haven und Projector gut für euch um zu zeigen, dass man alles Mögliche von euch erwarten kann?

Ja, denn die Hörer wissen nie genau, was auf sie zukommt. Wir haben somit Platz zum experimentieren und niemand kann sagen, dass wir unsere Identität verleugnen würden. Wir gehen jetzt auch viel frischer und freier ans Songwriting heran und haben wieder mehr Spaß an schneller Musik. Das hören die Fans auch ganz deutlich heraus, da bin ich mir sicher. Aber es kann natürlich sein, dass unser nächstes Album wieder komplett anders klingt, im Endeffekt ist jedes Album nur eine Repräsentation dessen, was wir momentan fühlen.

Die musikalische Freiheit ist also der Hauptgrund, dass ihr nach 15 Jahren noch so frisch klingt?

Das stimmt, wir kümmern uns nicht um die Erwartungen anderer, auch wenn uns sicherlich interessiert, was die Fans denken. Wir machen die Musik für uns, ganz einfach.

Ich denke übrigens, dass ihr auf Character gar nicht so aggressiv seid, durch die Melodien und Riffs klingt ihr eher… leidenschaftlich.

Niklas
Niklas Sundin: Es gibt nur persönliche Interpretationen, keine richtigen oder falschen Eindrücke

Das ist für mich als Bandmitglied schwer zu sagen, denn ich sehe dies in einem völlig anderen Licht. Aber ich stimme dir zu, dass die Melodien mehr Emotion als zuvor ausdrücken. Das kommt aber voll und ganz auf den Hörer an: Es gibt nur persönliche Interpretationen, keine richtigen oder falschen Eindrücke.

Eure Musik kommt also mehr aus dem Herz als aus dem Hirn.

Was wir in den letzten 15 Jahren gelernt haben kommt auf jeden Fall aus den Fingern und dem Kopf – die verschiedenen Timings, Melodien und Breaks erfordern Konzentration, da ist das Köpfchen auf jeden Fall gefragt. Alles was wir tun ist leidenschaftlich, wir versuchen dennoch das Hirn nicht außen vor zu lassen. Würden wir zu technisch sein, wäre es lediglich für Musiker oder Progressive-Fans interessant, ohne die verspielten Stellen würde unsere Musik schnell langweilig werden. Das ist auch das Problem an Damage Done. Ich mag das Album, aber es ist mir ein wenig zu offensichtlich, es gibt zu viele Hooklines und zu wenig trickreiche Stellen.

Das Album scheint, als wäre es in sehr kurzer Zeit geschrieben und aufgenommen worden, ist sehr kompakt und klingt wie aus einem Guss.

Das ist schön, denn wir wollten keine 11 Standardsongs abliefern, sondern ein großes Gesamtwerk erschaffen. Lustigerweise dauerte es aber über ein Jahr, das Album zu schreiben.

Was ist für euch speziell der Vorteil, in drei Studios aufzunehmen? Bekommt ihr dadurch einen eigenen Sound?

Zunächst: Das Studio The Room ist im selben Gebäude wie das Studio Fredman und hieß vorher Phlat Planet das Fredrik Reinedahl zusammen mit Anders Friden von IN FLAMES gehört. Die beiden Studios laufen jedoch unter dem Fredman-Banner. Rogue Music hingegen ist das Studio von Martin (Bandström, Keyboarder von DARK TRANQUILLITY – Anm. d. Verf.), in dem sämtliche Synthies und Soundeffekte aufgenommen wurden. Als wir in die Studios zogen, waren sämtliche Songs komplett geschrieben und wir nahmen uns einen Monat Zeit alles bestmöglichst aufzunehmen. Ein weiterer Monat ging für den Mix drauf – wir achteten dieses Mal stark auf den Mix.

Ihr werdet beim Songwriting hörbar von vielen unmetallischen Ideen beeinflusst.

Das ist korrekt, wir lassen uns von allen möglichen Musikrichtungen inspirieren. Wir sind sechs Leute in der Band, da ist die Bandbreite enorm. Keiner von uns hat Scheuklappen auf und ich denke, dass gute Musik in wirklich jeder Schublade zu finden ist, so lange so Herzblut drin steckt.

So komisch es klingen mag: Für mich klingt es so als wäre DEPECHE MODE ein großer Einfluss für euch.

Nein, du hast Recht, wir alle mögen diese Band. Vor allem unser Keyboarder kommt aus dieser Ecke. Er hat überhaupt keinen Metal-Background. Das bietet übrigens einen großen Vorteil: Es treibt die Thematik Keyboards im Metal voran und zeigt eine ungewohnte und andere Sichtweise auf.

Überhaupt finde ich mittlerweile, dass die Keyboards viel enger mit der restlichen Musik verwoben sind, als noch auf Haven. Nicht nur Melodien, auch viele kleine Details lassen sich finden.

Ja, das stimmt. Es ist ein kontinuierlicher Fluss, in diesem Fall allerdings eher im Hintergrund. Man muss manchmal schon genau zuhören.

Wie sollen sich die Fans deiner Meinung nach das Album anhören? Mit Kopfhörern?

Das liegt natürlich an den Vorlieben des Hörer. Aber wenn man gute Kopfhörer hat wirkt das Album sicherlich sehr gut.

Sind die leisen Stellen auf Character ebenso wichtig wie die Metalriffs – das Grundgerüst der Songs?

Auf jeden Fall, alles muss in guter Balance sein. Sicherlich ist Character ein recht hartes Album im Vergleich zu anderen Werken von DARK TRANQUILLITY, aber ohne diese ruhigeren Passagen wäre es nicht so heavy. Darin kann man Energie für die harten Passagen sammeln. Außerdem ist es spannend mit verschiedenen Möglichkeiten des Ausdrucks zu experimentieren.

Außerdem wirken durch die leisen Passagen die brutalen Stellen noch heftiger.

Promobild
Wenn du Kontraste einsetzt, wird das Gesamtbild viel dynamischer und interessanter.

Genau so ist es! Wenn du Kontraste einsetzt, wird das Gesamtbild viel dynamischer und interessanter, eine Scheibe auf der ununterbrochen geknüppelt wird ermüdet den Hörer viel schneller.

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen euch heute aus? Die letzten Veränderungen im Line-Up fanden vor sechs Jahren kurz nach den Aufnahmen von Projector statt. Wisst ihr nach dieser Zeit, was der andere meint, wenn er Ideen einbringt?

Damals brachte es wirklich frischen Wind in die Band, als Außenstehende in ein Gefüge gelangten, dass seit fast zehn Jahren kreativ aktiv ist. Jeder kennt seinen Platz, jeder kennt seine Rolle in der Band und somit kommt es selten zu Streitereien. In der Tat, es herrscht ein sehr gutes Bandgefüge.

Mikaels (Stanne, Sänger – Anm. d. Verf.) klingt auf Character derb und aggressiv wie schon lange nicht mehr.

Das kommt ganz natürlich. Er will die passenden Vocals zur Musik abliefern. Es soll alles zusammen passen – Mikael hat ein sehr breites Stimmspektrum, warum sollte er das nicht ausnutzen? Viele sagen übrigens, dass die Vocals auf Character nach The Mind´s I klingen, was ich absolut unterstreichen kann.

Die klaren Vocals auf Projector kamen durch die damalige Experimentierfreudigkeit?

Die Musik auf diesem Album forderten einfach melodischen Gesang, keine Frage. Damage Done hingegen hätte mit solchem Gesang nicht funktioniert. Wir haben niemals beschlossen keinen derartigen Gesang mehr zu verwenden, sie könnten in der Zukunft wieder ihren Weg in die Musik finden. Die Musik muss dann jedoch daran angepasst werden.

Themawechsel: Du gestaltest seit langem die Artworks für DARK TRANQUILLITY. Werden die Ideen für das Cover dadurch besser, weil direkter verarbeitet?

