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BALZAC: Der Paperbag-Mann und die Dunkelheit

Die Band BALZAC existiert eigentlich schon seit dem Jahr 1992 und konnte sich über die vielen Jahre in der japanischen Heimat einen beachtlichen Erfolg erspielen. Inzwischen hat auch Europa Kenntnis von den Horrorpunks genommen und im Juni 2004 stand gar eine richtige Deutschlandtour auf dem Programm. Im Zuge dessen hatten wir die Gelegenheit, Sänger Hirosuke mit Hilfe eines Dolmetschers zu interviewen.

Manchmal ist es schon sehr interessant zu beobachten, wie eine Band lange Zeit als Geheimtipp gehandelt wird, irgendwann den richtigen Moment erwischt, um auf sich aufmerksam zu machen und dann plötzlich in aller Munde zu sein scheint. Gleichzeitig ist die Wahrnehmung der Szenebeobachter ab dem Moment der Aufmerksamkeitsnahme getrübt und aus einem kleinen Erfolg wird in der subjektiven Empfindung der ganz große Durchbruch.

BALZAC ist so eine Band, die sich ihren heimatlichen Status über Jahre aufgebaut hat, gegründet wurde sie bereits 1992 und seitdem hat man es auf eine unüberschaubare Zahl von Veröffentlichungen gebracht, zu einem Großteil bestehend aus Vinyl-Single-Releases. Allerdings sind in dieser Zeit auch sieben Full-Length-Alben entstanden, von denen zwei (Out of the Light of the 13 Dark Night und Came out of the Grave) inzwischen auch in Europa ganz offiziell erschienen sind.

Aus ihrer Liebe zu den MISFITS haben die Japaner dabei nie einen Hehl gemacht und die offensichtlichen Anlehnungen konnte man stets als Tribut ansehen – von einem bloßen Abkupfern war man schon allein musikalisch ein ganzes Stück entfernt. Dennoch kam es, dass Jerry Only höchstselbst gefallen an BALZAC fand, diese auf sein Label nahm und zudem noch mehrfach mit der Band in Japan und in den USA auf Tour ging. Mit der Splitsingle Don´t open til Doomsday konnten sich BALZAC endgültig der Aufmerksamkeit außerhalb Japans sicher sein und das Eis war gebrochen.

BalzacNachdem vor einigen Wochen nun also das zweite offiziell in Deutschland veröffentlichte Album erschienen ist, konnte man dennoch gespannt sein, wie groß der Zuspruch auf die erste Headlinertour durch Deutschland denn nun sein sollte. Von leeren Venues bis zu ausverkauften Sälen lag eigentlich alles im Bereich des Möglichen, umso erfreulicher, dass die Band ausschließlich positive Erfahrungen mit nach Hause nehmen kann. Wir waren jetzt zum ersten Mal in Deutschland und jeder einzelne Auftritt war für sich super. Die Shows waren alle sehr gut besucht und ich freue mich ganz besonders, dass sehr viele BALZAC-Fans die Gelegenheit hatten, die Band live zu sehen und die Band wiederum die Gelegenheit hatte, überhaupt in Deutschland spielen zu können, weiß Sänger Hirosuke im Interview am Rande des Konzerts am 29. Juni im Stuttgarter Universum zu berichten. Kein Wunder, dass die Band allen Grund zur Zufriedenheit hat, denn bei der kleinen Schar an deutschen Fans besteht bereits jetzt eine sehr starke Bindung, was man nicht zuletzt durch ein ganzes Arsenal an Merchandise-Artikeln zu fördern weiß. Hervorragende Voraussetzungen also, um den Bekanntheitsgrad der Band zu steigern, was nicht zuletzt darin mündet, dass man den Auftritt vom 03. Juni in Köln am 01. August in der Sendung Rockpalast des WDR zu sehen bekommen wird. Es scheint sich also wirklich einiges zu tun und so wurden auch die Erwartungen der Band bezüglich ihrer Deutschlandreise mehr als erfüllt: Was uns besonders gefreut hat, und was alle Erwartungen übertroffen hat war, dass es hier so viele BALZAC-Fans gibt. In Deutschland sind wir schlicht eine Newcomer-Band, aber ich habe das Gefühl, dass da noch viel mehr kommen kann und in diese Richtung soll es auf jeden Fall auch gehen.

Einzig hinderlich auf diesem Weg könnte allerdings die Sprachbarriere sein, denn BALZAC beherrschen weder deutsch noch englisch und so erweist sich auch ein Interview als schwierig. Zwar hatte man mit Tourmanager Lobi einen Mann an der Hand, der des Japanischen sehr gut mächtig war, dessen ungeachtet ist es schwierig, ein intensives Gespräch aufkommen zu lassen, wenn alle Fragen und Antworten zunächst in die Muttersprache und wieder zurück übersetzt werden müssen.

