PEARL JAM: Riot Act

Die letzten Überlebenden der Grunge/Alternative-Bewegung haben auf ihrem aktuellen Album eine deutlich niedrigere Ausfallquote, als ich das eigentlich erwartet hatte…

Die letzten Überlebenden der Grunge/Alternative-Bewegung heissen wohl PEARL JAM. ALICE IN CHAINS und NIRVANA gibt es nach dem Ableben ihrer Frontmänner (Layne Stayley bzw. Kurt Cobain) nicht mehr. SOUNDGARDEN haben sich vor langer Zeit aufgelöst und die STONE TEMPLE PILOTS dürften nur darauf warten, dass Sänger Scott Weiland das gleiche traurige Ende nimmt, wie Kollege Stayley. Insofern sind die Mannen um Sänger Eddie Vedder echte Gewinner. Doch auch Gewinner können Verlierer sein. Der Grund, warum ich die Seattle-Heroen als solche bezeichne, hat einen Namen. Dieser lautet „Ten“ und ist der Titel des 1991 veröffentlichten Erstlings der Band. Sicher, 95% aller Musiker auf diesem Erdball würden ihre Seele, ihre Frau oder ihren Schwanz verkaufen um nur einmal ein Album wie dieses aufzunehmen. Kein einziger Schwachpunkt ist auf diesem Meilenstein auszumachen und für mich gehören Tracks wie „Once”, “Even flow”, “Alive”, „Jeremy“ – ach, einfach alle – zu den besten Rocksongs, die in den letzten zwanzig Jahren veröffentlicht wurden. Tja, und an diesem Album (das sich alleine in den USA mehr als zehn Millionen Mal verkaufte) müssen sich die Musiker auch elf Jahre nach dem Release messen lassen, was zugegebenermassen sehr unfair ist, da „Ten“ ein „100%-Album“ ist – und mehr als 100% geht nun mal nicht. Es war also klar, dass Werke wie z.B. „Yield“ (1998), „Vs.“ (1993) oder „Binaural“ (2000) einfach schwächer sein MUSSTEN. Doch selbst wenn man sich ohne das „Ten“-Album im Hinterkopf mit einem aktuellen Werk der Band befasste, machte es einem die Band nie leicht. War ein Song (egal auf welchem Alben auch immer) von echter „Ten“-Qualität, hätte es der nächste nicht mal auf einen B-Seiten-Sampler irgendwelcher PEARL JAM-Klone schaffen dürfen. Und so ging es wirklich auf jedem einzelnen Album. Es gab Licht und Schatten. Hell und Dunkel. Schwarz und Weiss. Scheisse und Gold. Und so unterschiedlich war auch meine Meinung über die Band. Ich war nie der weltgrösste PEARL JAM-Anhänger (auch wenn ich den Gig auf dem 92er Roskilde-Festival immer noch in guter Erinnerung habe), fand diverse Aktionen der Band aber immer lobenswert (z.B. die „Kriegserklärung“ an den Konzertkarten-Monopolisten „Ticketmaster“ und dessen völlig überzogenen Eintrittspreise. Oder die Veröffentlichung von preisgünstigen Soundboard-Aufnahmen ALLER Europa- und Amerika-Konzerte der 2000er Tour, was bedeutete, dass 72 (!!) CDs den Weg in die Läden fanden. Der Roskilde-Auftritt, bei dem neun Menschen zu Tode getrampelt wurden, fehlte allerdings aus nachvollziehbaren Gründen. Nichtsdestotrotz ein dicker ausgestreckter Mittelfinger an alle Bootlegger), wollte aber am liebsten Kotzen, wenn Mulit-Millionär Vedder sein „Ich-will-kein-Rockstar-sein“-Geheule anstimmte. Und das tat er in der Anfangsphase der Karriere recht häufig. Zu häufig für mich. Auch die Qualität der Songs auf „Riot Act“ (Studioalbum Nummer Sieben) – gleicht einer Berg- und Talfahrt mit den höchsten Höhen und tiefsten Tiefen. Wie immer seit dem zweiten Album arbeitete die Band mit Brendan O’Brien zusammen, der das Album zwar wieder nicht produzierte (was er früher tat), aber dafür abmischte. War es noch so, dass „Binaural“ mehr wie eine Zusammenstellung von Stücken eines jeweiligen Bandmitgliedes wirkte, weil neun der dreizehn Songs von einem Musiker alleine in seinem stillen Kämmerlein verfasst wurden, war auf „Riot Act“ offensichtlich mehr Teamwork angesagt gewesen, auch wenn es hier wieder den einen oder anderen Alleingang – meistens von Eddie Vedder – gab. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, dass mal ALLE Musiker (sogar Gitarrist Mike McCready, der sonst eher sporadisch mit dem Songwriting zu tun hatte, auch wenn er auf „Yield“ für die Musik dreier Songs alleinverantwortlich war) einen Song ZUSAMMEN schrieben, was hier bei „Save you“ der Fall ist. Ansonsten gibt es Lieder von fast allen erdenklichen Kombinationen (Gossard/Vedder, Vedder/Ament/, Cameron/Ament oder Vedder/Cameron – ich vermisse eigentlich nur das Duo Ament/Gossard, das seit den „Ten“-Songs „Garden“ und „Deep“ keinen Song mehr ZUSAMMEN geschrieben hat). Doch kommen wir nun endlich zu den Songs, von denen mir ein paar sehr gut und die meisten gut gefallen. Da hätten wir z.B. “Thumbing my way” (eine sehr sparsam instrumentierte Eddie Vedder-Ballade im Bruce Springsteen-Stil). Gegen diese Übertrack zieht die ganz bestimmt nicht schlechte Gossard-Ballade „All or None“ klar den kürzeren. Sehr merkwürdig, aber trotzdem schön finde ich das an Indianergesänge erinnernde – leider sehr kurze – “Arc“ (Oliver Shanti lässt grüssen…). Auch das rockig-wütende Gemeinschaftsprodukt (s.o.) „Save us“ (mit Textzeilen wie Fuck me if I say something you don´t want to hear from me” oder “Fuck me if you only hear what you want to hear from me) überzeugt mich auf ganzer Linie und könnte fast schon als Pearl Jam-Punk bezeichnet werden. „Cropduster“ (ebenfalls rockig) kann mich auch überzeugen, ist aber nicht so gut, wie „Ghost“ (ein hymnenhafter Ament-Rocker mit Ohrwurm-Charakter und herausragendender Gitarrenarbeit) – übrigens mein Albumfavorit. Auch durch das energische Power-Stück „Get Right“ und das kurze (2:41 Min.) „Green Disease“ kann die Band ebenfalls Pluspunkte sammeln. Doch das war es schon mit den positiven Aspekten (recht viele im Vergleich zu den vorherigen Scheiben), kommen wir nun zu den weniger guten Momenten von „Riot Act“. Während ich „Love Boat Captain“ immerhin noch in die „Guter Durchschnitt“-Kategorie einordnen würde, finde ich den sperrig-unzugänglichen Opener „Can’t keep“, „You are“ (trotz einiger interessanter Soundeffekte…), das einfach nur nervige „Help Help“ von Jeff Ament oder das von Ed Vedder gesprochene/genölt-gebrummte „Bushleaguer“ (dank Textzeilen wie He´s not a leader, he´s a Texas leaguer. Drilling for fear makes the job simple werden PJ bei den texanischen Radiosendern sicherlich nicht in die Dauerrotation gehen…) einfach nur schwach und ideen- und lieblos. Diese Songs hätte man entweder weglassen oder noch ein bisschen in der Schublade reifen lassen sollen. Doch ich will nicht meckern, auch wenn „Riot Act“ erwartungsgemäss nicht gegen „Ten“ anstinken kann. Es ist definitiv eines der besseren Alben von PEARL JAM mit einer deutlich niedrigeren Ausfallquote, als ich das eigentlich erwartet hatte…

Spielzeit: 54:17 Min.

Line-Up:
Jeff Ament (B)

Stone Gossard (G)

Mike McCready (G)

Eddie Vedder (V)

Matt Cameron (D)

Produziert von Adam Kasper & PJ
Label: Epic/Sony

Homepage: http://www.pearljam.com

Tracklist:
1. Can´t keep

2. Save you

3. Love boat captain

4. Cropduster

5. Ghost

6. I am mine

7. Thumbing my way

8. You are

9. Get right

10. Green disease

11. Help help

12. Bushleaguer

13. 1/2 full

14. Arc

15. All or none

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