ÄNGLAGÅRD: Katzen, Kaffee und Progrock

Schlagzeuger Mattias Olsson spricht über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Und über Models, die auf übergroßen Lippenstiften reiten.

Anfang der 90er sorgten ÄNGLAGÅRD mit den Alben Hybris und Epilog dafür, dass Progfans aus aller Welt in Richtung Stockholm blickten. Nach drei Jahren löste die Band sich dann leider aufgrund der berüchtigten persönlichen Differenzen auf. Doch anno 2002 haben die Schweden das Kriegsbeil begraben und arbeiten wieder zusammen an neuen Mammutkompositionen. Grund genug für ein Interview mit Schlagzeuger Mattias Olsson!

Vor zehn Jahren erschien euer Debütalbum Hybris. Wart ihr euch bei den Aufnahmen bewusst, dass es in der stagnierenden Progrock-Szene nachhaltig Maßstäbe setzen würde?

Wir hatten keinerlei Vorurteile gegenüber dem, was wir taten. Das Schreiben und die Aufnahmen von Hybris waren zumindest am Anfang eine sehr positive und mitreißende Sache. Jeder war gut aufgelegt, und ich denke, wir waren alle ein bisschen überrascht, dass wir tatsächlich dabei waren ein Album aufzunehmen. Es ging alles sehr schnell. Johan und Tord waren dann beide mit dem ganzen Drumherum beschäftigt, also Plattenfirmen bemustern, das Studio Largen finden und so weiter.

In musikalischer Hinsicht haben wir so ziemlich alles für uns alleine gemacht. Schon sehr früh hatten wir uns dazu entschlossen eine Progrockband zu werden. Keine Progband mit Pop- oder Fusionanleihen oder sonstwas, einfach eine echte skandinavische Progrockband. Das hat uns vermutlich dabei geholfen sehr naiv und aufgeschlossen an die Sache heranzugehen und dabei zugleich konzentriert zu bleiben. Das klingt widersprüchlich, aber es hat funktioniert.

Woher stammt euer Bandname?

Von Tord. Seine Geschichte war die, dass seine Großmutter als kleines Kind eine Schachtel mit Puppenbildern von Engeln hatte, die sie Änglagård nannte. Hort der Engel.

Wie seid ihr vorgegangen, wenn ihr die komplexen und anspruchsvollen ÄNGLAGÅRD-Stücke aufgenommenen habt? Habt ihr einen Clicktrack benutzt? Oder habt ihr einfach alle Basisspuren auf einmal aufgenommen?

Zum einen hatten wir sehr viel geprobt, zum anderen hatten wir auch ein paar Konzerte gespielt, was beides sehr hilfreich war. Wir haben keinerlei Clicktracks benutzt, und wenn überhaupt nur sehr wenig nachträglich eingefügt. Auf Epilog gibt es an einer Stelle einen Schnitt, aber ansonsten sind alles durchgehende Takes. Wir waren diesbezüglich sehr unnachgiebig und wollten, dass es so klingt, als hätten wir ein 13-Minuten-Stück an einem Stück gespielt. Zurückblickend hätte man es wesentlich einfacher aufnehmen können, aber zu diesem Zeitpunkt wollten wir das so machen.

In Sachen Clicktracks war es so: Es musste einen Grund dafür geben, wenn ein Lied schneller oder langsamer wurde. Daher ließen wir das einfach so. So klingt nunmal die Musik.

Wessen Katze hält Johan auf dem Foto im Hybris-Inlay?

Es war die Katze von Tords Mutter. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. Später hatten sie auch Frettchen. Das hätte vielleicht auch witzige Bilder gegeben.

ÄNGLAGÅRD

Bei Epilog wurde vermerkt, dass die Aufnahmen im Herman Palmsalen begannen, einen Tag bevor ihr dann ins Studio Largen gegangen seid. Was ist das für ein Ort und was habt ihr da aufgenommen?

Also ich noch jünger war, spielte ich viel in Sinfonieorchestern und Blaskapellen. Auf Ekerö gab es einen Konzertsaal, wo diese ganzen Orchester probten und Konzerte gaben. So hatte ich die Möglichkeit in diesen Raum zu gelangen und dort den Flügel und die orchestralen Perkussionsinstrumente zu benutzen.

ÄNGLAGÅRD haben dort Klavier, Akustikgitarren und wegen der Raumatmosphäre etwas Mellotron dort aufgenommen.

Ich habe den Saal und die Instrumente dort auch für Aufnahmen mit REMINDER und GELLER benutzt.

War es Tords Entscheidung den Gesangsposten auf Epilog zu verlassen oder hat der Rest der Band ihn dazu bewegt mit dem Singen aufzuhören?

Das entwickelte sich von ganz alleine so. Tord wurde bisweilen für seinen Gesang kritisiert und stellenweise waren seine Texte ganz schön persönlich oder auch schlichtweg seltsam. Als Tord dann auch den Bandproben für Epilog fernblieb, passierte es einfach so. Zudem wollten wir die Musik nicht wirklich mit Worten festnageln. Am Ende kam es uns dann so vor, als würde sie für sich selbst sprechen.

