HORSE THE BAND: R. Borlax

Nintendocore. Wenn für ein Album aus dem Nichts ein neues Subgenre aus der Taufe gehoben wird, dann muss die schaffende Band irgendetwas richtig gemacht haben. Der Kult, den HORSE THE BAND mit ihrem Zweitwerk "R. Borlax" einst lostraten, war damals noch nicht abzusehen, auch wenn er rückblickend betrachtet nicht überrascht.

Nintendocore. Wenn für ein Album aus dem Nichts ein neues Subgenre aus der Taufe gehoben wird, dann muss die schaffende Band irgendetwas richtig gemacht haben. Der Kult, den HORSE THE BAND mit ihrem Zweitwerk “R. Borlax” einst lostraten, war damals noch nicht abzusehen, auch wenn er rückblickend betrachtet nicht überrascht. Das geht genau genommen beim Bandnamen los, setzt sich beim anarchischen Artwork von Nick Butcher fort und endet beim lyrischen Konzept samt seiner musikalischen Umsetzung.

Doch warum Nintendocore? Diese Genrebezeichnung, welche die Band im Übrigen selbst mit zu verantworten hat, nun aber meidet, hat ihren Ursprung in zwei charakteristischen Trademarks der Amerikaner. Zum einen wären da die Samples und Synthesizer von Erik Engstrom, deren 8-Bit-Charme so stilweisend ist, dass sie schnell zum Rückgrat des sonst chaotischen bis ausgeklügelten Progressive Hardcore avancierten. Schon früh übernahmen die Synthesizer melodieführende Aufgaben zwischen geplantem 8-Bit-Overkill und klar ausformulierten Soundbögen. Auf der anderen Seite haben wir die metaphorischen Texte Nathan Winnekes, die in einigen Fällen Bezug zu nostalgischen Charakteren der Videospielwelt nehmen.

HORSE THE BAND-Sänger Nathan Winneke lässt sich von Regisseur David Lynch inspirieren

Doch kratzt diese Beobachtung nur an der Oberfläche. Winneke, der seine lyrischen Konzepte in Anlehnung an Regie-Unikat David Lynch (“Mulholland Drive”, “Lost Highway”, “Twin Peaks”) als “lynchesk” bezeichnet, arbeitet mit bildhafter Sprache und lebendiger Symbolik. Das scheinbar Offensichtliche ist nur Fassade für tiefgehende bis allerweltliche Problematiken. Der von Samples des kultig-trashigen Nintendo-Films “The Wizard” eingerahmte Bandhit “Cutsman” erzählt vielleicht vom scherenbewehrten Roboter “Cut Man” aus der “Mega Man”-Reihe. Auf einer zweiten Ebene ist das Stück jedoch zugleich Parabel auf einen Spielkameraden aus Winnekes Kindheit.

Die Farbsymbolik mit lila und gold durchzieht das Schaffen HORSE THE BANDs bis heute und repräsentiert fleischliche Lust, und das an “The Legend Of Zelda” anspielende “Pol’s Voice” ist schließlich eine Auseinandersetzung mit der eigenen ungeliebten Stimmfarbe. Lynchesk mag ein Mode- und Unwort geworden sein, doch nie war es passender, als auf HORSE THE BAND bezogen.

Wo wir gerade “Pol’s Voice” erwähnten: Ein guter Sänger war Nathan Winneke noch nie – und das ist auf “R. Borlax” auch zu hören. Warum die Clean-Vocals trotzdem funktionieren, ist einzig und allein auf die unbedarfte Ehrlichkeit sowie Leidenschaft zurückzuführen, die in der gesanglichen Performance des Albums steckt. In seiner Darbietung offenbart uns der Frontmann sein Innerstes – geschickt verpackt vielleicht, doch nichtsdestotrotz enthüllend. Die Folge ist eine Intensität, welche die dünne, wenig melodische Singstimme wettmacht, zumal die Band bei den zuweilen hysterischen Screams keine Kompromisse eingeht.

“R.Borlax” bedient Retrocharme, Humor und den Wunsch nach Stressabbau zu gleichen Teilen

Doch das Geheimnis von HORSE THE BAND ist ein anderes. Obwohl ein Blick unter die Oberfläche einen Tiefgang enthüllt, den man so nicht erwartet hätte, ist das Quintett auf diesen gar nicht angewiesen. Tatsächlich dreht es sich für die meisten Fans einzig und allein um den musikalischen Aspekt, der zwischen flächigen wie catchy Synthesizern und ungezügelten Wutausbrüchen einen Nerv trifft, der Retrocharme, Humor und den Wunsch nach Stressabbau gleichermaßen bedient.

Mit Ohrwürmern wie dem modernen Evergreen “Cutsman”, das treibende Keyboards im besten Stil alter GameBoy-Bossbattles mit einem gewaltigen Moshpart vereint, und dem unkaputtbaren “Bunnies” treffen die Jungs ins Schwarze, bleiben aber dennoch unberechenbar. Gerade die hysterischen, ausgeflippten Screams stellen den Hörer im progressiven “Purple” und dem ansonsten zugänglichen “In The Wake Of The Bunt” auf eine Geduldsprobe – “R. Borlax” ist eben doch kein Easy-Listening.

Die Balance verlieren HORSE THE BAND indes nicht aus den Augen. “Seven Tentacles And Eight Flames” und “Pol’s Voice” treffen den richtigen Ton, ohne Hard- / Metalcore beziehungsweise Keyboardfundament Überhand gewinnen zu lassen. Überhaupt ist auch die instrumentale Seite des Albums hervorzuheben. Gerade Gitarre und Bass bilden eine solide Basis, bieten den dominant auftretenden Synthies unermüdlich Paroli. HORSE THE BAND reiten ja auch nicht die Retrowelle, ihre Musik ist mehr als das, ist auf einem anderen Level.

HORSE THE BAND sind ein Phänomen

Selbstverständlich ist “R. Borlax” anzumerken, dass es erst das zweite Full-Length Album der fünf Amerikaner ist. Insbesondere der Nachfolger “The Mechanical Hand” sowie “Desperate Living” zeigen HORSE THE BAND im Songwriting deutlich gereift. Die wenigen strukturlosen, anarchischen Momente, die in den erwähnten “In The Wake Of The Bunt” und “Purple” zu finden sind, fungieren eben als ein Beleg dafür, dass alles Große seine Zeit braucht.

HORSE THE BAND sind dennoch ein Phänomen. Nicht weil sie aus eigener Tasche eine Welttournee finanziert haben (ein neuer Ableger ist in Arbeit), und auch nicht, weil sie sich abseits des Radars eine beachtliche und treue Fangemeinde aufgebaut haben. Nein, HORSE THE BAND sind deshalb so besonders, da sie stets nach ihrem eigenen Kopf handeln, daraus ein komplexes, wirres, chaotisches und hyperaktives Werk wie “R. Borlax” formen und es dank ihrer Unbedarftheit trotzdem zu einem packenden wie zugänglichen Unikat destillieren.

Fakt ist, ohne HORSE THE BAND wäre die Musikwelt um sehr viele Farben ärmer – nicht nur lila und gold. Ob es nun die unverkrampften Keyboards sind, die tollwütigen Gitarren oder die pure Unberechenbarkeit des Gesamtwerks – “R. Borlax” ist ein wichtiger Wegpunkt der modernen extremen Musik. Einer, der nach wie vor einzigartig ist und der mit dem dargelegten Attribut “lynchesk” in bizarrer Weise umfassend definiert werden kann. Das “Mulholland Drive”-Sample am Ende von “Purple” hat seinen Platz daher nicht von ungefähr, sondern bringt auf den Punkt, was in uns nach diesen 35 Minuten vorgeht: “Silencio”.

Neben der ursprünglichen Fassung ist “R. Borlax” auch als Neuauflage aus dem Jahr 2007 erhältlich. Diese beinhaltet die beiden Bonus-Tracks “The Legend Of The Flower Of Woe” sowie “Kangarooster 4057” und unterscheidet sich an manchen Stellen geringfügig im Sound der Synthesizer.

Veröffentlichungstermin: 25.11.2003

Spielzeit: 35:17 / 42:09* Min.

Line-Up:
Nathan Winneke – Vocals
David Isen – Guitar
Erik Engstrom – Keyboards
Andy Stokes – Bass
Jason Karuza – Drums

Produziert von Dave Swanson und Metal Dan
Label: Pluto Records

Homepage: http://www.horsetheband.com
Mehr im Netz: http://www.facebook.com/horsetheband

HORSE THE BAND “R.Borlax” Tracklist

01. Seven Tentacles And Eight Flames
02. Cutsman
03. In The Wake Of The Bunt
04. Stabbers Of The Knife, By Kenny P Elts
05. Bunnies
06. Purple
07. Handsome Shoved His Gloves
08. The Immense Defacation Of The Buntaluffiggus
09. Pol’s Voice
10. Big Blue Violence
11. The Legend Of The Flower Of Woe* (nur Re-Release)
12. Kangarooster 4057* (nur Re-Release)

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