Sicherlich kann die Idee für das Cover somit direkt verarbeitet werden und persönlicher wird es auch. Andere Künstler könnten sicherlich auch sehr gute Arbeit leisten, bei einem Bandmitglied, das im Songwritingprozess involviert ist, werden aber ganz andere Ergebnisse erzielt. Jeder kreative Output kommt somit von der Band, dadurch wirkt das Album geschlossener. Das ist auch der Grund, warum wir in Sachen Produktion mehr und mehr Verantwortung selbst übernehmen. Wir sind Kontrollfreaks, brauchen jederzeit die Möglichkeit Einfluss zu nehmen.

Die Covers der Single Lost to Apathy und des neuen Albums stehen in engem Zusammenhang. Es wirkt auf mich wie eine futuristische Stadt.

Das
Die Innere Welt im Coverartwork zu Character

Wir haben ziemlich abstrakte Texte, welche den Hörer verleiten soll sich seine eigene Interpretation zu suchen. Das Cover ist meine Interpretation der Texte. Wie bereits erwähnt stellen die Songs verschiedene Seiten, Reaktionen und Züge eines Charakters dar. Das Cover zeigt eine innere Welt, das innere des Charakters. Im Hintergrund ist ein großes Gehirn, von dem aus Nervenstränge wegführen. Das rote Objekt besteht aus Muskeln, es ist also eine Mischung aus Welt und dem Inneren eines Menschen.

Allein das schreit nach einer Veröffentlichung auf Vinyl.

(lacht) Ja, das wird es geben. In der CD wird noch ein 20-seitiges Booklet sein, wodurch das optische Konzept noch logischer wirken wird.

In Lost to Apathy heißt es: Look at the shell that is you. Das selbe Zitat ziert eure Homepage, bedeutet euch diese Zeile besonders viel? Ist das ein Statement, dass sich gegen die Reduzierung auf Äußerlichkeiten richtet?

Viel mehr dreht es sich darum, dass eine Person aufgegeben hat, nicht mehr kämpft und in Apathie versinkt. Das Cover spiegelt dies auch wieder, die ganze Stadt ist grau und trostlos.

Das Video zu Lost to Apathy passt sich mit den Grautönen hervorragend an das Artwork an. Besonders die Kameradrehung hat mir gefallen, durch die man erkennt, dass ihr quasi in Scheiben steht. Wer führte Regie?

Das hat ein Freund von uns gemacht, er heißt Roger Johansson und arbeitete bereits mit HAMMERFALL, IN FLAMES und SOILWORK. Wir saßen zusammen und sahen uns frühe Versionen des Albumcovers an, wodurch wir auf diese Idee kamen. Die Idee war, dass wir in dieser Stadt spielen, inspiriert wurden wir von der Musik, den Texten und dem Cover. Auch das Merchandise wird in diesem Stil gehalten werden.

Ihr kommt endlich wieder auf große Tour durch Europa.

Ja, das ist die erste mehrwöchige Europatour seit zwei Jahren, 2003 hatten wir nur eine fünfwöchige Tour in den Staaten mit NAPALM DEATH und NILE. Auf die Tour im Winter freuen wir uns besonders, da wir direkt vor KREATOR spielen und diese Band noch immer großen Einfluss auf uns hat.

Letzte Frage: IN FLAMES und DARK TRANQUILLITY sind die beiden großen Götheborg-Bands. IN FLAMES haben euch in kommerzieller Hinsicht überholt, spürt ihr so etwas wie Eifersucht?

Um Himmels Willen, nein! Wir sind noch immer gute Freunde, es gibt keinerlei Rivalitäten. Wir machen unterschiedliche Musik und haben unterschiedliche Ziele. Uns ging es nie darum so viele Scheiben wie möglich zu verkaufen und ihnen auch nicht. IN FLAMES machen erstklassige Musik und ich gönne ihnen den verdienten Erfolg von Herzen.

Genau das wollte ich hören. Niklas, ich danke dir für dieses Gespräch.

Promobild
Keine Rivalität mit ihren alten IN FLAMES-Kumpel – DARK TRANQUILLITY

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