EVERLAST: Songs Of The Ungrateful Living

Runter mit den Scheuklappen, Undankbare!

Als er vor 20 Jahren mit der legendären Hip-Hop-Formation HOUSE OF PAIN seinen ersten Hit (Jump Around) landete, hätte sich Erik Schrody wohl auch nicht träumen lassen, dass er nur wenige Jahre später erneut und dieses Mal sehr erfolgreich unter der alten Solo-Flagge EVERLAST segeln würde – sein 1990er-Debüt Forever Everlasting fand damals nur mäßigen Absatz.

Der Singer-Songwriter-Hip-Hop-Mix auf Whitey Ford Sings The Blues (1998) brachte frischen Wind in die Crossover-Bude und dem Rapper mit der Gitarre völlig zu Recht mehrfach Edelmetal ein – an What It´s Like, der bis heute mit Abstand erfolgreichsten EVERLAST-Singleauskopplung, vorbeizukommen,  war nahezu unmöglich.  
In der Folgezeit müssen wirklich viele Magier ihre Zauberbücher kollektiv beim Kapitel des fies grinsenden Gehörnten aufgeschlagen haben. Es war jedenfalls wie verhext. Eat At Whitey´s (2000) stand seinem Vorgänger in nichts nach, konnte aber trotz Grammy-Rückenwind im selben Jahr, grandioser Gästeliste (u.a. Carlos SANTANA, B-Real von CYPRESS HILL) und einem gut gefüllten Netz potentieller Hitsingles (u.a.Black Coffee, Black Jesus) nicht annähernd soviel Fahrt aufnehmen, um dem überwältigenden Erfolg des Solo-Zweitlings richtig nahe zu kommen. Es hätte EVERLAST wohl auch nichts genützt, seinen gemeinsam mit SANTANA eingespielten Grammy-Song Put Your Lights On (zu finden auf EVERLASTs Today-EP und SANTANAs Megaseller Supernatural) nochmal auf dem Album zu verbraten. Die großen Abräumer auf SANTANAs übernatürlichen, mit neun Grammys dekorierten, zweiten Frühling, hießen damals eben Rob Thomas (MATCHBOX TWENTY) mit Smooth und WYCLEAF JEAN, dessen Cousin Jerry Duplessis sowie THE PRODUCT G & B mit Maria Maria. Ach, es ist doch einfach immer wieder schön anzuhören, wenn Engelsflüsterer und Gitarrenlegende Carlos SANTANA in letztgenannter Nummer Ahora Vengo Mama Chola Mama Chola in seinen schmalen Schnauzer murmelt. Ja, ja! Genug geträumt. Zurück zu EVERLAST.     

In den Jahren danach lies es Schrody merklich ruhiger angehen. Dabei scheint er sich irgendwie auf einen Vier-Jahres-Rhythmus eingependelt zu haben. So steht nach White Trash Beautiful (2004), auf dem der seinerzeit hörbar von den Nachwehen einer  Trennung geplagte MC, verstärkt Country und Soul für sich entdeckte und Love, War And The Ghost Of Whitey Ford (2008), nun Songs Of The Ungrateful Living in den Startlöchern.      

Mündete der verstärkte Einsatz von fetteren Beats, E-Gitarren, Vintage-Synthies und opulenten Arrangements (Gospelchor, Streicher) zusammen mit den nachdenklich/kritischen Lyrics auf dem Vorgänger in ein äußerst vielseitiges Gipfeltreffen aus schwelender Wut und bittersüßer Blueser-Melancholie, steht Schrodys sechster Full-Length-Player wieder eher in der Tradition seiner frühereren Werke, behält aber gleichzeitig oben genannte Zutaten und Attribute bei. Auch wenn es auf Songs Of The Ungrateful Living wieder etwas entspannter zugeht als zuletzt, weht einem deutlich der düstere Wind von Liebe und Krieg ins Gesicht. Kein Wunder, schließlich verbindet die neuen und die Gespenster-Songs ein gemeinsames Thema: Finsternis.

Schrody erzählt auf Songs Of The Ungrateful Living hauptsächlich vom American Way Of Life, so wie er ihn um sich herum wahrnimmt. Wäre er ein Pimp mit maximalem Weitblick bis zur hauseigenen Pussy-Pool-Landschaft, wäre das eine recht spannungsarme Angelegenheit. Das Bild vom Zustand der amerikanischen Gesellschaft das der MC hier in seinen Songs zeichnet aber ist hässlich genug, um ihm abzunehmen, dass ihn das was er da sieht wirklich bewegt.
Da sind die wahren Verlierer der Wirtschaftskrise – die immer größer werdende Zahl derer in den USA, denen es immer schwerer fällt über die Runden zu kommen (I Get By). Menschen die in einer Gesellschaft leben, die den materiellen Wohlstand zur Glückseeligkeit verklärt wie keine andere und sich damit in die Abhängigkeit eines Systems begibt, das es nicht gut mit ihnen meint (Moneymaker). Traurigerweise ein weltweiter Exportschlager. Auch die vergessenen Opfer des (Irak-)Kriegs (Soldatenfamilien, unversehrte Heimkehrer) im eigenen Land (Little Miss America) werden von EVERLAST besungen, der mit Sixty-Five Roses, in dem er von den Schwierigkeiten im Umgang mit der schweren Mukoviszidose-Erkrankung seiner kleinen Tochter berichtet, auch Einblick in seine privaten Kämpfe gibt. Da tanzt eine Nummer wie My House ganz schön aus der Reihe. Wobei so ein herbeigesehntes Date schon auch mal zu einem finsteren Kapitel werden kann. Optimismus ist wichtig. Das weiß auch EVERLAST. Bevor es in den Bonusteil übergeht, versammelt Schrody am offiziellen Albumende all die versprenkelten Hoffnungsschimmer in seiner Cover-Version der SAM COOKE-Protesthymne A Change Is Gonna Come zum großen Finale.

