SUN CAGED: Artemisia

Wer guten Prog-Metal mag und nicht mehr warten will, bis ENCHANT ihre ewig dauernde kreative Pause aufgeben, sollten sich "Artemisia" sichern, sofern nicht schon längst geschehen.

Beim Philosophieren über die prima Scheibe von MALPRACTICE stellte sich mir die Frage, welches Prog-Album mir denn letztes Jahr gefallen hat. Da brauch ich nicht lange überlegen, und während die Holländer SUN CAGED bereits im Studio stehen, um ihr drittes Album aufzunehmen, dreht sich bei mir seit Tagen wieder das Zweitwerk Artemisia. Dass die Scheibe bereits ein Jahr auf dem Buckel hat, das tut der Qualität keinen Abbruch.

Wo die seit 1999 bestehende Band, von deren Originalbesetzung allerdings heute nach endlosen Wechseln nur noch Gründer Marcel Coenen an Bord ist, auf dem Debüt noch hauptsächlich um des Frickelns Willen eine Musiker für Musiker-Scheibe abgeliefert hatten, so klingt Artemisia um einiges zugänglicher, zumindest was die ersten Songs angeht. Sehr erwachsen und amerikanisiert muss man immer wieder mal an KANSAS denken. Ebenfalls hat man einen großen Schritt Richtung ENCHANT gemacht, was sehr, aber nicht nur der Gesang von Paul Adrian Villarreal mit sich bringt. Und das kommt ganz und gar nicht schlecht, es verleiht den Songs etwas Entspannendes, und die immer noch vorhandenen technischen Elemente rücken etwas in den Hintergrund. Nein nein, hier gibt es keinen radiotauglichen Prog, der Anspruch und der Wille, diesen zu zeigen, steht immer ganz vorn. Aber durch das Gesamtbild wirken die Songs angenehm, fast eingängig und nie zu aufdringlich.

Trotz aller Qualität gelingt es SUN CAGED zwar nicht immer, Songs zu kreieren, die sich unabwendbar im Ohr festsetzen, wie es zum Beispiel die genannten ENCHANT schaffen. Die Holländer sind aber nahe dran mit tollen, ideenreichen Songs wie A fair trade, Bloodlines oder Painted eyes und haben einige fantastische Refrains und Melodien zu bieten und immer wieder erstklassige Aktionen der Musiker. Im späteren Verlauf von Artemisia kommen auch immer öfter wieder die flippigen Momente durch, es tauchen immer mehr aberwitzige Instrumentalpassagen und verrückte Abfahrten auf, man überrascht mit jazzigen Bassläufen und immer vertrackteren Rhythmen. Dann folgt mal ein klassisches Metal-Riff, Passagen, die fast nach FAITH NO MORE klingen, eindeutige Anleihen bei DREAM THEATER und wilde Momente Richtung MESHUGGAH. Zur Entspannung gibt es auch die bei Proggies mittlerweile unvermeidbare Ballade, Afraid to fly kommt sehr ruhig und nimmt die Spannung vorübergehend angenehm raus aus der Scheibe. Hm, die Luft geht auch dem Album dann immer mehr aus. Das liegt aber weniger an den Songs, die weiterhin überzeugen können. Mehr als eine Stunde davon wird dann doch etwas viel, da hätte man etwas straffen und auf einen dynamischen Spannungsbogen achten sollen. Aber bei 70 Minuten so guter Musik gibt es immer wieder Neues zu entdecken, da kann man kleine Längen durchaus verzeihen.

Wer guten Prog-Metal mag und vor allem Leute, die nicht mehr warten wollen, bis ENCHANT ihre ewig dauernde kreative Pause aufgeben, sollten sich Artemisia sichern, sofern nicht schon längst geschehen. Wer weiß, in welche Richtung dann wieder das neue Album von SUN CAGED geht.

Veröffentlichungstermin: 23.03.2007

Spielzeit: 70:18 Min.

Line-Up:
Paul Adrian Villarreal – Vocals, Acoustic Guitars
Marcel Coenen – Guitars
Roel Vink – Bass
Rene Kroon – Keyboards
Roel Van Helden – Drums, Percussion

Label: Lion Music

Homepage: http://www.suncaged.com

Tracklist:
1. Lyre´s harmony
2. A fair trade
3. Unborn
4. Bloodline
5. Painted eyes
6. Engelbert the inchworm
7. Afraid to fly
8. Dialogue
9. Departing words
10. Doldrums

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