DREAM THEATER: Six Degrees of Inner Turbulence

Das neue DREAM THEATER-Album benötigt einige Zeit, bis es sich dem Hörer endlich erschließt. Insgesamt ist "Six Degrees of Inner Turbulence" nicht das erwartete Überwerk geworden, das die Vorabinfos erwarten ließen, und dennoch hat dieses Album genug für jeden Freund anspruchsvoller Musik zu bieten.

Als ich Six Degrees of Inner Turbulence – das neue Album der Prog-Metal-Größe DREAM THEATER – zum ersten mal in den CD-Player legte, wurde mir recht schnell klar, dass ich für dieses Album viel Zeit benötigen würde – sehr viel Zeit! Und nach einer Unzahl an Durchläufen in den verschiedensten Hörsituationen wage ich mich nun allmählich an ein Review zu diesem Album, auch wenn ich mir immer noch nicht so ganz sicher bin, wie ich meine Gedanken zu dieser CD in Worte packen soll.

Licht und Schatten trifft es wohl ganz gut. Wobei spätestens, als ich mir die Zeit nehmen konnte um mir mit dem Booklet in die Hand das gesamte Doppel-Album am Stück zu Gemüte zu führen, das Licht dominierte. Meine anfängliche Enttäuschung ist einer verhaltenen Begeisterung gewichen und welchen Stellenwert Sig Degrees of Inner Turbulence für mich einnehmen wird, werde ich wohl erst mit einem gewissen Abstand erfahren.

Es hat wirklich lange gebraucht, bis dieses ganz besondere Album bei mir so etwas wie emotionale Reaktionen hervorrufen konnte. Eiskalt ließ es mich zunächst und Gründe dafür waren schnell gefunden.

Schon der Opener The Glass Prison brachte ein Hauptproblem deutlich ans Tageslicht: der Gesang. Es ist eigentlich unfair, die Schuld wieder einmal James LaBrie in die Schuhe zu schieben, zumal die Gesangslinien komplett vom Team Petrucci/Portnoy geschrieben wurden. Aber mit jedem Album ist mir der Ex-Schnulzen-Poser mehr ein Dorn in den Ohren geworden und meine Abneigung wuchs vor allem mit jedem Konzert, das ich erleben durfte. Da kam mir der Mann als Sündenbock doch gerade richtig. Denn während die Instrumentalisten auf dem ersten Track dieses Albums einen heftig deftigen Prog-METAL-Teppich legen, auf dem ein guter Songwriter eigentlich keine Probleme haben dürfte, sich sicher zu bewegen, verhindert der uninspirierte Gesang von vorne herein, einen echten Meilenstein aus der fantastischen Vorgabe werden zu lassen. Sogar die eingespielten Scratches passen perfekt in das Bild des Songs, mit einer entsprechenden Melodieführung hätte aus diesem Song wirklich was Großes werden können. Doch Pustekuchen. Fast 14 Minuten vergeudetes Potential waren meine Gedanken, die sich auch bis zum jetzigen Zeitpunkt nur wenig relativiert haben.

Und wirklich besser wird das bei Blind Faith auch nur ansatzweise.

Erst so richtig los geht Six Degress of Inner Turbulence für mich mit Misunderstood. Der getragene Song zeigt die gesamte Band schließlich von ihrer besseren Seite und hier werden nun endlich auch Emotionen frei.

Die Steigerung hierzu findet das Album dann mit The Great Debate, einem 13-minütigem Monumentalsong der so richtig in die Tiefe geht und endlich zu fesseln weiß. Verdammt schwer und intensiv kommt der Song daher und die News-Sprach-Samples tun ihr übriges um dem Song eine brisante Atmosphäre zu verleihen. Dabei ist The Great Debate alles andere als ein leicht zu konsumierender Hintergrundberieseler. Eingängigkeit? Von wegen! Leicht verdauliche Melodien sind nur spärlich gesät und dennoch ist der Song insgesamt total stimmig. Sehr geil!