Auch wenn sich bei den Lyrics die ein oder andere Standardphrase eingeschlichen hat und EVERLAST wohl nie auf das lyrische Level wandelnder Buchstabengewitter wie SAGE FRANCIS, dessen fantastisches Kollabo-Album Li(f)e ich allen die etwas mit Hip-Hop und/oder Indie-Rock anfangen können ans Herz legen möchte, kommen wird: EVERLAST hat etwas zu sagen und ein gutes Händchen für packende, eigenständige Songs die nahe genug am Mainstream sind um damit ein breites Publikum erreichen zu können. Wahrlich keine schlechte Kombi.
 
Das vormalige, wohl seinem Mitwirken bei der (in personeller Hinsicht) HOUSE OF PAIN-Quasi-Reunion LA COKA NOSTRA (Hardcore Rap) geschuldete, ganz große Beatbeben ist zwar etwas abgeebt, hat aber eindeutig seine Spuren hinterlassen. Die Bässe sind erneut ganz schön fett ausgefallen. Schrody wollte seine Lieblings-E-Gitarre seit Ende der letzten Produktion wohl gar nicht mehr in den warmen Koffer zurückbetten…wenigstens hat er süß von ihr geträumt. Find ich gut…beides. Meist dezent eingesetzt (man höre sich hierzu nur mal die so genial einfachen, wie einfach genialen Blues-Licks in I´ll Be There For You an), rückt die Elektrische neben den nahezu omnipräsenten Vintage-Tastenklängen schon auch mal in den Mittelpunkt des Geschehens. Nachzuhören im atmosphärisch dichten Even God Don´t Know oder beim grandiosen Western-Hip-Hop-Rock-Bonus-Kracher Everyone Respects The Gun. Daneben feiern EVERLAST-typische Hip-Hop Songs (The Rain) ihr Comeback.
Ja, der Singer-Songwriter-Hopper mit dem großen, blauen Blues-Herzen hat hier wieder einmal einen sehr abwechslungsreichen Speiseplan zusammengestellt. Unter den zahlreichen Genre-Einflüssen (Blues, Folk, Rock, Pop…) stechen auf Songs Of The Ungrateful Living vor allem Soul (A Change Is Gonna Come), Country (The Crown) und Soul-Country (Long At All) hervor. Möglicherweise hat es Methode, wenn sich EVERLASTs Alter Ego Whitey Ford nicht im Albumtitel verewigt.

Schrodys Stimme scheint mit den Jahren immer ausdrucksstärker zu werden. Das gefällt. Allerdings muss ich sagen, dass ich es schon mal spannender gefunden habe, seinem Treiben auf der Akustischen zu lauschen. Dass dies dem guten Gesamtbild nichts anhaben kann, ist nicht zuletzt den gelungenen Arrangements und EVERLASTs zahlreichen Unterstützern zu verdanken, die auf ihren Instrumenten wieder einmal ganze Arbeit geleistet haben. Überall gibt es kleinere und größere Details zu entdecken, die Songs Of The Ungrateful Living zu einem leckeren Dauerlutscher auf dem Plattenteller machen.                                                                                                                                                                                                                                             Als Fan kann man sich Songs Of The Ungrateful Living im Regelfall (ist das Gegenteil vom ich-mag-irgendwie-nur-das-eine-Album-Ausnahmefall) also wieder bedenkenlos ins Einkaufskörbchen legen. Am besten in einem echten Plattenladen. Apropos. Songs Of The Ungrateful Living gibt es auch als Doppel-Vinyl (180 Gramm) mit beigelegter CD. Vorteile? Größerer Sound, größerer Totenkopf und und und. Wer bislang noch nie etwas von EVERLAST gehört hat, sollte das mal ändern…schlimmstenfalls macht man eine musikalische Erfahrung, bestenfalls kauft man sich eine Klampfe und fängt damit an, seine eigenen Geschichten zu erzählen…oder die von denen die keine Stimme haben.

Veröffentlichungstermin: 24.02.2012

Line-Up:

Erik Schrody – Vocals, Guitar
Joel Whitley – Bass
Leo Costa – Drums
TBA

Produziert von Erik Schrody und Darius Holbert
Label: Long Branch Records

Homepage: http://www.martyr-inc.com

Mehr im Netz: http://www.facebook.com/everlastmusic

Tracklist:

1. Long At All
2. Gone For Good
3. I Get By
4. Little Miss America
5. My House
6. Long Time
7. Friday the 13th
8. The Crown
9. Sixty-Five Roses
10. Moneymaker
11. The Rain
12. Some Of Us Pray
13. I´ll Be There For You
14. Even God Don´t Know
15. A Change Is Gonna Come

BONUS:
16. Everyone Respects The Gun
17. Final Trumpet
18. Black Coffee (Live Acoustic)

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