ATROCITY: Gemini

ATROCITY haben ja schon längst ihren Wurzeln entsagt. Keine Überraschung also, daß "Gemini" nicht eben viel mit "Blut" oder anderen Altwerken der Band zu tun hat. Dafür umso mehr mit RAMMSTEIN. Sind die ersten Songs aber überstanden, geht`s konsequent bergauf und gewinnt zusehend an eigener – und durchaus ansprechender – Kontur.

ATROCITY haben ja schon längst ihren Wurzeln entsagt und sich mit diversen Projekten und Experimenten in neue Klangdimensionen vorgewagt. Keine Überraschung also, dass “Gemini” nicht eben viel mit “Blut” oder anderen Altwerken der Band zu tun hat. Dafür umso mehr mit RRRRRRAMMSTEIN (ein Schelm, wer Böses bei der Tatsache denkt, dass ATROCITY mittlerweile beim gleichen Label gelandet sind).

Martialische Rhythmen, simple Finster-Gitarren, ein paar Samples hier und da, der ein oder andere Breitwand-Synthi und mehr oder minder gelungenes Keyboard-Gefiepe, das alten NDW-Klamotten entliehen wurde. Und: Deutsche Texte, die zwar nicht ganz so konsequent den Schritt ins realsatirische Ich-bin-so-bööööse-Syndrom wagen wie bei den großen Brüdern, aber mit erheiternden Momenten auch nicht eben sparen. Man vernehme nur Zeilen wie “Frische Brise Morgenluft/füllt den Baum mit Frühlingsduft/mit dem Käscher in der Hand/jag’ ich dann durchs ganze Land/plötzlich sitzt Du vor mir da/so jung und schön, so wunderbar” und den dazugehörigen Refrain “Wilder kleiner Schmetterling/you are my everything” (“Wilder Schmetterling”) und stelle sich das in eben jenem RAMMSTEIN meets NDW-Soundgewand vor.

ATROCITY beweisen beim Umgang mit Fremdmaterial ein gutes Gespür

Dankenswerterweise verzichtet ATROCITY-Chef Alex Krull allerdings – im Gegensatz zu der mehrfach genannten Referenz – auf Albernheiten wie plumpe Provokationslyrik, heftig rollende Konsonanten und die Teilnahme am Wettstreit “wer ist hier der böseste Frontmann”, was “Gemini” letztlich davor bewahrt, ins gänzlich Peinliche abzudriften. An halbnackte Damen mit Metall-Fetisch hat man sich ja mittlerweile gewöhnt. Wenn’s schee macht…

Ebenso beibehalten: Die Vorliebe für Coverversionen, denen die Welt “Werk 80” zu verdanken hatte. Und einmal mehr beweisen ATROCITY beim Umgang mit Fremdmaterial ein recht gutes Gespür und mehr Feingefühl, als man anhand des Brachial-Sounds vermuten sollte. Dieser steht dem ZSAZSA-Song “Zauberstab” nämlich ganz ausgezeichnet! Sicherlich DER Text, den – Achtung, wieder dieser Name! – RAMMSTEIN gerne geschrieben hätten, wären sie nur früher geboren worden. Und, na also, da rrrrrollts ja doch ein bisschen! Unter Aspekten der berühmten Political Correctness muss man natürlich eingestehen, dass dieser “wenn ich Dich kriege, zeigt Dir mein Zauberstab die Liebe”-Kram sexistischer Müll ist, aber wenn das kein Clubhit wird, will ich Tipper Gore heißen. So oder so: “Zauberstab” klingt exakt so, wie der Song klingen muss.

“Gemini” ist vielschichtiger, als es der Auftakt vermuten lässt

Das Gleiche gilt für den alten Schmachter “Lili Marleen”, aus künstlerischer Sicht das absolute Highlight dieses Albums (und für mich persönlich fast alleine den Kauf wert). Dessen wehmütiger Text erfährt hier endlich die düstere Umsetzung, die er verdient. Fantastisch! Da kann “Sound Of Silence” (SIMON & GARFUNKEL) nicht ganz mithalten, hätte aber sicher weit schlimmer ausfallen können. Ist sogar ziemlich nett, zumal Krulls Lebensgefährtin Liv Christine (THEATRE OF TRAGEDY) die Harmony-Vocals übernommen hat.

Highlights unter den Eigenkompositionen: Das recht rifflastige “Seasons Of Black”, bei dem doch noch ein wenig die Band-Vergangenheit durchschimmert, die in melodischer Hinsicht angenehm popnahen Darkwave-Rocker “Gemini” und “Liebesspiel” sowie “Sometimes… A Nightsong”, das gotisches Flair versprüht. Überhaupt ist dieses Album weit vielschichtiger, als die ersten drei Songs und “Wilder Schmetterling” vermuten lassen, die sich stilistisch wahrlich allzu nah an – na wen schon? – RAMMSTEIN anlehnen. Ist der Anfang überstanden, geht’s also konsequent bergauf und gewinnt zusehend an eigener – und durchaus ansprechender – Kontur.

Spielzeit: 43:20 Min.

Line-Up:

Alexander Krull – vocals
Mathias Roderer – guitars
Thorsten Bauer – guitars
Chris Lukhaup – bass
Martin Schmidt – drums

Produziert von Alexander Krull
Label: Motor Music

Homepage: http://www.atrocity.de

ATROCITY “Gemini” Tracklist

  1. Taste Of Sin
  2. Zauberstab
  3. Tanz der Teufel
  4. Liebesspiel
  5. Wilder Schmetterling
  6. Sound Of Silence
  7. Das 11. Gebot
  8. Sometimes… A Nightsong
  9. Seasons In Black
  10. Gemini
  11. Lili Marleen
Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner