MASTODON: Leviathan

MASTODON retten den Rock.

Das Ungetüm der See, Leviathan , den Gott von allen Wesen. Des Wassers als Riesigste erschaffen. So steht es in Das verlorene Paradies. Der große Leviathan, der besessene Kapitän Ahab und dessen Jagd nach diesem Ungeheuer genannt Moby Dick, wer kennt diese atemberaubende Geschichte nicht? Geschrieben von Herman Melville im 19ten Jahrhundert, fasziniert sie immer noch alle Leseratten dieser Erde. Einer dieser Leseratten ist MASTODON-Drummer Brann Dailor, der die Idee hatte ein Konzeptalbum über Moby Dick zu schreiben. Auf den ersten Blick hört sich dies vielleicht eher lustig an, doch euch wird das Lachen im Halse stecken bleiben, ein spannenderes und gewaltigeres Album gab es mit Ausnahme von The Eye of Every Storm lange, wirklich sehr lange nicht zu hören.

Das zweite Album der noch recht jungen Band aus Atlanta ist mehr als nur ein simples Hörerlebnis geworden, dieses Album reißt einen mit, wie ein Sturm auf hoher See und wenn man nicht aufpasst verliert man sich in den Wellen, die um es herum aufgebaut sind. Nein, Leviathan hört ihr euch lieber nicht nebenbei an, das wäre eine Beleidigung für die Band und für euch selbst. Ebenso wie der Roman ist auch die Musik unwahrscheinlich facettenreich: Von den verschiedensten Metalgenres über Rock und Hardcore ist alles dabei, was ihr nur wollt. Daraus wird kein undurchschaubarer Crossover sondern ganz einfach MASTODON. So ureigen, ehrlich und selbstverständlich klingt nur diese Band, es ist wirklich mehr als verwunderlich, dass sie erst vor vier Jahren zum ersten Mal geprobt hat. Zweifellos, es sind erfahrene Musiker am Werk, doch um so ein Album zu erschaffen braucht es mehr als nur musikalisches Können, es braucht Visionen und Konsequenz in erhöhter Dosis. MASTODON haben dies.

Im Gegensatz zu dem genialem Debütalbum Remission und der Lifesblood-EP haben MASTODON es noch mehr geschafft ihre Stärke als Songwriter auszubauen, denn Leviathan ist stilistisch noch breiter gefächtert, klingt aber gleichzeitig noch homogener. Sicherlich trägt die lyrische Vorlage Mitschuld daran, die jeweiligen Stimmungen der Texte müssen eben eingefangen werden. Dadurch steht das geheimnisvolle und düstere Seabeast, das so intensiv ist, dass man Moby Dick wirklich vorbeischwimmen sieht, in trauter Eintracht neben dem brutalem und verschachtelten Island. Noch wilder wird es mit Megalodon, das relativ dezent und ruhig beginnt, nach einem Break mit Country-Gitarren jedoch in eine METALLICA-mäßige Speed Metal-Richtung abdriftet. Mit seinen fast 14 Minuten ist das progressive Epos Hearts Alive, das die Stimmung wechselt wie ein Chamäleon seine Farbe am undurchdringlichsten. Großes Kino, doch gleichzeitig der einzige Song, der leicht zerfahren wirkt.

Dafür gibt es große Gänsehautmomente in Iron Tusk, zu dem man sich vorstellen kann, wie ein betrunkener, bärtiger aber trotzdem erhabener Seeman Geschichten erzählt, das ist eine tolle Leistung von Sänger Troy Sanders. Naked Burn reißt von Anfang an mit, ist eine Leidenschaftliche Nummer, die von dem cleanen, an Ozzy Osbourne erinnernden Gesang von Brent Hinds lebt und bei dem man sich richtig vorstellen kann, wie ein Matrose nachts an Deck steht, seine Liebste vermisst aber gleichzeitig hofft, noch viel von der Welt zu sehen. Das beeindruckendste und wahnsinnigste Stück auf Leviathan trägt den verdienten Titel Aqua Dementia. Ein wildes und unkontrolliertes Meisterwerk, das nicht mal vor Black Metal-Gekreische halt macht und zusätzlich mit der unvergleichlichen Stimme von NEUROSIS-Sänger Scott Kelly veredelt wurde. Unfassbar intensiv und atemberaubend spannend.

Man muss es hören, um es zu glauben. Aber ihr werdet nicht enttäuscht sein, sofern ihr keine Scheuklappen besitzt. Leviathan ist ein kreativ überschäumendes Meisterwerk einer der wichtigsten Bands der Neuzeit. Nicht nur, dass MASTODON talentierte Songwriter sind, auch an ihren Instrumenten macht ihnen so schnell keiner was vor. Gerade Drummer Brann Dailor hat einen ureigenen Stil, bei dem er mit vielen Zwischenspielen auf der Snare die Takte sehr krumm betont, aber dennoch immer im Timing ist. Originell sind auch die Riffs, die mal noisig, mal rockig Moderne mit Rock aus den Siebzigern und Achtzigern verbinden. Ebenso die abwechslungsreichen Vocals von Troy Sanders und Bill Kelliher, die voller Inbrunst das schwierige Thema dabieten. Die Arbeit von Produzent Matt Bayles ist auch wiederum hervorragend, ein bodenständiger und rauher, aber dennoch druckvoller und klarer Sound veredelt das wunderbare Album. Das letzte I-Tüpfelchen ist das fantastische Artwork von Paul Romano, das die Gewalt und Kraft der Musik schon andeutet. Alles in allem ist Leviathan ein Album, das nach dem fünfzehnten Durchgang noch genauso mitreißt und Gänsehaut erzeugt wie beim ersten Mal und in dem man immer neue Details und Feinheiten entdeckt.

Dem Quartett ist das geglückt, was ich erhofft aber nicht für möglich gehalten habe: Den grandiosen Vorgänger zu toppen und einen der besten Romane der Erde würdig zu vertonen. MASTODON zeigen, dass sie eine Band sind, die nicht belächelt werden darf, denn sie schaffen es die Qualitäten der alten Rock und Metalbands ins 21ste Jahrhundert zu befördern. Respektiert dieses emotionale, intensive, spannende und gehaltvolle Album, alles andere wäre Frevel. MASTODON retten den Rock.

Veröffentlichungstermin: 13. September 2004

Spielzeit: 45:58 Min.

Line-Up:
Troy Sanders – Vocals, Bass

Brent Hinds – Vocals, Guitar

Bill Kelliher – Guitar

Brann Dailor – Drums

Produziert von Matt Bayles
Label: Relapse Records

Homepage: http://www.mastodonrocks.com

Tracklist:
1. Blood and Thunder

2. I am Ahab

3. Seabeast

4. Island

5. Iron Tusk

6. Megalodon

7. Naked Burn

8. Aqua Dementia

9. Hearts Alive

10. Joseph Merrick

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