SCOTT KELLY AND THE ROAD HOME: The Forgiven Ghost In Me

Über das Herz, direkt in die Stimmbänder und in die Finger. "The Forgiven Ghost In Me" ist schauderhaft schön. Ein teils verstörendes, teils einfach schönes Album.

Wie kaputt er erscheint, dieser SCOTT KELLY. Verlebt, verbraucht, zu dick, müde, traurig, der Zahnarzt sollte mal ran. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Hinter dieser Fassade steckt – die jungen, funkelnden Augen deuten es an – ein leidenschaftlicher Mensch. Einer, der es einfach nicht lassen kann. Der, würde man ihm die Musik wegnehmen, einfach sterben würde. Er würde eingehen, wie eine Zimmerpflanze, die man vergisst zu gießen. Vielleicht ist Scott auch deshalb in den letzten Jahren, da NEUROSIS nur wenig Musik veröffentlicht haben, anderweitig so aktiv. Da wären SHRINEBUILDER einerseits, aber auch seine Solotouren andererseits. Dass seine schweren Hände immer noch im Stande sind, eine Gitarre zu fassen, bewies die schöne TOWNES VAN ZANDTCoverscheibe kürzlich. Dass sein geschundener Geist noch immer zu neuer, eigener Musik fähig ist, zeigt The Forgiven Ghost In Me.

Die Verwandlung des tragischen Helden, hin zu einem nachdenklichen, aber doch irgendwie ausgeglichenem Mann, der schon alles erlebt und vor allem überlebt hat. Ein Typ, den so schnell nichts mehr aus der Bahn werden kann, weil er schon Gott weiß wie oft aus der Bahn geworfen wurde. Von Weisheit zu sprechen wäre zu viel des Guten, aber wenn man The Forgiven Ghost In Me, ein wie schon die Vorgängeralben unglaublich persönliches Album hört, dann ist sie greifbar, die Metamorphose des Geistes. Man will nicht sagen, dass A Spirit Redeemed To The Sun, das Titelstück oder We Burn Through The Night beschwingt sind, aber diese unglaubliche Heaviness durch Reduktion, die SCOTT KELLYs bisherige Soloalben auszeichnete, sie ist nicht mehr mehr in allen Songs zu hören. Stattdessen sind da Lieder, für die TOWNES VAN ZANDT vielleicht gemordet hätte.

SCOTT KELLY, der seine Begleitband THE ROAD HOME weniger als Rhythmusgerüst, denn als Gehilfen für einen tieferen Sound verwendet, schreibt Lieder, die auch funktionieren würden, wenn er ganz alleine wäre. Minimalismus ist es wieder. Dieser Minimalismus. Die Ideen von SCOTT KELLY müssen nicht einmal besonders treffsicher sein. Wenn er Musik schreibt muss es einfach nur minimalistisch sein, damit sich die Musik mit der besonderen Wirkung entfalten kann. Virtuos ist Scott immer noch nicht, durch die Reduktion aber so intensiv, das alles weitere sowieso egal ist. The Forgiven Ghost In Me hat dennoch wunderschöne Songs parat. Gerade, wenn es wie oben erwähnt etwas lichter wird, dann hat SCOTT KELLYs Musik besondere Wirkung.

Steht es doch nicht so schlimm um alles, wenn selbst ein SCOTT KELLY sich versöhnlich zeigt? Es gibt aber noch die andere Seite an dem dritten Soloalbum des NEUROSIS-Musikers. In The Waking Hours, Within It Blood und We Let The Hell Come sind tonnenschwer. Voller Bedeutung, fatalistisch, bitter. Und The Field That Surrounds Me ist wie ein Ausklang in Richtung einer nicht mehr enden wollenden Schwärze. Zum Glück bekommt Scott mit We Burn Through The Night noch Kontrolle über diese tiefe Trauer. Darin allerdings, in dieser Resignation, dass alles einmal vorbei sein wird, dass man vieles nicht mehr ungeschehen machen kann, ist auch die Hoffnung, dass die wirklich wichtigen Dinge weiterhin Bestand haben werden. Die Liebe und Familie natürlich.

Kitschmodus aus. Werden wir wieder nüchtern. SCOTT KELLY AND THE ROAD HOMEs The Forgiven Ghost In Me ist ein teils verstörendes, teils einfach schönes Album gelungen. Es zeigt, wie einfach und doch wie schwierig es sein kann, eine Gitarre und eine Stimme zu einem Ganzen zu vermengen. Alles weitere ist Beiwerk, schön, dass es dabei ist, aber nicht wirklich essentiell. Die wichtigsten Kriterien an The Forgiven Ghost In Me sind freilich SCOTT KELLYs tiefe, warme, manchmal ein wenig schwankende Stimme und seine Gitarrenakkorde. Über das Herz, direkt in die Stimmbänder und in die Finger. Wer The Wake mochte, sollte dessen Nachfolger unter keinen Umständen verpassen. Und wer nach einer etwas sanfteren, weicheren Seite des Musikers sucht, der ist hier sowieso richtig. Wie sollte es anders sein: The Forgiven Ghost In Me ist schauderhaft schön.

Veröffentlichungstermin: 24. August 2012

Spielzeit: 41:28 Min.

Line-Up:
SCOTT KELLY – Vocals, Guitar
THE ROAD HOME – Noah Landis, Greg Dale
Label: My Proud Mountain / Neurot Recordings

Homepage: http://www.weburnthroughthenight.com/

Mehr im Netz: http://www.facebook.com/ScottKelly.official

Tracklist:
1. A Spirit Redeemed To The Sun
2. The Forgiven Ghost In Me
3. In The Waking Hours
4. Within It Blood
5. We Let The Hell Come
6. The Sun Is Dreaming In The Soul
7. The Field That Surrounds Me
8. We Burn Through The Night

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