Disappear scheint dann nur die logische Antwort auf diesen schweren Song zu sein. Die sphärische Ballade entlässt den Hörer aus CD Nummer 1 mit einer melancholischen Stimmung, die man von DREAM THEATER seit Space-Dye Vest nicht mehr zu spüren bekam. Und selbst LaBrie weiß bei diesem Song auf gesamter Länge zu überzeugen und kann sich endlich einmal mehr von seinem Schnulzen-Image lösen.

Dreh- und Angelpunkt des neuen Albums ist allerdings wie zu erwarten der Titelsong des neuen Werkes, Six Degrees of Inner Turbulence, der für sich alleine eine ganze CD in Anspruch nimmt. Der in 8 Teile untergliederte 42-Minüter ist eine echte Herausforderung geworden und wie zu erwarten ist dies kein Song, denn man mal eben so nebenbei hört. Vielmehr denke ich, gehört Six Degrees of Inner Turbulence zu den Werken, die man nur von Zeit zu Zeit aus dem CD-Regal holt, den Staub von der Plastikhülle pustet und sich dann bei dämmrigen Licht mit etwas Tee, Bier oder Wein in der einen, und dem Textheft in der anderen Hand aus dieser Welt verabschiedet. Die Geschichte mentaler Instabilität ist wirklich nur schwer zu durchdringen und doch kann man fühlen, welche Werte die Band mit dem Song transportiert.

Musikalisch gesehen ist auch Six Degrees of Inner Turbulence von hitverdächtigen Refrains frei. Vielmehr hat die Band Wert auf die stimmige Umsetzung einer Storyline gelegt und vom majestätisch klassischen Intro Overture über härtere Tracks der Marke War Inside my Head bis hin zum bombastischen Ende mit Losing Time/Grand Finale hat der Song einmal mehr alles zu bieten, was die Band DREAM THEATER je ausmachte. Und dass die vier Ausnahmemusiker gemeinsam mit ihrem oft aus dem Rahmen fallenden Sänger den roten Faden nicht einfach in einer Gerade durch diesen Song ziehen, dürfte allen Fans der Band von vorne herein klar sein.

Dass Six Degrees of Inner Turbulence ein Album auf höchstem musikalischen Niveau werden würde, war ohne Bedenken zu erwarten. Die angekündigte Mischung aus Awake und When Dream and Day Unite kann ich nur halbwegs nachvollziehen. Ersterer Vergleich kommt einigermaßen hin, die Einflüsse des zweiteren konnte ich bis heute nicht entdecken. Six Degrees of Inner Turbulence ist nicht das erwartete Überwerk geworden, das die Vorabinfos erwarten ließen, und dennoch hat dieses Album genug für jeden Freund anspruchsvoller Musik zu bieten. Letztendlich denke ich aber, dass sich DREAM THEATER die Vorband ihrer anstehenden Tour – PAIN OF SALVATION – genau anschauen sollten. Denn von denen könnten sie sich vielleicht wieder etwas abschauen, wenn es darum geht, explosive Emotionalität in ein musikalisch auf höchstem Niveau anzusiedelnden Gewand zu verpacken. Da haben die Schweden nämlich derzeit ganz klar die Nase vorn.

Fierce

Veröffentlichungstermin: 28.01.02

Spielzeit: CD 1: 54:20 / CD 2: 42:04 Min.

Line-Up:
James LaBrie – vocals

Mike Portnoy – drums

John Petrucci – guitar

John Myung – bass

Jordan Rudess – keyboards

Produziert von Mike Portnoy & John Petrucci
Label: Elektra/East West

Hompage: http://www.dreamtheater.net

Tracklist:
CD 1:

1. The Glass Prison

2. Blind Faith

3. Misunderstood

4. The Great Debate

5. Disappear

CD 2:

1. Six Degrees of Inner Turbulence

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