FATES WARNING: Disconnected

Ein paar Hördurchgänge sollte man dem Album schon gönnen, denn einmal mehr machen es Jim Matheos und Co. dem Hörer nicht leicht. Doch nach und nach wird klar: auch `Disconnected`ist – wie nicht anders zu erwarten – ein Lehrstück anspruchsvollen Songwritings.

Eigentlich weiß ich ja genau, dass diese Band NIEMALS ein schwaches Album aufnehmen wird. Und doch: Seit “Perfect Symmetry” war ich von jeder neuen Veröffentlichung FATES WARNINGs zunächst enttäuscht. So schien mir “Parallels” zu seicht, “Inside Out” zu uninspiriert und “A Pleasant Shade of Grey” gar zu langatmig. Und heute? Würde ich mich schlichtweg weigern, die legendäre einsame Insel zu beziehen, ohne benannte Werke mitnehmen zu dürfen.

Auch von “Disconnected”, dem neuen Album der Amerikaner, war ich anfangs nicht übermäßig angetan. „Mir zu unterkühlt, das Ding“, hätte ich noch vor drei Wochen gesagt. Ja, Jim Matheos macht’s einem – wie üblich – nicht leicht. Obgleich alles ganz harmlos beginnt: Nach dem Quasi-Intro “Disconnected Part #1” folgt mit dem melodischen “One” ein Stück, das spätestens ab dem eingängigen Refrain glatt als der verschollene Song von “Parallels” durchgehen könnte. Lediglich ein leises elektronische Sirren im Hintergrund, eine unauffällige Synthesizer-Sequenz deutet an, was da noch kommen mag.

“Disconnected” beherbergt auch ungewohnte Klänge

Doch noch ist es nicht soweit. Erst folgt “So”, ein achtminütiges Lehrstück anspruchsvollen Songwritings mit phantastischer Drum- und Percussionarbeit. Eindringlich, intensiv, düster, greift es das “Disconnected”-Thema wieder auf: ein langezogenes „Aufschluchzen“ der Gitarre, einem Nebelhorn gleich, das in arktischer Nacht einsam durch das Dunkel hallt.

Nun: der Schock. “Pieces Of Me”. Ein hartes Riff, das langsam an Lautstärke gewinnt, eine heulende Gitarre, und dann? Retorten-Beats à la RAMMSTEIN! Das Riff setzt wieder ein, verstummt und ein Synthesizer-Klang moduliert elektronisch-kühl vor sich hin. Würde in diesem Moment nicht die vertraute Stimme Ray Alders erklingen, ich wäre mir sicher, es handele sich um musikalisches „Fremdgut“. Sicher der gewöhnungsbedürftigste Song des Albums, und wenn es auf “Disconnected” überhaupt einen Schwachpunkt gibt, dann ist er es.

FATES WARNING beweisen, warum sie zu den größten bands des Progressive Metal zählen

Doch das knapp elfminütige “Something From Nothing”, das in seinem Aufbau an “The Eleventh Hour” auf “Parallels” erinnert, versöhnt rasch. Es beginnt langsam und bedächtig: ein ruhig pulsierender Bass, atmosphärisch perlende Gitarrenklänge, malerische Keyboard-Sprengsel, leise Percussions, darüber die gefühlvolle Stimme Alders. Plötzlich und einmal mehr: bedrohliche Computer-Beats, die indes weit organischer klingen als noch auf “Pieces Of Me”. Nach einem weiteren Intermezzo der Stille beginnt Teil zwei des Songs: Die Gitarren setzen ein und bilden das Fundament eines typischen FATES WARNING-Rockstückes, der in einer wunderschönen, bittersüßen Melodie gipfelt, die von zarten Keyboards (für die übrigens einmal mehr ex-DREAM THEATER-Mitglied Kevin Moore verpflichtet wurde) einfühlsam umrankt werden. Nach einem furiosen Riff-Finale lassen sanfte Akustik-Gitarren das zweite große Highlight des Albums ausklingen.

Dem folgt sogleich das dritte und wohl überragendste: “Still Remains”. In den rund 16 Minuten, die das Stück andauert, beweisen FATES WARNING einmal mehr, warum sie seit Jahren zu den größten Bands des Progressive Metals zählen. Atmosphärische, ruhige Passagen wechseln mit virtuosen Instrumental-Parts, vetrackte Härte und melodische Opulenz gehen Hand in Hand, als sei es das Natürlichste der Welt. Stets präsent: das einzigartige melancholische Flair, das das Oeuvre Jim Matheos seit jeher auszeichnet, und das Ray Alder, nach Buddy Lackey (PSYCHOTIC WALTZ – R.I.P *schluchz*) der wohl gefühlvollste Prog Metal-Sänger überhaupt, perfekt umzusetzen und mitzutragen weiß.

Das nächste Meisterwerk aus dem Hause FATES WARNING

Leider, leider: Jedes Album nähert sich irgendwann dem Ende. “Disconnected #2” greift ein letztes Mal das Intro-Thema auf und steigert sich zu einem dichten Instrumental, in dem Gast-Keyboarder Kevin Moore noch einmal seine überragenden Fähigkeiten unter Beweis stellen kann. Und einmal mehr kann ich es kaum mehr erwarten, bis ich das nächste Meisterwerk FATES WARNINGs in meine zitternd’ Hände schließen darf. Und verstehe nicht, wie ich jemals zweifeln konnte!

Line-Up:

Jim Matheos – guitar
Ray Alder – vocals
Mark Zonder – drums & percussion
Joey Vera – bass
Kevin Moore – keyboards

Produziert von Terry Brown & Fates Warning
Label: Massacre

Homepage: http://www.fateswarning.com

FATES WARNING “Disconnected” Tracklist

  1. Disconnected #1
  2. So
  3. Pieces of Me
  4. Something From Nothing
  5. Still Remains
  6. Disconnected #2
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