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SEPULTURA: Nation

"Nation" ist ein ebenso vielschichtiges wie modernes Album, das mehr als einmal die Grenze zwischen Thrash und Hardcore einreißt und mit rhythmischen Versatzstücke im Stile von "Roots" ebensowenig geizt wie mit neometallischen Brachial Hip Hop-Varianten und atmosphärischen Klangexperimenten. Doch so manchem Altfan wird "Nation" definitiv ZU modern und ZU vielschichtig sein.

Mitunter fällt es Fans wie Medienöffentlichkeit gleichermaßen schwer, unvoreingenommen an Veröffentlichungen bestimmter Bands heranzugehen, die in der Vergangenheit gleichsam Legendäres geleistet haben. Und, so scheint es, der Zugang fällt umso schwerer, je grundlegender sich gewisse Umstände ändern, denen im Zusammenhang mit solch großen Namen ein hoher Stellenwert bezüglich der weiteren Funktionstüchtigkeit eingeräumt wird. Im Falle SEPULTURA heißt ein solcher Faktor, der für viele offenbar unzertrennlich mit der Zukunft der Band verknüpft ist respektive war, Max Cavalera.

Und als dieser, der gemeinhin als kreativer Kopf SEPULTURAs galt, schließlich seinen langjährigen Weggefährten den Rücken zukehrte und das Projekt SOULFLY ins Leben rief, waren viele geneigt, keinen roten Heller mehr auf die Zukunft der brasilianischen Thrash-Utopisten zu setzen. Und sind es bis heute nicht, zumal “Against”, musikalisches Statement Nr. 1 nach Maxmans Abgang, selbst bei objektivster Betrachtung nicht eben zu den Höhepunkten der Bandgeschichte zählte. Aber: Auch das SOULFLY-Debüt klang noch reichlich unausgegoren, war geprägt von Trennungsschmerz und innerer Zerrissenheit und resultierte in blinder Wut, die sich lautstark, aber zu unartikuliert Luft machte.

SEPULTURA sind alles andere als tot

Der Nachfolger “Primitive” klang, trotz seines Namens, wesentlich reifer und durchdachter. Und auch SEPULTURA haben – so scheint es – endlich die Nachwehen der Trennung überwunden. “Nation” belegt es. Zumindest in meinen Augen/Ohren, die allerdings einem Musikfan gehören, der – das muss ich hinzufügen – die Band zwar seit “Beneath The Remains” schätzen, aber nie SO heiß und innig lieben gelernt hat, dass für ihn der Bruch innerhalb der Band auch ein innerer Bruch mit der Band selbst werden konnte.

Schon der energische Opener “Sepulnation” entwickelt sich rasch zu einem groovenden Ohrwurm, und wenn Derrick Green, der sich mittlerweile voll und ganz in die Band integriert hat, im Refrain voll Inbrunst Zeilen wie “Rise up! Rise up! Resistance will be stopped! Rise up! Rise up! Sepulnation!”, skandiert, mag das zwar anmaßend klingen, aber spricht Bände über den Geist dieses Albums: SEPULTURA sind alles andere als tot und sie haben – ähnlich wie Max Cavalera – Wut und Schmerz in kontrollierte Energie mit gesunder “Leckt uns!”-Attitüde wandeln können.

“Nation” besticht durch seine vielschichtigen Arrangements

Die jeweils einminütigen “Revolt” und “Human Resource” bleiben die einzigen schnellen und geradlinigen Hasstiraden, während der Großteil der Songs sich in verhaltener Geschwindigkeit übt, hinter der indes jederzeit eine brachiale Eruption lauern kann. Die bricht dann umso heftiger über den Hörer herein. Und das, obwohl der stets bedrohlich schwelende Rhythmusteppich an sich Andeutung genug ist! Doch SEPULTURA ist es gelungen, die Spannungsbögen ihrer Songs derart geschickt zu inszenieren, dass sich diese jederzeit den ein oder anderen Überraschungsmoment vorbehalten.

In Anbetracht der Tatsache, dass die einzelnen Elemente dieses Albums fast allesamt schon auf vergangenen Bandwerken zu hören waren, bemerkenswert genug! Und aus eben jener Dynamik und den vielschichtigen Arrangements und Kompositionen gewinnt “Nation” seinen Reiz, selbst wenn einzelne Songs nicht auf Anhieb zünden wollen. Aber selbst die schwächeren Stücke des Albums gewinnen noch mit jedem Hördurchlauf. Neben besagtem Opener, der gegen Ende zu einer hymnischen Klangkulisse inklusive Indio-Gesängen und Tribal-Rhythmus anwächst, gibt es allerdings noch eine beträchtliche Zahl weiterer Höhepunkte, die schon nach einer kurzen Phase des Beschnupperns begeistern.

“Nation” ist ein vielschichtiges wie modernes Album

So zum Beispiel “Border Wars”, eines jener bedrohlich grollenden Ungetüme, die sich in gedrosseltem Tempo, aber fies knurrend auf den Hörer zubewegen, um ihn dann mit einem wütend gebrüllten Refrain unter sich zu begraben. Oder “Vox Populi”, bei dem sich sirrende Gitarrenmuster und mitreißende Percussions zu einem der eingängsten Songs paaren, während in regelmäßigen Abständen natürlich wieder munter drauflosgetobt werden darf. “The Ways of Faith” überzeugt und überrascht mit ruhigen Strophen inklusive psychedelischer Soundeffekte und entwickelt sich so – gemeinsam mit dem eindringlichen “Water” – zu einem der atmosphärisch dichtesten Songs, und “Who Must Die” groovt einfach nur wie Hölle, und das auch noch äußerst abwechslungsreich und mit schön simplem Mitgröhl-Refrain. “Tribe Of A Nation” schließlich deckt in gerade zweieinhalb Minuten die komplette musikalische Bandbreite SEPULTURAs ab.

“Nation” ist, und das zumindest kann und muss man völlig wertfrei konstatieren, ein ebenso vielschichtiges wie modernes Album, das mehr als einmal die Grenze zwischen Thrash und Hardcore einreißt und mit rhythmischen Versatzstücke im Stile von “Roots” ebensowenig geizt wie mit neometallischen Brachial Hip-Hop-Varianten und atmosphärischen Klangexperimenten. Die sogenannte musikalische Weiterentwicklung der Urwald-Rocker kann und will ich nicht mehr weiter nachvollziehen, schrieb ein durchaus geschätzter Kollege des “Heavy, oder was!?”, und umreißt damit das Dilemma SEPULTURAs. So manchem Altfan wird “Nation” definitiv ZU modern und ZU vielschichtig sein. Mir nicht.

Veröffentlichungstermin: 19.03.2001

Spielzeit: 51:36 Min.

Line-Up:

Derrick Green – Vocals
Igor Cavalera – Drums & Percussion
Andreas Kisser – Guitar
Paulo Jr. – Bass

Produziert von Steve Evetts
Label: Roadrunner Records

SEPULTURA “Nation” Tracklist

  1. Sepulnation
  2. Border Wars
  3. Revolt
  4. One Man Army
  5. Vox Populi
  6. The Ways Of Faith
  7. Uma Cura
  8. Who Must Die
  9. Saga
  10. Tribe To A Nation
  11. Politricks
  12. Human Cause
  13. Reject
  14. Water
  15. Valtio
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