blank

ULTHA: The Inextricable Wandering

66 Minuten repititives Leid und Depression können durchaus ermüden. Aber schön, dass es ULTHA gibt!

ULTHA find ich aus zwei Gründen interessant: Zum Einen kommt die Band aus der DIY-Hardcore-/Punk-Szene, in der ich ebenfalls stark verwurzelt bin, und zum Anderen ist Sänger Ralph Schmidt ein derart offenherziger Mensch, dass er seitenlange Interviews über sich und seinen Gemütszustand gibt. Das Ergebnis ist Black Metal, der nicht nach Black Metal klingt, mit Texten über Ralph Schmidts Gemütszustand.

Der ist depressiv, erfährt man, und es ist natürlich begrüßenswert, wenn ein gestandener Mann und verbeamteter Lehrer dies öffentlich macht. Zum Einen ist es aufgrund seines Berufs und Arbeitgebers mutig, zum Anderen wegen seines Geschlechts, denn leider sprechen immer noch viel zu wenige Männer über sich und ihre Gefühle, ganz zu schweigen von irgendwelchen psychischen Erkrankungen. Die haben Männer nicht zu haben, und deshalb schweigen und kämpfen sie so lange im Stillen, bis sie sich schließlich – ganz nach dem Motto “Selbst ist der Mann” – selbst umbringen. Männer, die das nicht tun, sondern ihr Leid entweder künstlerisch-musikalisch verarbeiten oder durch Mitarbeit in einer Szene, die sich den gemeinsamen solidarischen Ausdruck von Leid und den Abbau von Geschlechterstereotypen auf die Fahnen geschrieben hat, lindern, haben deutlich mehr Überlebenschancen, und deshalb ist ULTHA sicherlich ein schwarz-schimmernd leuchtendes Beispiel von vielen in der Punk- und Metal-Szene, und ich freue mich über ihren Erfolg.

“The Inextricable Wandering” bietet einen hervorragend auf die Band abgestimmten Klang

Aber wie hell leuchtet denn nun “The Inextricable Wandering”, das erste Album ULTHAs auf einem großen Label, genau? Positiv fällt als erstes der Klang auf: Die Gitarren klingen voll und warm, der Gesang kommt aus der Ferne hinzu, ein verzweifeltes Schreien, und Schlagzeug, Bass und Elektronik untermalen das Ganze stimmig – das passt, obwohl es – wie gesagt – weniger nach Black Metal als vielmehr nach Sludge oder Doom klingt, aber das ist auch gewollt, hört man.

Ich als Verehrer des Black Metals der skandinavischen Schule bin davon zwar erstmal abgeschreckt, aber gerne lasse ich mich drauf ein, denn langweilig wird das Album anfangs nicht, trotz der überlangen Stücke. Dennoch dauert es bis zum zweiten Teil des zweiten Stücks – also gut 20 Minuten -, bis das erste Mal eine dieser wehmütigen Melodien erklingt, die das Genre für mich so reizvoll machen. “With Knives To The Throat And Hell In Your Heart” hat dann also nicht nur einen größartigen Titel, sondern erweist sich dadurch auch als der absolute Höhepunkt der Platte.

ULTHA, wo ist dein Stachel?

Danach geht es – tut mir leid – abwärts. Das Synthie-Instrumental “There Is No Love, High Up In The Gallows” ist völlig überflüssig, und “Cyanide Lips”(huch, was ist mit den tollen Titeln passiert?) erweist sich als missratener Versuch, eine Art überharten Post-Punk-Black-Metal-Song zu schreiben. Das Problem ist schlicht, dass die Stücke zu viele Wiederholungen und zu wenige packende Melodien bieten. Es sind die Hooks, die dafür sorgen, dass man auf einem Album hängenbleibt, und Hooks hat “The Inextricable Wandering” zu wenige. Hinzu kommt der immer unglücklicher wirkende Gesang, denn weder der eine noch der andere Sänger schaffen es, ihre Stimmfarbe wirklich überzeugend einzusetzen; sie bellen mehr im Hintergrund rum als dass sie wirklich Emotionen ausdrücken. Mir als Gesangsfanatiker fehlt da einfach was.

Das Album klingt finster und ambient-lastig aus mit “We Only Speak In Darkness” und dem fast 20 Minuten langen Epos “I’m Afraid To Follow You There”, und beide sind zwar stimmungsvoll, aber mehr auch nicht. Wenigstens haut letztes Stück nach fünf Minuten nochmal metal-mäßig auf die Kacke und lässt uns nicht völlig im Ambient-Regen stehen, aber auch hier fehlt es mir an Melodie, an dem bittersüßen Stich, der mich immer wieder zurückkehren lässt auf diese Wanderung; das repetitive Auf und Ab von Gitarre und Synthie ermüdet mich stattdessen. So bin ich dann doch eher froh, dass sie vorbei ist – aber wenn ich Ralph Schmidt da richtig verstanden habe, ist auch er froh, die schmerzhafte Zeit, die er mit “The Inextricable Wandering” hat verarbeiten wollen, hinter sich gelassen zu haben. Insofern: passt.

Spielzeit: 66:18 Min.
Veröffentlicht am 5.10.2018 auf Century Media

Tracklist:
1. The Avarist (Eyes Of A Tragedy)
2. With Knives To The Throat And Hell In Your Heart
3. There Is No Love, High Up In The Gallows
4. Cyanide Lips
5. We Only Speak In Darkness
6. I’m Afraid To Follow You There

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner