HIDDEN TIMBRE: Leave [Eigenproduktion]

Hätte ich eine Plattenfirma, HIDDEN TIMBRE wären das erste Pferdchen, auf das ich setzen würde.

Wie viel braucht es eigentlich, um ein Album gelungen zu nennen? Manchmal reicht mir dazu schon ein fantastischer Part aus, eine fesselnde Stimme, inspirierende Texte oder das Mark erschütternde Rhythmusinstrumente. Hat dieses eine Element mich angefixt, kann der zur Musik gehörige Rest manchmal sogar richtiger Schrott sein, die CD wird trotzdem rauf und runter gehört, bis ultimo oder unfreiwillige Dauer-Mithörer nach etwas zum Werfen oder die Sicherung suchen.

In meinem Urteil über diese Platte wäre ich ständig auf der Hut, nicht zu euphorisch zu sein, zumindest nicht so sehr, dass ich die missfallenden Teile der Musik unter den Tisch fallen lasse. Manchmal verschieben sich ja auch die von verschiedenen Leute gesammelten Eindrücke so sehr, dass man gut damit fährt, sich diplomatisch genug über eine störende, unfertige Gitarrenmelodie oder nervig-monotones Drauflosgetrommel auszudrücken. Irgendeiner findet sich meist, dessen Hass man sich damit zuzieht und sei es nur der betreffende Gitarrist bzw. Drummer.

Bei HIDDEN TIMBRE und deren straightem, leicht progressiven Rock mit fesselndem, weiblichen Gesang hingegen kann ich mich völlig gehen lassen, es gibt so viele Ansätze, Lobeshymnen anzustimmen, dass ich nicht so recht weiß, wo ich anfangen soll. Und daran wird, da bin ich mir sicher, keiner der die Band kennt etwas auszusetzen haben.

Schön, dass es mal wieder eine eigenproduzierte Platte ist, die dieses „endlich noch mal gute Rockmusik“-Gefühl auslöst, schön, wieder einmal zu sehen, welche Schätzchen im deutschen Underground zu finden sind.

Die Artrocker aus Dresden haben auf ihre 2005-er Demo vier ausgereifte Songs gepresst und präsentieren sich dabei auf einem Level, bei dem sich die Frage stellt, warum aus „Leave“ kein komplettes Album geworden ist.

Die Lieder weisen jeweils eine Spieldauer von rund 6-7 Minuten vor, weshalb die Scheibe trotz Maxi-großer Tracklist als EP durchgeht.

Für die labelfrei produzierten Aufnahmen ließen sich die Fünf von zwei Profis unter die Arme greifen, Kalle Wagner und Yogi Lang (Gitarrist/Sänger bei RPWL) halfen – wohl nicht nur in der Produktion – mit.

Vielleicht auch dank dieser Unterstützung ist aus „Leave“ ein mehr als hörenswertes Stückchen Musik geworden, das den Hörer vom ersten Griff in die Saiten bei „I hate myself“ bis zum finalen chaotischen Ausschrammeln/Ausquietschen von „Upon my life“ packt und so schnell nicht mehr loslässt.

Ob schwerlastige, symphonische Streicherklänge zur Akustikgitarre oder harte Riffs, die durch lockerflockige Drums gleichzeitig gedoppelt und negiert wirken, das Gerüst um Anja Bräutigams Gesang steht jederzeit stabil. Zum Glück, denn ansonsten würde ihre Stimme alles sie umgebende einfach wegblasen. Diese Frau hat eine ähnliche Präsenz wie die (zur Zeit leider auf merkwürdigen Solopfaden wandelnde) Kollegin von NO DOUBT, ohne dabei ähnlich aggressiv zu wirken. Ihre Stimme fügt sich nahtlos in den Sound ein, bereichert die auch alleinstehend sehr gelungenen Instrumentalparts, besteht nicht nur neben den tiefen, sumpfigen Melodien des Siebensaiters sondern auch gegen jede technische Frickelarbeit, die ihre Band immer wieder mal und sehr stimmungsvoll bringt.

Wer Gefallen am Erstling von MELISSA AUF DER MAUR fand, wer auf vielschichtige Erwachsenenmusik der gehobenen Klasse steht, wird HIDDEN TIMBRE in sein Herz schließen und sich „Leave“ als Appetizer auf das kommende Album gönnen, an dessen Entstehung die Band gerade arbeitet.

Veröffentlichung: 2005

Spielzeit: 26:59 Min.

Line-Up:
Anja Bräutigam – vocals

Andreas Kaiser – guitar, backvocals

Clemens Prescher – guitar

Mirko Schmidt – bass

Danny Schmidt – drums

Produziert von HIDDEN TIMBRE & Kalle Wagner

Homepage: http://www.hiddentimbre.com

Email: kontakt@hiddentimbre.com

Tracklist:
1. I hate myself

2. Can you hear it

3. Leave behind

4. Upon my life

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