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SAINT VITUS: Lillie F-65

Sie selbst sind die Messlatte für die A-Note, jeder Doomer wird diese Band begeistert wieder willkommen heißen. Aber es gibt auch Abzüge in der B-Note, sorry!

Okay, okay, okay, ooookeeeeeyyyy würde Bruce Darnell sagen, Herr Bohlen würde theatral den Saal verlassen bei dem Krach, und die Jury-Tusse würde verzückt dreinblicken, so deftige Kerle sind ja viel cooler als die ganzen Pop-Affen. Aber zum Glück sind wir hier nicht bei DSDS (wann hört dieser Mist endlich auf?!? Und warum hab ich mir eine ganze Sendung angesehen? Und warum gehen die Suchanfragen bei uns zurück, wenn DSDS läuft, Ihr schaut das also alle?) Und warum will jeder wissen, was ich von der neuen SAINT VITUS-Scheibe halte, auch wenn er/sie/es sich gar nicht für Doom interessiert? Bin ich der Doom-Guru, oder was? Immerhin, egal ob sich die Leute mit diesem herrlichsten aller Metalgenres auskennen oder sich dafür interessieren, fällt der Begriff, Doom, dann zuerst – und oft einzig – dieser Name: SAINT VITUS sind nun mal die unumstrittenen Götter des Doom, keine Band steht für diesen Stil wie eben diese Amis, vor allem mit Scott WINO Weinrich (THE OBSESSED, SPIRIT CARAVAN, THE HIDDEN HAND, WINO & CONNY OCHS) am Mikro. Wenn so eine Kultband dann 2008 wieder zusammenfindet, wenn auch erst mal für einige Shows, dann kommt Unruhe auf in der ach so trägen Doomgemeinde. Nun denn, mit der Vinylsingle Blessed Night (plus Liveversion vom Oldie Look Behind You) gab es im März ein limitiertes Sammlerstück für die Die Hard-Fans als Appetizer, nun also steht 17 Jahre nach dem letzten Album Die Healing mit Ur-Sänger Scott Reagers endlich das neue Album Lillie F-65 auf der Matte, um der Welt zu zeigen, dass man es immer noch kann. Kann man? Kann man so sagen, oder hat man das Recht, das nicht so pauschal zu sagen, ohne aus der Doomgemeinde verbannt zu werden? Es gibt Alben, die will man echt nicht besprechen, kommt aber nicht drum rum, weil alle erwarten, dass man es macht, shit happens…

Was bitte schön soll man sagen, wenn ein Song wie Let Them Fall ein Album eröffnet. Natürlich wird man sofort an die Wand gedrückt, die Faust geht gen Himmel, gibt es einen Gott, dann heißt er sicher WINO. Ist man nicht dem positiven Wahnsinn nah, wenn The Bleeding Ground aus den Boxen kriecht, um später ordentlich Fahrt aufzunehmen? Kann man einem kauzigen Maryland-Doomer wiederstehen wie dem bereits bekannten Singletrack Blessed Night? Wäre wirklich so viel Doom in meiner Seele, wenn ich nicht beim persönlichen Highlight The Waste Of Time vom ersten Takt an entrückt in leidenschaftliches Doomdancing verfallen würde? Klar fühlt man(n) sich stark und die Faust geht wieder gen Himmel! Oder beim Zombie-Groove von Dependence, wenn er denn mal auftaucht? Nein, als Fan kriege ich hier wirklich alles, was ich liebe und kenne! So liebe ich es, und so kenne ich es! Gleichstand! Denn es gibt hier nicht einen Ton in den wenigen wirklichen Songs, den man nur dezent verändert auf den Bandklassikern mit und ohne Herrn Weinrich nicht findet. Jedes Riff, jeder Groove, jede Gesangsmelodie, man hat sie alle im Schrank stehen. Auch die letzten WINO-freien Alben, Children Of Doom – mit Critus Linderson (COUNT RAVEN, LORD VICAR, TERRAFIRMA) am Mikro – und halt die letzte Scheibe Die Healing werden hier neu aufgerührt. Ich hätte gern einen neuen Song gehört, den finde ich hier nicht. Ist das wichtig? Nöö, ich bin glücklich, DOOM!

Aber, oh je, ich bin raus: wo sind die aberwitzigen Soli von Dave Chandler? Die Riffs sind, was sie sind: SAINT VITUS mit der Garantie, jeden Doomer in Bewegung zu bringen, schön langsam natürlich, aber total entzückt. Spannende oder hier erwartet eher witzige Soli finde ich aber nicht, was da kommt, ist zu wenig, wo ist der Catweazle des Doom, der Gitarrenderwisch des spinnigen Irrsinns? Zum Abschluss mit Withdrawal gibt es dreieinhalb Minuten Gewabber und Gefiepe, vielleicht der Quasititelsong, Lillie F-65 ist ja ein schräges Beruhigungsmittel, mit dem sich Dave Chandler in der Vergangenheit gern mal abgeschossen hat. Wenn ich vergesse, bei der Bandprobepause meinen Danelectro-Worm auszumachen klingt das genauso, aber das will dann auch keiner hören. Auch in den Songs gibt es immer mal Kracheinlagen, die eher aus dem Groove reißen als kauzig oder gar cool zu klingen. Die magischen Momente der Vergangenheit finde ich hier nicht, zumindest nicht bei den Leads oder was sie wohl sein sollen. Dafür finde ich ein paar zarte Töne, wobei das schöne, verträumt hippieske Gezupfe Vertigo wie ein feingeistiger Fremdkörper wirkt, es scheint eher ein Überbleibsel von WINO´s PREMONITION 13 zu sein. Wohl auch der Anfang von Dependence, der eineinhalb Minuten zartes Gezupfe bringt, aber besser ins Gesamtbild passt.

Zieht man hier also das unpassende (aber durchaus schöne!) Vertigo ab, das unnötige Withdrawal als Krachorgie und bei echten Fans, die natürlich Blessed Night schon als Single haben, diesen Song, dann hat man ein neues SAINT VITUS-Album mit 24 Minuten Songs, die eigentlich nur genau das bieten, was die Fans hören wollen. Klar wollen die, genauso ist es ja richtig! Zumindest auf diesem Comeback-Album, das andere Bands als EP herausgebracht hätten. Die gebotenen Songs sind großartig, die Rhythmsection um Ur-Basser Mark Adams und Drummer Henry Vasquez (SOURVEIN, DEBRIS INC., BLOOD OF THE SUN), der 2009 für den damals erkrankten Armando Acosta einstieg (welcher im November 2010 verstarb), bringen jeden Groove auf den Punkt, die allzeit vertrauten bis bekannten Riffs haben eben genau diese erdrückende und beeindruckende Wirkung, die Doom ausmacht, WINO singt halt wie WINO, der Mann ist einzigartig, auch wenn ich ihm immer noch nicht glaube, dass dies hier genau das ist, was er machen möchte. Der Mann hat so viel Musikalität in sich und so viel zu sagen, da wirkt sein Einsatz bei SAINT VITUS immer etwas wie ein Job, den man gut, aber ohne die ganz große Leidenschaft macht. Gut ist zudem auch der druckvolle Sound, der den Oldschool-Doom der Band perfekt ins neue Zeitalter bringt.

Doom hat sich die letzten 10 Jahre wieder zu einer echten, leidenschaftlichen Szene aufgebaut, und auch heute können sich SAINT VITUS ganz nach vorne stellen, das haben sie mit Lillie F-65 klargestellt. Sie selbst sind die Messlatte für die A-Note, jeder Doomer wird diese Band begeistert wieder willkommen heißen. Aber es gibt auch Abzüge in der B-Note, sorry! Gibt es ein weiteres Album, dann wird es Zeit, die Fans auch mal zu überraschen, und vor allem mehr zu bieten als dieses eigentlich großartige, aber viel zu kurze Abenteuer. Solange läuft halt Lillie F-65, und das Genörgele geht unweigerlich wieder über in gepflegtes Doomdancing…

Veröffentlichungstermin: 27.04.2012

Spielzeit: 34:11 Min.

Line-Up:
Scott Wino Weinrich – Vocals
Dave Chandler – Guitar
Mark Adams – Bass
Henry Vasquez – Drums

Label: Season Of Mist

Mehr im Netz: https://www.facebook.com/saintvitusofficial

Tracklist:
1. Let Them Fall
2. The Bleeding Ground
3. Vertigo
4. Blessed Night
5. The Waste of Time
6. Dependence
7. Withdrawal

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