Dennoch konnten wir dem sympathischen Frontmann der Band bei schönem Wetter und entspannter Stimmung einige Informationen entlocken, wobei an erster Stelle wieder ein Mal das (fast schon leidige) Thema MISFITS zur Sprache kommen musste. So stellt die Splitsingleveröffentlichung aus dem Jahr 2002 sicherlich auch eine Besonderheit in der Bandgeschichte dar: Seit den Anfängen von BALZAC sind wir immer ganz große MISFITS-Fans gewesen und für uns ist es auf jeden Fall etwas ganz Wichtiges, dass wir diese Single machen konnten. Aber mal abgesehen von dieser Geschäftsbeziehung – wir sind ja auch auf dem MISFITS-Label -, ist es auch so, dass wir mit der Band, speziell Jerry Only, sehr gut befreundet sind.

Das Interessante an BALZAC für die vielen neu hinzugekommenen Fans in Europa ist nun sicherlich, dass es an der Band sehr viel Neues zu erkunden gibt, zumal BALZAC sehr viel mit feinen Details und Images arbeiten – man denke nur an die Zahlenspiele, die Figur des Paperbag-Manns, das Yami-Zeichen, usw. Was hinter all dem steckt, das möchte die Band nicht ganz offen legen: Es ist tatsächlich so, dass wir es lieber mögen, wenn die Fans ihre Vorstellungskraft einsetzen, um hinter diese Dinge zu kommen. Die Band gefällt auch Leuten, die überhaupt nichts mit Horrorpunk am Hut haben, aber es soll schon so sein, dass die Fans einen Bezug zu dieser BALZAC-Welt bekommen, sich dabei mit diesem Thema aber sicher auch etwas selber auseinander setzen sollen. Und auc, wenn die Band mit der Mystik um ihr Image gerne spielt, sollte man nicht in alles eine Bedeutung hinein interpretieren. Dass Bassist Akio anscheinend eher eine Vorliebe für Gangsteroutfits, denn für die schicken Knochenanzüge hat, die zum Trademark von BALZAC geworden sind, das hat mit dem Bandkonzept überhaupt nichts zu tun. Also was Akio anbelangt: der zieht das an, was ihm gefällt und es gibt Tage, an dem er seinen Knochenanzug anzieht, genauso gibt es auch Tage, an denen ich ihn nicht anziehe. Wir machen eigentlich das, was uns gefällt.

BalzacTeil der Faszination an dieser BALZAC-Welt, macht sicher auch die europäische Sicht auf die japanische Kultur aus. So ließ ich mich in meinem Review zu Came out of the Grave zu folgendem Kommentar hinreißen, den Hirosuke nicht so ganz nachvollziehen kann: Wo die MISFITS durch ihre rohe Erdigkeit ihre Durchschlagkraft erhalten, werden BALZAC durch die typisch japanische Widersprüchlichkeit gefährlich. Klar, wir sind von den MISFITS sehr beeinflusst worden, aber was mir sehr am Herzen liegt ist, dass wir seit unseren Teenagerzeiten japanische Punk-Rock-Bands wie STALIN oder INU hören und das sind die Einflüsse, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Es sind nicht nur die MISFITS, es sind auch diese japanischen Punk-Rock-Bands. Ansonsten glaube ich aber, dass wir eigentlich eine sehr berechenbare Menschenrasse sind. Eine Aussage, der der anwesende japanische Bandmanger nur ein eigentlich sind wir genauso wie die Deutschen hinzufügen kann.

Genausowenig scheint BALZAC aus eigener Sicht eine typisch japanische Band zu sein, zumal die dortige Musikszene nach Aussage des Sänger nicht wesentlich von anderen abweicht. Die japanische Punk-Szene besteht eigentlich genauso wie die Deutsche, es gibt da keine Unterschiede. Bei den Konzerten geht es genauso ab. Es gab ja auch schon früher sehr viele japanische Punkbands, die immer in Amerika oder Europa auftreten wollten und zum Teil auch aufgetreten sind. Es ist aber schon so, dass japanische Bands wenig Gelegenheit hatten, im Ausland zu touren. Letztendlich hatten BALZAC diese Gelegenheit und konnten mit den MISFITS durch Amerika reisen, jetzt sind wir in Deutschland, und solche Möglichkeiten hat bei uns leider nicht jede Band. Dementsprechend wehrt man sich auch gegen die gängigen Vorurteile vieler Deutschen gegenüber den Japanern: Also ich habe das Gefühl, dass die Deutschen den Eindruck haben, dass die japanische Punk-Szene etwas verspätet sei. Ich muss da aber ganz scharf widersprechen. Egal ob es Punk-Rock ist, ob es Heavy Metal ist: es gibt sehr viele japanische Bands, die ganz weit vorne sind. Leider ist Japan eine Insel und deshalb kommen wir nicht raus, das Ausland bekommt gar nicht mit, was bei uns los ist. Ich hoffe, dass in Zukunft sehr viele japanische Band ebenfalls nach Europa oder Amerika kommen können, weil es einfach japanische Rockkultur ist.