Die Aufmachung beider Alben zeigt Bilder von Wäldern und Seen, und die Songtitel und die Texte beinhalten auch alle Jahreszeiten. Habt ihr bewusst versucht Schwedens Natur in Musik umzusetzen oder ging es stets um Tonleitern und Musiktheorie?

EpilogWir sind da einfach nach und nach hineingewachsen. Anfangs waren es fast nur Tord und Johan, aber am Ende mochten wir alle diese Metaphorik. Außerdem ist die Musik sehr romantisch und manchmal fast schon folkoristisch. Da schien ein Foto eines ruhigen Waldes passender zu sein als ein Airbrushbild von einem Model, das auf einem übergroßen Lippenstift reitet – aber hey, vielleicht machen wir ja bald ein neues Album!

In Schweden unterscheiden sich alle vier Jahreszeiten erheblich voneinander. Das beeinflusst einen ungemein. Wenn es drei Monate lang pechschwarz ist, neigt man dazu, die Sonne etwas anders zu wahrzunehmen.

Heutzutage sind ÄNGLAGÅRDs Studioalben trotz der Wiederveröffentlichung von Hybris 2000 ziemlich schwer zu bekommen. Gibt es Pläne sie wieder herauszubringen, jetzt da die Band wieder zusammen spielt?

Wir unterhalten uns gerade mit Exergy Music über die Möglichkeit eine Art Service einzurichten, damit die Alben in Zukunft wieder erhältlich sind. Wir müssten dann Kontakte knüpfen um passende Vertriebe und so zu finden. Das wird hoffentlich noch in diesem Herbst geschehen.

Habt ihr versucht die Band mit neuen Musikern weiterzuführen, als ÄNGLAGÅRD 1994 auseinanderfiel?

Nein, wir hatten alle die Schnauze voll von der ganzen Sache. Zudem hatten wir eine sehr schräge Karriere hinter uns mit den Progfesten, den Mexikotourneen und so weiter. Deswegen wäre es seltsam gewesen jemanden von außen dabei zu haben. Vielleicht unseren eigenen schwedischen Trevor Rabin! Fürwahr ein erschreckender Gedanke.

Thomas Johnson und du, ihr habt anschließend zusammen in der schwedischen Version von Jesus Christ Superstar mitgewirkt. War das in erster Linier ein Job oder hast du eine besondere Beziehung zu dem Musical?

ÄNGLAGÅRDEs war zum größten Teil Arbeit. Aber wir haben ein paar Sachen umarrangiert und auch eigene Ideen mitverarbeitet, insofern war sicherlich auch Spaß.

Beide seid ihr dann später bei REMINDER eingestiegen. Habt ihr dort auch ÄNGLAGÅRD-Material gejammt, wenn der Rest der Band gerade einmal nicht da war?

Es gab ein paar solcher Momente, aber ich glaube, es existierte eher ein grundsätzliches Verständnis, darüber dass wir uns wieder zusammen in einer gewissen Lage befanden. Thomas und ich haben viele, viele aufreibende Stunden in Proberäumen und Studios in der Gegend um Stockholm verbracht.

Zurück zur Gegenwart. ÄNGLAGÅRD proben wieder. Habt ihr erst mal eure alten Stücke wieder lernen müssen?

Das alte Material ist kein so großes Problem. Darum spielen wir meistens mit neuen Sachen herum, einfach um zu sehen, wohin es führt. Es ist wirklich klasse an neuem Material zu arbeiten, und ich glaube, wir versuchen gerade alle uns gegenseitig wieder besser kennenzulernen, sowohl in sozialer als auch in musikalischer Hinsicht.

Wie klingt das neue Material?

ÄNGLAGÅRDWitzigerweise ist es unverkennbar ÄNGLAGÅRD; sehr dynamisch und bewegend. Das erste Stück, an dem wir arbeiten, trägt den Arbeitstitel Solaris. Wir haben zwischen 25 und 40 verschiedene Themen verarbeitet und sind jetzt gerade dabei ein vorläufiges Arrangement zusammenzusetzen. Die alten Instrumente sind allgegenwärtig, deswegen klingt es wie früher. Die Veteranen altmodischer Keyboards können also beruhigt sein. Es wird am Ende wahrscheinlich Unmengen von Mellotronen, Orchestronen und Stylophonen geben… und einen verzerrten Bass natürlich auch.

Wer hat die Idee die Band wieder zusammenzubringen? Wie haben die anderen darauf reagiert?

Wir hatten wohl alle mal mit dem Gedanken gespielt. Wir bekamen dann ein paar Angebote, die beantwortet werden mussten. So brachte ich es letzten Oktober in Jonas` Haus zur Sprache.

Was machen die anderen Bandmitglieder inzwischen?

