THE END: Elementary

"Elementary" trifft mitten in Hirn und Herz, hinterlässt akute Suchtgefahr und hat alles, was aufregende und großartige Musik braucht.

Ich habe es immer gewusst. Schon als sich Within Dividia zum ersten Mal in mein Ohr schlich, wusste ich es. THE END sind keine dieser Mathcore-Bands, die hyperaktiv mit zehn Taktwechseln pro Minute durch die Botanik schreddern und dabei leicht kaputten Humor an den Tag legen. THE END meinen es ernst. THE END gehen philosophisch zu Werke, textlich wie musikalisch. Das Quintett lieferte schon auf Within Dividia großes Kino ab. Drei Jahre hat es gedauert, und nun baut sich Elementary Ehrfurcht einflößend vor dem Hörer auf wie die Pyramide auf dem Cover.

Man hört sie noch heraus, die ungestümen, wütenden Musiker, die schon für Within Dividia verantwortlich waren. Aber nun sind sie erwachsen geworden. Das fällt sofort auf, wenn die ersten Töne von Dangerous erklingen: Heavy, komplex, höchst anspruchsvoll und vollkommen kontrolliert. THE END haben sich und ihre Songs unter Kontrolle. So, und nur so ist ein Gänsehaut erzeugendes Werk möglich. Elementary sorgt minütlich für neue Adrenalinschübe. Nicht weil die Band extremen Metal darbietet, viel mehr weil sie so geschickt zwischen den Extremen pendelt. Denn statt bloßer Lärmattacken zeigen sich THE END von einer Seite, die sie offensichtlich schon lange zeigen wollten und die ihnen unüberhörbar sehr am Herzen lag. Die ruhige Seite. Die fast popige Seite. Die Seite, die der Band eigentlich am allerbesten steht.

THE END zelebrieren ihre Reife mit ausufernden, sehr melodischen, teils todtraurigen Songs mit einer Hingabe die ihresgleichen sucht. Genau deshalb plätschern die Songs nicht nur dahin, sie werden zu einem intensiven Erlebnis. The Never Ever Aftermath beginnt elegisch, tragisch, aber sehr kräftig, bis es sich zu einem wütenden Finale steigert, das so sehr unter die Haut geht, dass man sich auf Knien wieder findet und die Textfetzen mitschreit. Dabei bleiben THE END immer melodisch und rutschen niemals in eine kitschige oder selbstmitleidige Ecke ab, selbst wenn The Moth and I so dunkel ist, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn dieses Lied so enden würde. Das druckvolle Throwing Stones geht in dieselbe Richtung und das abschließende, neunminütige And Always…, das als Akustiksong beginnt und in einem Finale endet, das kein Happy End zulässt, lassen keinen Zweifel zu: Auch wenn THE END Popsongs geschrieben haben, diese atemberaubende Intensität und die Ehrlichkeit lässt sie härter wirken als so manchen Grindcore-Song.

Doch die wilde Zeit ist noch lange nicht vorbei. Brutal sind Songs wie Awake? und In Distress, die beide grooven wie Hölle und dennoch sehr technisch und intelligent verschiedenste Rhythmen kombinieren, gerne auch mit Blast Beats. MESHUGGAH light zwar, aber mindestens ebenso intensiv. Hier wird nach allen Regeln der Kunst die Wut rausgelassen, es wird geschrieen, es wird verzerrt, es wird gehämmert, aber mit Maß und Ziel. Am besten funktionieren THE END, wenn sie die beiden Extreme miteinander verschmelzen wie in Animals und My Abyss, die mit brutalen Passagen beginnen, um sich dann ins Gegenteil zu verkehren. Die Kraft geht der Band nie aus, selbst wenn sie ruhiger, melodischer und eingängiger wird.

Die größte Entwicklung hat Sänger Aaron Wolf hinter sich gebracht, sein Kreischen wird begleitet von klarem Gesang, selbstbewusst, variabel und ausdrucksstark. Fantastisch wie viel Gefühl der Sänger in seine Vocals legt. Aufrichtiger geht es nicht. Die dargebotenen Gesangslinien haben ohne Übertreibung Weltklasseformat. Ich glaube dennoch nicht, dass meine Mutter dafür empfänglich wäre. Eine kommerzielle Ausrichtung existiert auf Elementary quasi gar nicht, denn diese Qualen, dieser Exorzismus ist nichts für Anhänger seichter Popmusik. THE END leiden und der Hörer leidet mit. THE END bäumen sich auf und werfen Steine, der Hörer tut es ihnen gleich.

Auch in Sachen Produktion ist das dritte Album der Kanadier ein großer Schritt nach vorne, die dreckige, raue und unfreundliche Soundwand von Within Dividia hätte zu der 50minütigen Scheibe rein gar nicht gepasst. Differenziert und dicht ist das, was aus den Boxen kommt, der Schädel wird allein aufgrund des massiven Soundgewandes schon gesprengt. Relapse hat vollmundig verkündigt, Elementary sei eines der besten Alben, die jemals aufgenommen wurden. Das ist vielleicht ein wenig hoch gegriffen, andererseits denke ich über solche Aussagen gar nicht erst nach und genieße viel lieber diese Schallmauer.

Fakt ist, dieses Werk trifft mitten in Hirn und Herz und hinterlässt akute Suchtgefahr. Fans von NEUROSIS, MASTODON, ISIS, BURST und auch COHEED AND CAMBRIA sollen zugreifen und sich nicht wundern, wenn ihre Welt plötzlich ein neues Antlitz enthält. Wie bei einer neuen Liebe, auch wenn diese zugegebenermaßen auch erschreckender Natur sein kann. Um endlich zum Ende zu kommen, Elementary hat alles, was aufregende und gute Musik braucht, auch wenn es den Hörer sehr viel abverlangt. Und unterstreicht alle Facetten des Lebens mit beeindruckender Präzision. Zweifellos, vor mir liegt ein Album, das in zehn Jahren noch immer dieselbe Magie auf mich ausstrahlen wird wie heute.

Veröffentlichungstermin: 9. Februar 2007

Spielzeit: 51:10 Min.

Line-Up:
Aaron Wolf – Vocals
Andrew Hercules – Guitar
Steve Watson – Guitar
Sean Dooley – Bass
Anthony Salajko – Drums

Produziert von Greg Dawson und THE END
Label: Relapse Records

Homepage: http://www.theend-music.com

Tracklist:
1. Dangerous
2. The Never Ever Aftermath
3. Animals
4. The Moth and I
5. Throwing Stones
6. My Abyss
7. Awake?
8. A Fell Wind
9. In Distress
10. And Always…

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