MARTIN KESICI: Kurzportrait eines Aufsteigers

Ein Blick über den Tellerrand des Metals in die flimmernde Welt der Stars und Sternchen. In die Welt des Martin Kesici.

Martin Kesici. Seines Zeichens so etwas wie Metal Fan. Seine musikalischen Ursprünge konnten Vampster-Fahnder bis ins Arbeiterviertel von Reinickendorf verfolgen. Er ist ein Kind der Straße, wie er sagt. Nichts wäre weniger richtig, als den gebürtigen Berliner als Weichei oder Muttersöhnchen zu bezeichnen. Und nichts ist Kesici wichtiger als das zu betonen. Immer und immer wieder. Ich bin nicht unbedingt immer mit Samthandschuhen angefasst worden, so gibt er bekannt. Und weiter: Ich weiß, was es bedeutet, arbeitslos zu sein. Wahrhaftig, er hat was mitgemacht der Herr Kesici. Die Qualen der Arbeitslosigkeit ertragen und überlebt, in einer Zeit, wo wir gerade einmal 5 Millionen Arbeitslose verzeichnen können. Das ist wahrhaft elitär, das ist die Straße, das ist Bodenständigkeit. Kesici weiß das, er ist bodenständig, wie man sieht, wenn er sagt: Das Wichtigste in so einer Situation ist es, auf dem Teppich zu bleiben. Abermals richtig, Herr Kesici. Die ominöse Situation, von der er hier spricht, ist natürlich nichts anderes als der mit dem Star Search-Gewinn eingeläutete Erfolg. Aber Kesici kommt ja von Unten. Und damit er das nicht vergisst, vergisst er das nie zu sagen, damit es keiner vergisst. Aber auch er leidet an den Krankheiten der Stars. Ein Leben, wie sie es führen, voller Glanz und Versuchungen, muss wirklich schrecklich sein. Ständig ist man gefordert nicht abzuheben, wie ein rebellischer, entfesselter Luftballon. Kesici sieht das Problem sehr genau: Ich muss mir natürlich jeden Tag vor Augen halten, was da passiert ist und wo ich herkomme. Genau. Denn, wie gesagt, man vergisst das nur zu leicht: Wer man mal war. Was man mal war. Woher man mal kam. Und so. Jawohl.

Der liebe Martin ist sympathisch-naiv und kleinbürgerlich. Er weiß, wie man mit der Sprache des Volkes spricht. Wenn er sagt: Größenwahn ist völlig fehl am Platz, denn die Musik ist das Entscheidende in meinem Leben, dann fällt gar keinem – und erst recht nicht ihm selbst – auf, dass Größenwahn ein negativ belegtes Wort und daher immer fehl am Platz ist. Aber Herr Kesici ist Jahrgang 73 und da hat man bekanntlich noch lange nicht ausgelernt.

Er ist Fan einer Musik, die man Metal nennt, aber die neuen Freunde, die er nun gefunden hat, kennen diese Richtung nicht. Da muss sich unser Martin schon mal mit Rock der härteren Gangart zufrieden geben. Klar, kein Problem, schließlich hat er ja auch nur zum Spaß an der sogenannten Star Search teilgenommen, nur so zum Gaudi. Sonnenklar. Auch für emKay – so sein Spitzname. Der hat seine Rockband der härteren Gangart (mit dem fragwürdigen Namen ENRICHMENT) nämlich nach dem Sieg der Star Search erst mal ad acta gelegt und sich wichtigeren Dingen gewidmet. Rock der weicheren Gangart, könnte man sagen, wolle man das Wort Pop unbedingt vermeiden. Wollen wir aber nicht. Nach Kesici ist das anscheinend die einzige richtige Musik, so interpretiere ich, wenn er erzählt, dass seine Eltern ihm damals den Gesangsunterricht teilfinanzierten: Aber die wussten lange nicht, dass ich richtig singen kann, weil ich ja nur Hard-Rock gemacht habe, lacht der sogenannte Superstar. Aha. Da Hard-Rock (die Kurzform für Rock der härteren Gangart?) eben keine richtige Musik ist, bei der man richtig singen muss, sah sich Kesici natürlich gezwungen das Ruder in die Hand zu nehmen und auf den schweren Kurs gen Mainstream zu lenken, der Ort, wo man richtig singt. Dort ist er auch gut gelandet, dort hat er Freunde gefunden, dort gehört er hin und dort kann er meiner Meinung nach auch bleiben.

Er fühlt sich als Rebell, man nennt ihn mancherorts Kinnbart-Teufel. Stolz erklärt er, wie es kommt, dass er seinen Bart so stylt, wie er es eben tut. Das sind Fragen, die die Welt bewegen, Fragen, die wir schon immer stellen wollten, ohne deren Antworten unsere Leben karg und hohl wären. Er hält sich sogar für sehr authentisch. Voller Inbrunst gibt er irrationale Dinge von sich ohne dafür dumm angeguckt (oder gesteinigt) zu werden. Ein Beispiel gefällig? Könnte ich eine Überschrift mit mir herum tragen, würde die heißen: Handmade Rock, so argumentiert er für seine Glaubwürdigkeit – und könnte dabei nicht falscher liegen. TV-made Pop, Fließband Sound oder Konserven Rock, all das wäre passender, als das Etikett, das sich Kesici gerne aufdrücken würde. Nichts gegen seine Träume, aber die soll er doch bitte zu Hause lassen. Nicht so den Harten markieren. Sonst verwandeln sich Mutterns Freudentränen nämlich ruckzuck in echte.

