ELDRITCH: Seeds Of Rage [Re-Release]

Ein WATCHTOWER-Songtitel als Bandname, ein Sänger, der wie Bruce Dickinsons trotziger kleiner Bruder klingt, ein Stil der deutlich von DREAM THEATER beeinflusst wurde, aber etwas distanzierter und weniger melodramatisch ausgerichtet ist – aber hallo! Ja, gerne!

DREAM THEATER veröffentlichten 1992 mit Images And Words das Nonplusultra in Sachen Progressive Metal. Perfektion. Lange Zeit dachte man als Fan nicht einmal im Traum daran, je wieder Alben einer anderen Band zu kaufen. Selbst DREAM THEATER schienen nach diesem Geniestreich ihre kreative Energie verbraucht zu haben. (Was Fierce schreibt, ist nichts als Wunschdenken!) Der einzige Haken an Images And Words ist seine Halbwertszeit: Nach einigen Jahren Nonstopkonsum verliert das Album ein wenig an Reiz. Glücklicherweise entdeckte ich exakt zu diesem Zeitpunkt FATES WARNING und WATCHTOWER und erkannte, dass erstklassiger Progressive Metal nicht zwangsläufig von Petrucci, Portnoy & Co. stammen musste. Das war 1995.

In jenem Jahr veröffentlichte das italienische Quintett ELDRITCH sein Debüt Seeds Of Rage und rannte bei mir damit offene Türen ein. Ein WATCHTOWER-Songtitel als Bandname, ein Sänger, der wie Bruce Dickinsons trotziger kleiner Bruder klingt, ein Stil der deutlich von DREAM THEATER beeinflusst wurde, aber etwas distanzierter und weniger melodramatisch ausgerichtet ist – aber hallo! Ja, gerne!

Melodie, Härte und Frickelei wurden sehr gut ausbalanciert. Trotz zahlreicher Breaks und Zwischenteile klingen die Stücke flüssig und schlüssig. Auch sperrige Nummern wie der Opener Incurably Ill besitzen nachvollziehbare Refrains, die ELDRITCH von anderen Progressive Metal-Bands abheben. Das zugänglichste Stück auf der CD ist sicherlich The Deaf And The Blind. Die hochmelodiöse Tappingeinleitung mündet in ein knackiges Doublebass-unterlegtes Riff. Das Keyboard greift die Eingangsmelodie kurz auf, ehe der Gesang einsetzt. Die kräftige Stimme von Terence Holler ist ausgesprochen variabel und wechselt mühelos zwischen unterschiedlichen Stimmungen, die der Song durchläuft. Die Midtempo-Nummer I Don´t Know Why schlägt in eine ähnliche Kerbe. Bei Chains und Chalice Of Insanity leben ELDRITCH hingegen ihren Hang zum Speed Metal aus. Außerdem gibt es natürlich auch hörenswerte ruhigere Momente. Dazu gehört die eingängige Ballade Cage Of Sins mit viel Klavier und einmal mehr einer starken Gesangsleistung. Alle stilistischen Elemente auf einmal kann man bei Ultimate Solution hören. ELDRITCH schaffen es trotz der erwähnten DREAM THEATER-Parallelen mühelos, der Musik ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Ein leichter Hang zum Speed Metal (Chains und Chalice Of Insanity) und die atemberaubende Keyboardarbeit von Tastenhexer Oleg Smirnoff sorgen für wohldosierte Abwechslung. Außerdem ist die Musik nicht so glattgebügelt und kommerziell angehaucht wie Images And Words.

Die Produktion klingt leider (trotz neuem Mastering) relativ künstlich und drucklos. Die CD ist dennoch ein echter Leckerbissen, der auch anno 2006 unverbraucht und originell klingt. Die überwiegend sozialkritischen Texte, die sich mit Themen wie Alkohol am Steuer (Under This Ground) und organisiertem Verbrechen (Incurably Ill) beschäftigen, ergänzen die Musik optimal und sind ein weiteres Indiz für die Eigenständigkeit von ELDRITCH.

Das Bonusmaterial der Wiederveröffentlichung besteht aus alten Demoaufnahmen sowie einer Neueinspielung von Chains. Bei Killing Dolls scheint es sich um eine sehr frühe Version von Chalice Of Insanity zu handeln. Die Band klingt dabei erwartungsgemäß jünger und unerfahrener. Das gilt besonders für den Gesang, der stellenweise noch etwas unsicher wirkt. Die nachfolgenden Demos klingen schon etwas professioneller und besitzen typische ELDRITCH-Merkmale, lassen aber die Genialität der Albumtracks vermissen. Insbesondere das instrumentale Mad At Destiny ist einfach nur unspektakuläres Gedudel, das von handwerklichem Können zeugt, jedoch keinen großen Unterhaltungswert besitzt. Wesentlich interessanter finde ich die 2006 im Proberaum aufgenommene Version von Chains. Die Produktion klingt ausgesprochen modern und direkt. Hinzu kommt, dass ELDRITCH mittlerweile keinen Keyboarder mehr haben, weshalb Details wie die verspielten Synthies in der zweiten Strophe fehlen. Dadurch kommt diese Fassung wesentlich wuchtiger daher als das Original und bewegt sich stilistisch in der Nähe der Power/Thrash-Mucke der neueren ELDRITCH-Alben.

Wer das Album bereits besitzt, kann dementsprechend gut auf die Wiederveröffentlichung verzichten. Wer nur die späteren Alben der Band kennt oder gar noch nie von ELDRITCH gehört hat, sollte dagegen umgehend nach Seeds Of Rage Ausschau halten, vorrausgesetzt natürlich, man steht auf Progressive Metal, der frei von psychedelischen Alternative Rock-Elementen und unangebrachten Nu Metal-Einflüssen ist.

Veröffentlichungstermin: 26.05.2006

Spielzeit: 79:05 Min.

Line-Up:
Terence Holler: Gesang
Eugene Simone: Gitarre
Martin Kyhn: Bass
Adriano Dal Canto: Schlagzeug
Oleg Smirnoff: Keyboard

Produziert von ELDRITCH
Label: Limb Music Products

Homepage: http://www.eldritchweb.com/

Tracklist:
1. Incurably Ill
2. Under This Ground
3. Chains
4. Cage Of Sins
5. Colors
6. The Deaf And The Blind
7. Ultimate Solution
8. I Don´t Know Why
9. Chalice Of Insanity
10. Blind Promise

Bonustracks:
11. Killing Dolls (Demo 1990)
12. Reflection Of Sadness (Demo 1991)
13. On A Thin Wire (Demo 1991)
14. Mad At Destiny (Demo 1991)
15. Chains (Rehearsal 2006)

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