Jonas arbeitet als Bauingenieur bei einer Klangverarbeitungsfirma, soweit ich weiß. Thomas studiert und arbeitet an seinem Doktortitel. Was Anna macht, weiß ich nicht. Johan arbeitet an einer Schule und Tord ist im Filmgeschäft tätig.

Glaubst du, dass die Band jetzt musikalisch wie auch persönlich reifer ist?

ÄNGLAGÅRDNein, wahrscheinlich nicht. Interessanterweise ist es fast auf den Tag genau zehn Jahre her, dass wir die Aufnahmen zu Hybris beendeten, und wenn man jetzt einen Blick in den Proberaum wirft, dann ist es erstaunlich, wie wenig sich verändert hat. Unsere Hörgewohnheiten haben sich wohl verändert, und vielleicht sind wir so auch etwas offener für neue Einflüsse. Zudem können wir nun etwas deutlicher ausdrücken, was wir eigentlich wollen.

Åsa Eklund hat auf Epilog den Gesang beigesteuert. Besteht die Möglichkeit, dass sie wieder mit von der Partie ist, wenn ihr ein neues Album aufnehmt?

Falls wir Lust dazu haben, werden wir sie fragen, aber es ist noch viel zu früh um über irgendwelche endgültigen Aufnahmen zu sprechen. Uns allen gefällt die Vorstellung Gesang ohne Worte auf eine eher instrumentale Art zu nutzen.

Du hast einmal erwähnt, dass du auch gerne Musik zu alten Stummfilmen spielst. Kannst du dir vorstellen, dass ÄNGLAGÅRD eines Tages einmal einen Filmsoundtrack einspielen? Ich persönlich bin ja immer noch der Meinung, dass eure Musik perfekt zu Peter Jacksons Herr der Ringe-Verfilmung gepasst hätte!

Vielleicht schon, falls wir an einen passenden Film geraten. Ich finde, wenn man an einem Film arbeitet, sollte die Musik einen Teil zu dem Erlebnis beisteuern, es aber nicht vernebeln oder ihm im Weg stehen. Sie würde somit vermutlich struktureller und – mir fällt kein besseres Wort dafür ein – beiläufiger ausfallen. Aber die Band hat schon immer Themen variiert, daher wäre es durchaus naheliegend.

In deiner persönlichen Karriere gab es bislang etliche Höhepunkte: ÄNGLAGÅRD waren Headliner beim Progfest in L.A., lange bevor du dort überhaupt Alkohol trinken duftest. Anschließend hast du mit PINEFOREST CRUNCH eine Goldene Schallplatte bekommen und bist mit der Band auf dem Roskilde-Festival aufgetreten. Und kürzlich wurde dann einer deiner GELLER-Songs in einer Folge von Dawson`s Creek verwendet. Was war in deinen Augen bislang dein größter und bewegendster Erfolg?

Es ist alles ganz unterschiedlich. Ich denke nur sehr selten daran, was ich in der Vergangenheit getan habe, und ich vergesse auch vieles, weshalb ich diese Frage nicht so recht beantworten kann. Der Wechsel vom reinen Spielen hin zum Produzieren und Aufnehmen hat mit Sicherheit meine Sicht der Dinge verändert und mir bezüglich meiner eigenen Musik und meines Schlagzeugspiels viele neue Ideen gegeben. Das war für mich mit das Spannendste. Es ist immer großartig, wenn Leute auf das reagieren, was man tut, aber wenn ich mit einer Band an einem Song arbeite und es bei ihnen urplötzlich musikalisch oder produktionstechnisch klickt, macht mich das jedes Mal wieder glücklich. Es sind immer die kleinen Dinge, die Details!

Was machst du eigentlich, wenn du mal nicht Musik spielst, produzierst oder einfach nur anhörst!? Hast du irgendwelche Hobbys oder besteht dein ganzes Leben nur aus Musik?

ÄNGLAGÅRDEs mag traurig klingen, aber es ist so. Ich nehme Bands auf und produziere sie. Inzwischen haben ich meinen PC endlich wieder zum Laufen gebracht und werde nun viele neue Bands aus dem Internet antesten und dabei vermutlich etwas mehr in Richtung Vertrieb gehen.

Also ja, es dreht sich alles um Musik!

Hast Du sonst noch irgendwelche Pläne für die Zukunft?

Momentan stelle ich gerade das neue NANOOK OF THE NORTH-Album fertig, bei dem in der kommenden Woche noch drei Stücke gemischt werden. Außerdem habe ich die Hälfte eines AKABA-Albums im Kasten. Dann nehme ich drei Stücke mit einer Band namens CLOCKWORK auf, eine düstere 60`s Pop-Sache, und zuletzt werde ich bald noch mit einer anderen Band zusammenarbeiten, die sich KIT LE FEVER nennt.

Bist du süchtig nach Kaffee?

Wenn du damit meinst, dass ich die ganze Zeit über welchen trinke, dann ja!

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