Und mit gleicher Intensität wie Martins Beliebtheit steigt, führt dieser einen stillen Kampf um seine Glaubwürdigkeit. Möchte auf einmal nicht mehr so oft im Fernsehen sein. Ahja, auf einmal, lieber emKay. Es ist eben schwer Glaubwürdigkeit zu konstruieren, wo keine Basis dafür ist. Also vielleicht doch lieber ein glaubwürdiger Popstar werden. Das hat sowieso da angefangen, wo er sich zum Spielball der Massenmedien gemacht hat. Die Hirne des Volkes wurden gefüttert. Mit Skandalen, Exzessen, Terror, virtueller Gewalt, Cyber-Sex und Martin Kesici. Zum munteren Konsum bis zum Erbrechen hat unser Berliner Freund seinen Teil beigetragen. Nur so zum Spaß. Natürlich.

Mit Musikern, die sich in Jahren von harter Arbeit, unzähligen Alben und etlichen Tourneen den Arsch aufgerissen haben, für ein Fünkchen Erfolg, damit hat der gelernte Anlagenmechaniker nichts zu tun. Er hat die Abkürzung über Star Search genommen, nur zum Spaß und um mal richtig singen zu können. Denn als damals in seiner Band ENRICHMENT schon alles verloren geglaubt war, kamen seiner Mutter die Tränen, als sich herausstellte, dass der Sohnemann doch mehr kann, als nur vor einer Horde betrunkener Biker den schmierigen Rocker zu markieren. Also machte er sich auf den Weg zu Star Search. Nur so zum Spaß, wie er nie müde wird zu betonen, als ob es ihm gar doch etwas peinlich wäre. Hinein ins Rampenlicht flog der reife Martin, mit idealen Voraussetzungen: Einer tollen Stimme (Das größte Kompliment ist, wenn sie sagen: Martin, Gänsehaut), Bühnenerfahrung (mit ENRICHMENT), etwas Geltungssucht und ein starkes Selbstbewusstein. Das braucht man nämlich im TV-Business. Martin brauchte nur wenig Zeit, um sich von schwarz-weiß auf knallbunt, von matt auf hochglanz, trimmen zu lassen. Glitzer und Fassaden waren ihm schnell ans Herz gewachsen und ein Teil seiner sebst geworden. Angel Of Berlin ist ja auch ein Kracher, lief tagtäglich im Radio und hielt sich zwei Wochen lang in den Plastik-Charts.

Er ist Künstler. Musiker. So sieht er sich. Zu seinem neuen Album gefragt, sagt er weltmännisch: Ich bin mit dem Album zufrieden. Ich habe den größten Teil mitgeschrieben. Das ist das Wichtigste. Man ist als Musiker immer stolz, wenn man ein Album hat, bei dem man selbst mitgeschrieben hat. Aha! Da kann man noch was lernen vom Martin! Bislang dachte ich nämlich es wäre das, was einen Musiker und Künstler manchmal sogar auszeichnet, dass er seine Musik selbstgeschrieben hat! Welch fataler Irrtum meinerseits. Sorry, emKay, kommt nicht wieder vor. Danke für die äußerst gelungene Darstellung von dem, was ich unter Plastik-Musik verstehe. Nämlich genau das: Konstruierte Musik, gebastelt, nicht gefühlt. Ausgerichtet am Markt, nicht am Herz. Angepriesen von der Industrie und präsentiert von ihren Schösslingen und Werkzeugen. In diesem Fall von Martin Kesici.

Sein erstes Album, emKay war genauso schwülstig wie er als Sieger der Star Search. Nebenbei schuf er unter dem klangvollen Namen WOHLFAHRT/WURST/KESICI [sic!] in Mitwirkung anderer fragwürdiger Persönlichkeiten (Wohlfahrt und Wurst) mit noch fragwürdigeren Namen (Wohlfahrt und Wurst!) die Single All For Love. Ein sehr origineller Titel, wie ich finde, beschreibt er doch punktgenau Zielgruppe, Intention und nicht vorhandenes Niveau in nur drei Wörtern.

Wie auch immer: Jetzt hat der Topstar jedenfalls sein neustes Werk So What…!? am Start, will damit die Sternchen-Welt erschüttern. Back to the Roots, Alter. Aber richtig. So volle Kanne auffe Pauke haun und so. Klar, mit der METALLICA-Mütze auf dem Kopf und den letzten Resten der allabendlichen St. Anger-Portion im Gehörgang, da kann das was werden mit dem Schocken. Fragt sich nur für wen. Seine neuste Single präsentiert Kesici gar mit NIGHTWISH -Nachtigall TARJA TURUNEN im Duett. Wer hat sich das schon nicht immer gewünscht? Einen weiteren austauschbaren Plastik-Song mehr. Ein weiterer potenzieller Hit. Träume werden wahr, Kesici sammelt Punkte in Sternchenform, ist in den Medien präsent, lässt sich von Stefan Raabs flachen Witzen verarschen und wird sogar von alten Omas auf der Straße erkannt und angesprochen. Das nennt man Fanbase erweitern. Oder über den Tellerrand blicken. Das kann er gut, der Martin. Merkt halt nur nicht, dass er schon längst über den Tellerrand abgesegelt ist. Gefallen. Und zwar ziemlich tief. Guten Flug, mein Lieber. Und immer schon auf dem Boden bleiben.

Lernziel dieser Lektion: Die einzige richtige, metallisch-korrekte Antwort auf die Frage Wie findest du Martin Kesici? lautet unbedingt: Wer ist das?

Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner