RUNNING WILD: The Brotherhood

„The Brotherhood“ ist auf jeden Fall ein gutes Album, die Zeiten, in denen ein neues Werk aus dem Hause Kasparek aber bei mir in Dauer-Rotation ging, sind vorbei. Und das ist eigentlich nicht gut so…

RUNNING WILD sind sicherlich der Inbegriff für „Heavy Metal aus Deutschland“, denn anders als stilistisch ähnlich gelagerte Bands wie GRAVE DIGGER oder ACCEPT hat Mastermind Rock’n Rolf Kasparek sein Ding immer konsequent und stur mit einer bemerkenswerten Konstanz durchgezogen und dabei kein wirklich schwaches Album veröffentlicht. Das hat ihm nicht immer nur positive Kritik eingebracht, denn wie oft wurde er aufgrund des Piraten-Images (auf das RUNNING WILD weiß Gott nicht nur zu reduzieren sind) belächelt, während Bands wie HAMMERFALL, IMMORTAL oder DIMMU BORGIR mit ihren lustigen Kostümen bzw. geschminkten Gesichtern wie Superstars hofiert und behandelt wurden. Ich selbst bin seit 1984 und dem „Gates to Purgatory“-Debüt fanatischer RUNNING WILD-Fan und bin ehrlich, wenn ich sage, dass ich so manche Personalentscheidung Rolf’s nicht nachvollziehen konnte.

Vier Gitarristen (Preacher, Majk Moti, Axel Kohlmorgen, Thilo Hermann), sieben Trommler (Hasche, Stefan Schwarzmann, Iain Finlay, AC, Jörg Michael, Studio-Drummer Angelo Sasso und Tour-Drummer Chris Efthimiadis) und drei Bassisten (Stephan Boris, Jens Becker, Bodo Smuszynski) standen bisher mehr oder weniger lang an Rolf’s Seite. Man könnte aber auch behaupten, dass die meisten Entscheidungen Rolf’s richtig waren, denn kaum einer der Gefeuerten hat nach seinem Ausstieg/Rausschmiss noch einmal nennenswert von sich hören lassen. So ist Rolf sicherlich als kleiner Diktator zu bezeichnen, was aber erstens sein gutes Recht als Bandgründer ist und zweitens auch von Leuten wie Steve Harris, Tom Angelripper, Mat Sinner, Joey DeMaio oder Blackie Lawless praktiziert wird, ohne dass sich jemand ernsthaft darüber aufregt.

Auch im Vorfeld zur neuen Scheibe scheint’s mehr oder weniger im Gebälk gekracht zu haben, denn Gitarrist Thilo Hermann verließ die „Band“ aus freien Stücken nach drei gemeinsamen Scheiben und Basser Bodo Smuszynski wurde nach vier Alben gefeuert. Doch wie immer haben sich die Line-up-Veränderungen nicht negativ auf das Songwriting ausgewirkt.

Bei RUNNING WILD-Alben weiß der Fan, was er bekommt. Straighte, druckvolle und schnörkellose Songs, keine Balladen, keine pseudo-progressiven Elemente, hymnenhafte Refrains und während einige Bands auf einmal meinen, die härteste, böseste und gefährlichste Combo des Universums zu sein, geht sowas meilenweit am Arsch von Herrn Kasparek vorbei, der sich solchen Härteanfällen genauso verweigert wie der Zuhilfenahme von Synthies und ähnlichem.

Das neue Album (10 Songs, 55:17 Min.) wurde komplett von Rolf geschrieben und produziert, wobei er am Bass von einem gewissen Peter Pichl unterstützt wurde, während die Drums wieder von Angelo Sasso eingespielt wurden, zu dem ich folgendes sagen möchte. War ich nach der „Victory“-Veröffentlichung noch etwas skeptisch, ob Angelo Sasso tatsächlich ein enger Verwandter von THE SISTER OF MERCY-Drummer Doktor Avalance ist, glaube ich mittlerweile auch, dass es sich hier um einen Drumcomputer handelt. So steril und emotionslos kann kein Mensch spielen. Warum gibt’s keine Fotos? Warum spielt er keine Konzerte? Warum wurde für die nächste Tour ein gewisser Matthias Liebetruth verpflichtet? Warum gibt’s – egal welche Suchmaschine man benutzt – im „World Wide Web“ keine Infos über einen Angelo Sasso? Ich weiß nicht, warum Rolf so ein Geheimnis daraus macht, dass er einen Drumcomputer benutzt, womit ich viel weniger ein Problem habe, als damit, dass Rolf mir persönlich und mehrmals ins Gesicht gesagt hat, dass es sich bei Herrn Sasso um einen Menschen aus Fleisch und Blut handelt. Ich, der nur zwei Fan-Ohren hat, hab’ auch mit einem Bekannten gesprochen, der des öfteren mal in einem Studio arbeitet. Auch er sprach „ganz klar und eindeutig“ von einem Drumcomputer oder zumindest davon, dass ein Schlagzeuger aus Fleisch und Blut seine Parts auf einem elektronischen Drum-Kit und/oder Drum-Pads eingespielt hat. Sollte Rolf (mich) also wirklich angelogen haben, wäre ich von Ihm persönlich sehr, sehr enttäuscht, zumal ich an ihm seine Ehrlichkeit sehr geschätzt habe. Der Schlagzeugsound ist auch einer der wenigen Schwachpunkte der Scheibe, denn so einen synthetischen, sterilen und toten Sound fand ich schon bei den Popbands der Achtziger Jahre scheiße und hört man heute höchstens noch bei Bands wie den Flippers.

Auch das Coverartwork gehört sicherlich nicht zu den Sternstunden des Rolf Kasparek, ich halte es sogar für das schlechteste Artwork, das eine RUNNING WILD-Scheibe bisher zierte.

Doch genug gemeckert. „The Brotherhood“ markiert sozusagen das 20-jährige Jubiläum der Band, denn das erste Lebenszeichen von RUNNING WILD gab’s im Jahre 1982 mit zwei Songs („Hallow the Hell“, „War Child“) auf einem Sampler namens „Debüt No 1“ vom Label „Raubbau Produktion“ und eigentlich kann/braucht man nicht viel anderes erzählen, als dass Studioalbum Nummer Zwölf als „typisch RUNNING WILD“ zu bezeichnen ist. Einerseits könnte man sagen „und das ist auch gut so“, aber andererseits hab’ ich mich dabei erwischt, dass ich dachte „Kenn ich schon“, „Gab’s bereits“ oder „Hmm, hab’ ich auch schon mal gehört“. Generell kann man sagen, dass „The Brotherhood“ weniger schnell (z.B. im Vergleich zur „Masquerade“ geworden ist) ist, auch wenn der Opener „Welcome to Hell“ schon recht flott aus den Boxen galoppiert. Die meisten Songs sind nicht nur eindeutig im groovigen Mid-Tempo gehalten, sondern auch textlich und musikalisch wirklich Klasse – egal, ob der Song jetzt „Soulstrippers“, „The Brotherhood“, „Pirate Song“, „Unation“ oder „Dr.Horror“ heißt. In der Länge überraschend ist sicher auch das „Siberian Winter“-Instrumental, das trotz seiner sechseinhalb-minütigen Laufzeit nicht langweilig wird und überzeugen kann. Sehr zu gefallen weiß auch das über zehn Minuten dauernde „The Ghost“ (mein Sohn nannte diesen Song „Schlangenbeschwörermusik“), das sich mit der historischen Figur Lawrence von Arabien beschäftigt, dem unehelichen Sohn eines britischen Adligen, der es zum ungekrönten König von Arabien brachte. Er war Archäologe, der zum Anführer des arabischen Aufstandes und schließlich zum Kriegsheld wurde, aber wieder einfacher Soldat sein wollte, um dem Mythos um seine Person zu entfliehen. Leider haben sich mit „Detonator“ und „Crossfire“ auch zwei durchschnittliche (aber nicht schlechte) Songs eingeschlichen, die den eigentlich positiven Eindruck aber nicht schmälern. „The Brotherhood“ ist auf jeden Fall ein gutes Album, die Zeiten, in denen ein neues Werk aus dem Hause Kasparek aber bei mir in Dauer-Rotation ging, sind vorbei. Und das ist eigentlich nicht gut so…

Spielzeit: 55:17 Min Min.

Line-Up:
Rock’n Rolf (all Vocals, all Guitars), Peter Pichl (all Basses), Angelo Sasso (all Drums)

Produziert von Rock’n Rolf

Homepage: http://www.runningwild.de

Tracklist:
1. Welcome to Hell

2. Soulstripper

3. The Brotherhood

4. Powerride

5. Siberian Winter

6. Detonator

7. Pirate Song

8. Unation

9. Dr. Horror

10. The Ghost

11. Crossfire *

12. Faceless *

(* appears only on the limited edition)

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