Wobei BALZAC davon profitieren könnten, dass sie musikalisch gar nicht so sehr im Punk verwurzelt zu sein scheinen und noch eine ganze Menge anderer Einflüsse vor allem im Gitarrenbereich ihren Weg in den Sound des Quartetts zu finden scheint. Schubladisierungen sind aber nicht wirklich Hirosukes Ding: Ich denke das müssen die Leute entscheiden, ob wir nun Punk sind, oder nicht. Ich habe den Punkrock im Herzen und was die Leute über meinen Sound denken – ob es nun Punkrock ist oder nicht -, das sollen sie selbst entscheiden. Atsushi hört sicher sehr viel verschiedene Musik und klar lässt er sich dadurch auch beeinflussen. – was den im Grunde recht simpel gehaltenen Kompositionen der Band gleichzeitig auch eine enorme Frische verleiht.

Als Image leben BALZAC gänzlich das des Horrorpunks aus und scheinen darin auch voll aufzugehen – etwas, was auch die Fans sehr zu schätzen wissen. Ob dies in erster Linie dem Einfluss der MISFITS zu verdanken ist, oder ob andere Umstände eine Rolle für diese Ausrichtung gespielt haben, das lassen BALZAC offen. Fest steht jedoch, dass es der japanische Horrorfilm, der schon seit vielen Jahren viele Extreme hervorgebracht hat, gleichzeitig vor allem in letzter Zeit aber auch durch massenkompatiblere Produkte bei uns in Europa seine Erfolge feiert, nicht gewesen ist: Also vor allem als Teenager habe ich japanische Filme überhaupt nicht gemocht. Erst wirklich in letzter Zeit mag ich tatsächlich auch diese japanischen Horrorstreifen.

Wer nun erwartet, dass Hirosuke in seiner Freizeit nur Musik hört, die zumindest in eine Richtung tendiert, wie die eigene, der dürfte überrascht sein, was aktuell im CD-Player des Frontmanns rotiert: Was mir genauso wie früher auch heute noch absolut gefällt, das sind George Harrison-CDs – die BEATLES eben. Ich höre sehr viel Musik, aber die BEATLES hör ich eigentlich besonders gern. So ist George Harrison auch die erste Wahl, wenn es darum geht, eine Persönlichkeit zu benennen, die er in seinem Leben gerne einmal treffen würde. Fast schon versöhnend wirkt da die Zweitwahl: In letzter Zeit höre ich auch wieder viel THE DAMNED, was ich als Teenager schon gemocht habe. Seit wir letztes Jahr aber gemeinsam auf Tour waren, höre ich die Band wieder verstärkt. Und auch den DIE ÄRZTE kann man etwas abgewinnen, mit denen man am Tag zuvor die Bühne teilte und deren Merchandise im kompletten Tourtross verteilt worden zu sein scheint – wobei Hirosuke lediglich mit einem Schweißband ausgestattet war. Sein knappes Urteil: Sehr nette Band.

Balzac

Und was war denn nun das beeindruckendste Live-Erlebnis der Band auf ihrer ersten Deutschlandtour? Göttingen. Ich mache nun schon seit 13 oder 14 Jahren Jahre Musik, das härteste, was ich seitdem aber temparaturmäßig erlebt habe, das war in Göttingen – die absolute Sauna. Wir spielen in Japan schon auch mal in Venues mit mehr als 1000 Leuten, genauso normal ist es aber auch vor 100 zu spielen. Ich mag es bei den kleinen Konzerten, wenn man gemeinsam ausrasten kann, die großen haben auf jeden Fall aber auch etwas für sich. Ich mag beides.

Somit kann man also durchaus hoffen, dass dies nicht der letzte Deutschlandaufenthalt der japanischen Horrorpunks BALZAC gewesen ist, zumal viele Leute vermutlich erst jetzt nach dieser Tour auf die Band aufmerksam werden. Ob dies dann tatsächlich der ganz große Durchbruch für die Band darstellt, oder ob sie ab sofort einfach auf eine beachtliche Fangemeinde hier in unseren Breitengraden bauen kann, das sei mal dahin gestellt. Auf jeden Fall dürfte die Begeisterung um die Band, die bei den jetzigen Fans bereits besteht, durch ihre Tour nur verstärkt worden sein – und das zurecht.

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